Ludwigsvorstadt/Isarvorstadt:Kontroverser Blick

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Bei einem Rundgang des Wirtschaftsforums der Sozialdemokratie durch das südliche Bahnhofsviertel werden Gegensätze deutlich: Die einen schätzen die Multikulti-Atmosphäre, die anderen wittern kriminelle Gefahren

Von Birgit Lotze, Ludwigsvorstadt/Isarvorstadt

Das südliche Bahnhofsviertel polarisiert: Die einen freuen sich über ein buntes Multikulti-Viertel und das friedliche Zusammenleben verschiedener Kulturen, andere sehen einen Ort mit kriminellen Strukturen, Prostitution und Ausbeutung. Das Wirtschaftsforum der Sozialdemokratie in München hat sich von zwei ganz unterschiedlichen Kennern des Viertels am Montag die Bahnhofsgegend zeigen lassen - aus ihren jeweiligen Blickwinkeln.

Fritz Wickenhäuser, der Vorsitzende des Vereins Südliches Bahnhofsviertel, zeigte ein quirliges Viertel mit viel Wir- Gefühl - kleine Läden, die schon seit Jahrzehnten existieren, die neue Kreativszene, einen Weihnachtsbaum, dessen ausladenden Schmuck niemand stiehlt. Michael Grill, der Geschäftsführer der Theatergemeinde, wittert jedoch Gefahr und fordert das Einschreiten des Kreisverwaltungsreferats (KVR). Grill hat zur Selbsthilfe gegriffen: Er führte die Gruppe in den Innenhof der Theatergemeinde und stellte dabei auch seinen Security-Mann vor.

Ihm geht es um rumänische und bulgarische Tagelöhner, die sich vor den Räumen der Theatergemeinde an der Straßenecke Goethe- und Landwehrstraße treffen und auf Arbeit warten - eine "Ausbeuterzone", wie Grill sie nennt, die sich unter den Augen der Stadt entwickelt habe. "Wir lassen zu, dass die Bau-Mafia öffentlichen Raum okkupiert", warf Grill der Stadt vor. Das KVR bleibe tatenlos, sehe seit Jahren nur zu. Die Stadt scheue sich, "Druck aufzubauen und Platzverweise auszusprechen".

Das südliche Bahnhofsviertel präsentiert sich kleinteilig und vielfältig - zum Beispiel rund um die City Kinos an der Sonnenstraße. (Foto: Matthias Ferdinand Döring)

Wickenhäuser plädierte hingegen dafür, Problemzonen vernünftig im Auge zu haben. Das Viertel habe Nachteile: Es gebe keine Begegnungsmöglichkeiten, keine Ruhezonen, keine Spielmöglichkeiten für Kinder, vieles spiele sich auf der Straße ab. Bereits vor dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens und der damit verbundenen Freizügigkeit sei die Ecke Treffpunkt für Arbeitssuchende aus Südosteuropa gewesen. In seinen Augen unternimmt die Stadt etwas gegen die Anbahnungszone. Eine der Maßnahmen: das Tagescafé an der Sonnenstraße, das speziell für die Beratung von neu zugezogenen Menschen aus Bulgarien und Rumänien eingerichtet wurde, um die Menschen in langfristige Arbeitsverhältnisse zu integrieren.

Bei der anschließenden Diskussion im Tagescafé sagte dessen Leiter Savas Tetik, dass seit der Öffnung im Jahr 2012 585 Menschen in einen sozialpflichtigen Job gebracht worden seien. Auch bietet das Team der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Deutsch-Kurse und Essen an, geht auf die Straße, um Arbeitssuchende direkt anzusprechen - Rollenspiele sollen sie auf Bewerbungssituationen vorbereiten: "Den meisten sind hiesige Kriterien für die Arbeitssuche unbekannt. Sie wollen von Tür zu Tür gehen und fragen, ob ein Putz- oder Baujob frei ist."

Ausgleichend: Hildegard Kronawitter, die Vorsitzende des Wirtschaftsforums. (Foto: Matthias Ferdinand Döring)

Für Awo-Geschäftsführer Christoph Frey ist auch der Bund gefordert. Dass die Szene an der Ecke Goethe- und Landwehrstraße größer werde, sei auch Folge eines "Zusammenspiels von Gesetzgebungen und der Novellierung der Handwerksordnung". Jeder könne sich legal als Fliesenleger oder Reinigungskraft selbständig machen und seine Arbeitskraft anbieten. Der Bund dürfe diese Menschen jedoch nicht an der Straßenecke stehen lassen, sagte Frey: "Sonst lassen wir die Arbeitsverhältnisse aus dem späten 19. Jahrhundert wieder aufleben."

Hildegard Kronawitter und die beiden Vorstandsmitglieder Monika Renner und Anneliese Durst als Vertreter des Wirtschaftsforums wiesen darauf hin, dass die Möglichkeiten der Ordnungsbehörde "relativ beschränkt" seien, zumal Beweise für das Anbahnen illegaler Beschäftigungen offenbar schwer beizubringen seien. Trotzdem müssten Lösungen her: "Sonst wird es Geschäften und Institutionen schwer gemacht, dem Standort die Treue zu halten." Die ehemalige SPD-Stadträtin Monika Renner hofft auch auf das neue Konzept des Planungsreferates, das gemeinsam mit Bürgern und Gewerbetreibenden aus dem Viertel Strategien für die räumliche Entwicklung entwickelt. Das Konzept könnte, selbst wenn es nicht die beste Lösung biete, die Strukturen im Viertel auflockern und durchlässiger machen.

© SZ vom 14.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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