Literatur:Barrikaden und Brücken aus Papier

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"Es hilft mir, mich hilfreich zu fühlen. Aber wenn ich aufhöre, fange ich einfach an zu weinen", sagte Oksana Sabuschko am Montagnachmittag im Telefongespräch mit der SZ. (Foto: Ivan Put)

Die ukrainische Schriftstellerin Oksana Sabuschko liest im Münchner Literaturhaus gegen den Krieg an.

Von Fiona Rachel Fischer, München

Bis vor kurzem wohnte sie in Kiew, jetzt ist die ukrainische Autorin Oksana Sabuschko zu einer Nomadin geworden. Am Samstag, 12. März, macht sie Halt im Literaturhaus München. Für eine Lesung mit dem Titel "Glauben Sie an unsere Tapferkeit". Die literarische Zusammenkunft wird wohl kein stiller Abend in gemeinsamem Glauben und kollektiver Bedrückung. Zusammen mit ihrem Übersetzer Alexander Kratochvil greift die Schriftstellerin zu ihren Wortwaffen und lädt das Publikum ein, mit ihr zu protestieren: "Ein Publikum, das eine Kulturveranstaltung mit einer Haltung besucht, als ginge man auf die Barrikaden, es versteht intuitiv, dass man in diesem Krieg [...] sich selbst anspornen muss: ,Fürchte Dich nicht! Schwächeln gibt's nicht!' (auch wenn es nur um eine Abendveranstaltung geht). Das ist bereits ein Sieg, sicher nur ein kleiner, doch der Sieg eines ganzen Volkes setzt sich aus solchen kleinen persönlichen Siegen zusammen." So schrieb sie in ihrem 2018 erschienen Essay "Der lange Abschied von der Angst" - eine Stimmung, die gut auf die Solidaritäts- und Protestkultur der vergangenen Tage passt.

Ihr Kampfgeist damals mahnt heute zur Hoffnung. Dabei befindet sich Sabuschko in einer ungeheuerlichen Lage. Als der russische Angriff begann, war die Autorin gerade verreist, nach Polen, für eine Lesereihe. Am Abend des 23. Februar stieg sie in das Flugzeug, mit leichtem Gepäck. Nicht mal ihren Laptop habe sie dabeigehabt. "Sie hatte mir noch gesagt, wenn sie das gewusst hätte, wäre sie nicht geflogen", sagt ihr Übersetzer Kratochvil. Am frühen Morgen kam dann der Anruf von ihrem Mann in Kiew. Alle Proteste über die frühe Uhrzeit erstickte ein einziger Satz: "Es hat angefangen, sie bombardieren uns." Der Zufall hat Sabuschko die Wahl genommen, ob sie in der umkämpften Ukraine bleiben oder das Land verlassen möchte. Heimatlos geht sie nun auf die Literaturbarrikaden. "Ich versuche alles zu tun, was ich kann", sagt sie im Telefongespräch mit der SZ. Sie könne hier wahrscheinlich hilfreicher sein, als von der Außenwelt abgeschnitten in einem Kriegsgebiet. Zudem sei der Aktivismus ein wichtiger Selbstschutzmechanismus. "Es hilft mir, mich hilfreich zu fühlen. Aber wenn ich aufhöre, fange ich einfach an zu weinen." Gerade eben war sie noch in Polen, dort sei sie laut Kratochvil "eine sehr gefragte Gesprächspartnerin und Kommentatorin der Ereignisse".

In Straßburg spricht sie vor dem europäischen Parlament

Schließlich wird Sabuschko als eine der bedeutendsten Autorinnen der Ukraine gehandelt. Ihr erster Roman "Feldstudien über ukrainischen Sex", der noch vor Erscheinen als Raubdruck der Autorin einen Namen machte, war ein internationaler Erfolg und demonstrierte die Scharfzüngigkeit, mit der die Autorin und Dichterin in ihren Werken die Verhältnisse in der Ukraine aufs Genaueste analysiert. Für ihren Schreibaktivismus in Sachen Ukraine war sie schon vor dem Konflikt 2014 bekannt. Ihr 2012 erschienener Essayband "Planet Wermut" beispielsweise setzt sich mit dem Unfall des ukrainischen Atomkraftwerks auseinander - Wermut heißt auf Ukrainisch Tschernobyl. Auf 760 Seiten bemüht sich die Autorin in ihrem Roman "Museum der vergessenen Geheimnisse" gegen das Vergessen und Verdrängen anzukämpfen und die ukrainische Geschichte des 20. Jahrhunderts wieder mehr ans Licht zu bringen. Laut Kratochvil eine informative Lektüre auch für diejenigen, die mehr über die geschichtlichen Hintergründe des Krieges erfahren möchten.

Mit mehreren Preisen ausgezeichnet und in zahlreiche Sprachen übersetzt, hat Sabuschko in der ukrainischen Öffentlichkeit eine gewichtige Stimme und ist nun gefragter denn je. "Ich arbeite den ganzen Tag. Ich spreche achtzehn Stunden jeden Tag, seit zwölf Tagen schon", sagt sie. Und Sabuschko hat viel zu sagen: "Es pisst mich wirklich an, jetzt in 2022, nachdem Putin angefangen hat, meine Städte zu bombardieren, von den westlichen Politikern und Entscheidungsträgern zu hören ,Oh mein Gott. Wer hätte es gedacht.'" Vor ihrem Besuch in München geht es noch nach Straßburg. Dort wird die ukrainische Autorin am 8. März vor dem europäischen Parlament sprechen. Auf Facebook kündigte sie am 5. März ihre Rede an und ermutigte ihre Mitmenschen nicht aufzugeben: "Gemeinsam, die ganze Welt, es kommt jetzt auf unsere Standhaftigkeit an!"

Am Samstag, 12. März, tritt sie dann in der bayerischen Landeshauptstadt auf. "Eine Stimme zu ergreifen und zu vermitteln, aufzuklären, aber eben auch gerade ukrainischen Künstlern, Künstlerinnen und Autoren Stimme zu geben", das sieht Katrin Lange vom Literaturhaus als die Aufgabe von Kultur in dieser Krise. Welche Texte von Sabuschko genau vorgestellt werden, ist noch nicht ganz sicher, so kurzfristig ist dieser Auftritt zustande gekommen. Fest steht, dass die Lesung in deutscher Sprache stattfinden wird. Annette Paulmann, Schauspielerin an den Kammerspielen, wird den übersetzten Texten von Sabuschko ihre Stimme leihen. Im Anschluss wird es eine gedolmetschte Diskussion zur aktuellen Lage geben. "Ich glaube, sie brennt da auch drauf, mit uns zu diskutieren" - so Kratochvil. Der Eintritt ist frei, um Spenden für die Sammelaktion der Stadt München wird gebeten.

Dies wird vorerst Sabuschkos einzige Lesung in Deutschland bleiben, denn danach kehrt sie nach Polen zurück, um ihre geplante Lesereihe fortzusetzen. "Ich bin dem polnischen Verlag sehr dankbar, dass sie die Lesereise verschoben haben", sagt Verena Nolte. Sie hat die Barrikadenlesung im Literaturhaus durch das Schriftstellernetzwerk "Paperbridge" ("Eine Brücke aus Papier") möglich gemacht. Das Projekt, das deutsche und ukrainische Autoren verbinden soll, besteht schon seit einigen Jahren. "Das haben wir 2015 gestartet, natürlich wegen des Krieges. Für uns hat der Krieg da begonnen, 2014." Gerade in der aktuellen Situation sei die gegenseitige Unterstützung wichtig. Zu den Kollegen in Mariupol sei der Kontakt jedoch schon abgebrochen. Dennoch habe bisher noch niemand versucht, das Kriegsgebiet zu verlassen. "Niemand will ausreisen. Wer drin ist, der bleibt", sagt Nolte. Sabuschko hingegen ist draußen. Wenn Straßburg, München und die Lesereihe in Polen hinter ihr liegen, dann wird sie sich im Exil ein Leben aufbauen müssen, bis sie in ihre Heimat zurückkehren kann. Was genau sie tun wird, darüber kann man aktuell nur spekulieren. Doch dass sie auf den Literaturbarrikaden bleibt, damit ist wohl schwer zu rechnen.

"Geschützt: Glauben Sie an unsere Tapferkeit" Ein Abend mit Oksana Sabuschko, Alexander Kratochvil u.a., Sa 12. März, 18 Uhr, Literaturhaus, Salvatorplatz 1, Saal- und Stream-Tickets unter www.literaturhaus-muenchen.reservix.de/events

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