Kritik:Im Kosmos des Komponisten

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Martin Stadtfeld liebt als Pianist die Zuspitzung und die Extreme. (Foto: Andreas Zierhut)

Martin Stadtfeld spielt Bach im Prinzregententheater.

Von Michael Stallknecht, München

"Alles zu schnell!", raunzt laut eine empörte Hörerin nach dem ersten Satz des Italienischen Konzerts von Johann Sebastian Bach. Mit dessen Musik hat Martin Stadtfeld seine Karriere begründet, zu ihm kehrt er, mit vielen Umwegen, immer wieder zurück. "Bach total" heißt das Programm im Prinzregententheater, das ausschließlich Werke des Thomaskantors enthält - und Bearbeitungen, Rekompositionen von Stadtfelds eigener Hand. Etwa des Schlusschors der Matthäus-Passion, in dem er das Forte orgelgleich in die Tasten donnert, das Piano impressionistisch im Pedal vernebelt.

Stadtfeld ist ein Pianist der Zuspitzungen, der Extreme, live noch stärker als auf Platte. Und er spielt, unabhängig von Geschmacksfragen, tatsächlich immer wieder zu schnell, nämlich schneller, als es seine Technik erlaubt. In der Corrente und der Gigue der ersten, B-Dur-Partita BWV 825 oder dem Prélude der dritten Englischen Suite in g-Moll BWV 808 werden die Hände asynchron, treffen falsche Noten, reißt der Klangschwall in unschönem Pedalnachhall ab. Dafür gibt es viel zu entdecken, sehr viel: wenn Stadtfeld in der Gavotte der Englischen Suite eine mechanische Spieluhr klingeln lässt. Wenn er die beiden Bourrées aus der Französischen Ouvertüre h-Moll BWV 831 zart schwebend tupft. Oder im letzten Satz des gleichen Werks das titelgebende "Echo" klangblass, kaum hörbar nimmt.

Stadtfeld versteht Bach, bekanntlich nicht als Einziger, als Totalität in sich, als Kosmos, aus dem alle Musik fließt. Weshalb er ungeniert alles auf ihn rückprojiziert, was danach für den Konzertflügel entwickelt worden ist an Artikulations- und Anschlagsarten, an Klangfarben und -experimenten. Das wirkt gewollt, aber nicht gesucht, weil es risikobereit aus dem Moment heraus geschieht. Und findet seine regelmäßigen Höhepunkte nicht umsonst in den Sarabanden der drei Suitenfolgen, deren bizarre Rhythmik Stadtfeld frei entfaltet, voll zauberhafter Ornamente aussingt. Langsam, aber, jedenfalls für unseren Geschmack, nicht zu langsam.

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