SZenario:Standing Ovations für die Hochstapler

Lesezeit: 3 min

Tijan Njie, Fabrice Morvan und Elan Ben Ali (von rechts). (Foto: Stephan Rumpf)

Bei der Premiere von "Girl You Know It's True" über die Geschichte von Milli Vanilli gibt es immer wieder Szenenapplaus und am Ende einen bewegenden Moment.

Von Christian Mayer

So schaut also die große Zeitreise aus: Vom Mathäser-Filmpalast mit tausend winterlich gekleideten Gästen geht es direkt ins sommerliche München der Achtzigerjahre. Schon auf dem roten Teppich beschwören die Macher des Films "Girl You Know It's True" die Sehnsucht nach Glamour, tänzerischer Leichtigkeit und den Songs, die keiner je vergessen wird, der sie damals gehört hat. Produzent Quirin Berg und Regisseur Simon Verhoeven reden sich vor dem Pulk der Reporter schon mal warm, erzählen vom aufwendigen Casting, der schwierigen Musikrechtefrage und von den beiden Helden dieses Abends. Den Helden, die zugleich Hochstapler waren. Zwei blendende Showstars, deren Karrieren in einem Moment der Wahrheit zerschellten.

Milli Vanilli - allein der Name dieses Pop-Duos klingt herrlich versponnen, nach süßem Rausch, Disco-Gaga und dem Hedonismus einer sorgloseren Zeit. Der Film, der nun auf der breiten Mathäser-Leinwand läuft, erzählt die Geschichte von Fab Morvan und Rob Pilatus mit Witz, Wärme und zeithistorischer Genauigkeit, ohne die Figuren lächerlich zu machen: Zwei junge, beneidenswert gut aussehende Tänzer (gespielt von Tijan Njie und von Elan Ben Ali) machen in München erste Karriereschritte, werden dann vom Musikproduzenten Frank Farian (Matthias Schweighöfer) entdeckt, der zuvor auch Boney M. in schwindelnde Höhen gehievt hat. Sie kriegen ein glänzendes Image verpasst, eine wilde lange Mähne und ein paar vorproduzierte Studiosongs, die wenig später zu weltweiten Hits werden.

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Nur leider können diese beiden nicht singen, selbst dann nicht, als Milli Vanilli bereits in den USA für Tourneen gebucht und für den Grammy nominiert sind. Als Zuschauer stellt man sich die gleiche Frage wie die Helden damals: Wann fliegt der Fake wohl auf, wann platzt die Playback-Masche, an der alle kräftig mitverdienen? Und welchen Preis zahlt man persönlich, wenn man gerade noch die tollsten Champagner-Partys in Los Angeles gefeiert hat und jetzt im letzten Loch hausen muss?

"Sehr bewegend": Regisseur Simon Verhoeven. (Foto: Stephan Rumpf)

Schon während der Vorführung spürt man, wie das Publikum mitgeht, es gibt vereinzelt Szenenapplaus und beim Abspann Standing Ovations, auch das erlebt man eher selten bei Münchner Premieren. "Sehr bewegend" sei dieser Abend, sagt Simon Verhoeven, was auch daran liegt, dass einige Menschen anwesend sind, die den Milli-Vanilli-Wahnsinn selbst miterlebt haben - als beteiligte Musiker und Manager, als Angehörige oder auch nur als Fans der ersten Stunde. Angefangen beim Filmboss und Leonine-Gründer Fred Kogel, der damals mit dem Radiosender Xanadu Discopartys im legendären Schwabinger Bräu veranstaltete - wo auch die beiden jungen Tänzer Fab Morvan und Rob Pilatus vor ihrer Blitzkarriere für Aufsehen sorgten. "Mir musste also niemand erklären, wer Milli Vanilli war", erzählt Kogel von der allerersten Filmbesprechung in seinem Büro, als ihm Quirin Berg und Simon Verhoeven das Projekt anpreisen wollten - war gar nicht nötig. Schließlich hatte er all die Songs noch im Ohr, "Blame it on the Rain", "Baby, Don't Forget my Number", "Girl I'm Gonna Miss You": Wunderbar schillernde Songs, selbst wenn Milli Vanilli dazu nur die Lippen bewegten.

Matthias Schweighöfer mit Bella Dayne. (Foto: Stephan Rumpf)

Immer mehr füllt sich die Bühne am Montagabend, die beiden Hauptdarsteller Tijan Njie und Elan Ben Ali lassen sich ebenso feiern wie Matthias Schweighöfer, der als Filmproduzent Farian komödiantische Klasse zeigt. Doch dann gibt es noch einen letzten Premierenmoment, der mehr sagt als alle Dankesreden und Lobpreisungen. Denn die Geschichte von Milli Vanilli hat ja einen traurigen Kern: Robert Pilatus, der vitale Bühnenstar, konnte seine Alkoholsucht nie überwinden, genauso wenig wie seinen tiefen Fall und die Häme der Kritiker - der von einem Münchner Ehepaar adoptierte Sohn eines amerikanischen Soldaten und einer deutschen Nachtclub-Tänzerin starb bereits 1998. Wohl auch an gebrochenem Herzen.

"Lange Zeit waren wir die Sündenböcke, dabei wurden wir nur ausgebeutet."

Seine Schwester Carmen Pilatus muss gar nichts mehr erzählen, dieser Film ist auch ihre Geschichte, sie handelt von Abschied und Schmerz, aber auch von Ekstase und Übermut. Zuletzt sprintet noch der Mann auf die Bühne, der das alles überlebt hat: Der Franzose Fabrice Morvan, dessen alterslose Erscheinung genauso beeindruckt wie seine tiefe Stimme. Morvan trägt die Afro-Zöpfe unter einem rot-weißen Tuch, er ist kaum mehr zu halten und reißt sofort das Mikrofon an sich: Dieser Film, ruft er in den Saal, erzähle schon die richtige Geschichte. "Lange Zeit waren wir die Sündenböcke, dabei wurden wir nur ausgebeutet." Er habe, sagt Morvan in den Applaus hinein, nur noch einen Wunsch: endlich der eigenen Stimme vertrauen können! Und dann macht er genau das, mit rauer Stimme singt er die Eröffnungszeile von "Girl You Know It's True." Fast schon schockierend, diese Echtheit. "Rob, that was for you, brother" - und der Bruder im Show-Himmel hat gewiss zugeschaut.

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