Milbertshofen/Am Hart:"Das ständige Bohren hat etwas gebracht"

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Die Mischung macht's, sagt Jutta Koller: Wohnraum schaffen und gleichzeitig Grünflächen erhalten. (Foto: Robert Haas)

Seit 1988 ist Jutta Koller für die Grünen aktiv. Ökologische Kriterien prägen die Kommunalpolitik heute viel stärker als damals, sagt die langjährige Stadträtin. Auch wenn manchmal schmerzhafte Kompromisse nötig seien

Von Lea Kramer, Milbertshofen/Am Hart

Wenn in der Stadt Grünflächen verschwinden, richtet sich die Wut häufig gegen die politischen Parteien, die für Umwelt- und Naturschutz stehen. Wie fühlt sich das an, Regierungsverantwortung zu tragen und gleichzeitig den eigenen Idealen gerecht zu werden? Ein Besuch bei Jutta Koller, die sich nach 24 Jahren für die Grünen im Stadtrat aus der vorderen Reihe zurückgezogen hat, aber als Mitglied im Bezirksausschuss Milbertshofen-Am Hart weiterhin das Spannungsfeld zwischen Ökologie und Ökonomie erlebt.

SZ: 1988 sind Sie zu den Münchner Grünen gekommen, was hat Sie bewogen, sich der Partei anzuschließen?

Jutta Koller: Ich bin in einem politischen Haushalt aufgewachsen. Dass ich parteipolitisch aktiv geworden bin, ist auch ein wenig meinem Mann geschuldet. Nach dem vierten Kind sagte er: ,Das Gemeckere hält ja keiner mehr aus, such dir ein Hobby jenseits der Familie.' Anti-Atomkraft-, Frauen- und Friedensbewegung: Eine andere Partei hätte mich nicht interessiert.

Sie hatten schnell Verantwortung, waren im Kreisvorstand. Wie haben Sie die Münchner Politik anfangs erlebt?

Ich bin 1989 in den Bezirksausschuss Milbertshofen-Am Hart gekommen. Das erste Jahr war ich nicht gewählt, sondern entsendet. Die erste Sitzung war fürchterlich. Ich hatte das Gefühl, alle Leute wissen alles, und ich weiß gar nichts.

Von 1996 an waren Sie dann im Stadtrat. Wie kam es dazu?

Zunächst wollte ich eigentlich in den Landtag, um dort Bildungspolitik zu machen, und gar nicht in den Stadtrat. Dann wurde ich aber angesprochen, ob ich mir nicht doch auch die Arbeit im Rathaus vorstellen könnte. Ich dachte mir, ich gehe sechs Jahre in den Stadtrat, danach kann ich noch immer wechseln.

Von 1999 bis 2002 waren Sie Fraktionsvorsitzende Ihrer Partei in der rot-grünen Stadtregierung unter Oberbürgermeister Christian Ude (SPD). Wie viel Spielraum gab es bei ökologischen Themen?

Mit Constanze Lindner-Schädlich von der SPD ( Anm. d. Red. Mitglied im Ausschuss für Stadtplanung und Bauordnung, später im Umweltschutzausschuss) haben wir uns leichtgetan, unsere Themen zu setzen. Sie war eine Herzblut-Ökologin und hat mindestens genauso sehr dafür gebrannt wie wir. Die anderen haben gesehen, dass auch der kleinere Regierungspartner etwas kriegen muss. Das Problem war dann aber, dass die ganze große Sparrunde kam.

Die Dotcom-Blase war geplatzt. Münchens Kämmerer verhängte eine Haushaltssperre. Wie kam es dazu?

BMW hatte Rover in den Sand gesetzt. Fünf der Münchner Dax-Unternehmen rutschten so nach unten, dass dadurch massiv die Gewerbesteuereinnahmen einbrachen. Viele Sachen, die wir beschlossen hatten, waren nur schwer umsetzbar.

Zum Beispiel?

Es gab viele kleinere Dinge, die keine Förderung mehr bekommen haben. Im Kitabereich wollten wir den Fachbereich für Interkulturelle Erzieherinnen ausbauen. Große Infrastrukturprojekte wurden auch eingespart. Bei den Tunnelbau-Projekten ist es uns zum Beispiel relativ leichtgefallen zu sagen, die verfolgen wir nicht weiter, weil wir die eh nie wollten. Bei den geschobenen U-Bahn- und Trambahn-Linien dagegen waren wir weniger glücklich. Beide, SPD und Grüne, mussten in dieser Zeit Federn lassen.

Wie sieht es auf der Bezirksausschuss-Ebene aus? Sind die Debatten grüner geworden?

Ich glaube, dass Ökologie heute einen ganz anderen Stellenwert hat als früher. Das schreibe ich uns Grünen durchaus auf die Fahnen. Das ständige Bohren hat doch etwas gebracht. Anfangs haben die BA-Mitglieder noch die Augen verdreht oder sind in schallendes Gelächter ausgebrochen. Sie sagten: ,Ihr rettet schon wieder einen Baum.' Inzwischen rennt Ministerpräsident Söder herum und umarmt Bäume. Es gehört heute zum guten Ton, Ökologe oder Ökologin zu sein.

In Milbertshofen-Am Hart ist mit BMW einer der größten Gewerbesteuerzahler der Stadt ansässig. Wie vertragen sich Wirtschaft und Politik?

Natürlich lädt BMW den Bezirksausschuss immer wieder ein, wenn etwa neue Bauprojekte wie im Forschungs- und Innovationszentrum (FIZ) anstehen. Die ganz ernsthaften Gespräche werden aber mit der Stadt geführt. Dort wird die große Linie festgelegt. Die Diskussionen, die es schon zu Udes Zeiten gab, werden heute nicht anders sein. Die SPD hat Angst, dass BMW aus München weggeht und der Stadt dann ein wichtiger Player fehlt. Leute wie ich sagen: Die haben gerade das eine Forschungszentrum gebaut, planen das andere, haben riesige Werkanlagen. Das sind ja auch Werte. Die werben tolle Leute aus der ganzen Welt als Mitarbeiter an, die nach München und nicht nach Hintertupfing wollen.

Diese Mitarbeiter brauchen Wohnraum, auch der Münchner Norden wird nachverdichtet. Wie passt das mit dem Klimaschutz zusammen?

Man kann natürlich nicht nur in der Innenstadt hoch bauen und verdichten. Man muss versuchen, die Mischung zu finden: so viel Grün wie möglich erhalten und gleichzeitig Wohnbebauung schaffen.

In der Eggarten-Siedlung in der Lerchenau hätten die Grünen dieses Ziel verfehlt, kritisieren Umweltverbände.

In der letzten Legislaturperiode wollten wir das ganze Projekt eine Schuhnummer kleiner haben. Einerseits müssen in einer Koalition immer Kompromisse eingegangen werden. Andererseits gibt es auch grüne Sozialpolitiker, die sagen: Wir brauchen Wohnungen. Das ist eben eine Gratwanderung. Und wenn dann schon versiegelt wird, dann nicht nur für Reihenhäuser.

Wie könnte es künftig besser laufen?

Ich bin eine große Verfechterin der Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme (SEM) im Münchner Norden und Nordosten, weil es dort eine Gesamtplanung gibt. Da könnte man zunächst Tabuzonen ausweisen, die auf keinen Fall bebaut werden können und dann die restlichen Flächen so beplanen, dass noch viel Grün überbleibt und trotzdem viel Wohnraum entsteht.

Beiträge befassten sich zuvor mit dem verschwindenden Grün (29. Juni), mit Grünzug-Ergänzungen (8. Juli), mit Dachgarten-Begrünung (24./25. Juli) und mit der autogerechten Stadt (4. August).

© SZ vom 17.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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