Vogelwanderung:Ein Kreuz für jedes Zwitschern

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Hans Jakob und Eike Hagenguth vom Bund Naturschutz in Oberhaching bieten Vogelwanderungen an. Einige nehmen immer wieder teil und haben auch schon eigenes Wissen erworben. Knapp 20 Arten sichten sie auf einer Tour

Von Sophie Kobel, Oberhaching

Zwischen den Ästen des kahlen Laubbaumes rührt sich was. Ein kleiner blau-grauer Vogel mit rostbraunem Bauch flattert durch die Baumkrone. Rund 40 Augenpaare folgen von einem Feldweg aus jedem seiner Hüpfer. Eines davon gehört zu Hans Jakob. Er ist Hobby-Ornithologe und beobachtet an diesem Tag die ersten Vögel des Frühjahrs. "Das ist ein Kleiber", erklärt er seiner Gruppe. In dem Moment verschwindet der Vogel in einer kleinen runden Höhle auf mittlerer Höhe des Baumstammes. Kleiber wenden eine ganz besondere Taktik an.

Sie besetzen die Nester von Buntspechten und kleistern diese anschließend von innen mit Speichel und Lehm zu. Jakob lächelt verschmitzt: "Der Buntspecht ist nun zu groß, um bei seiner Rückkehr wieder in die Höhle zu kommen."

Damit die Teilnehmer genau wissen, welche Vogelarten sie bei der Tour gesehen haben, verteilt Jakob Listen mit allen bisher gesehenen Arten der Region: "Wir kreuzen übrigens alle gesehenen Arten an, auch einen Raben oder Spatz." Gemeinsam mit seinem Kollegen Eike Hagenguth leitet er die Vogel-Beobachtungen des Bund Naturschutz in der Ortgruppe Oberhaching.

Seit 30 Jahren beschäftigt er sich mit Vögeln: "Ein Newcomer."

Zur Vogelkunde kam er durch seinen jetzigen Kollegen, bei einem PC-Kurs hatten sich die beiden kennengelernt. Selbst sieht Jakob sich als "einen Newcomer". "Denn ich beschäftige mich erst seit 30 Jahren mit Vögeln. Eike macht das schon seit 70 Jahren. Es ist einfach eine Lebensaufgabe, weil es so viel zu wissen gibt."

Startpunkt der Wanderung ist an diesem Tag der Bahnhofplatz an der S-Bahn-Station Deisenhofen. Es geht am Hachinger Bach und dem Augarten entlang durch das Gleißental. Vogelbeobachtung ist eine unkomplizierte Sache, man benötigt nur die eigenen Augen und Ohren. Bereits nach zehn Minuten des Spaziergangs entdeckt ein kleines Mädchen den ersten Eichelhäher der Tour. Der Vogel sitzt auf dem Dach eines Gartenhäuschens und fällt durch seine schwarz-blauen Federspitzen auf.

Kurz vor dem Gymnasium Oberhaching packen ein paar Vogelliebhaber hastig ihre Ferngläser aus: ein Greifvogel zieht über dem Gebäude seine Kreise. Zwei Frauen diskutieren, ob es sich um einen Mäusebussard handelt. Hagenguth bestätigt ihre Vermutung und erklärt, dass es in der Gegend gar keine anderen Bussard-Arten gibt. Vor seiner Rente war er von Beruf Gärtner, stets mit einer Begeisterung für die Tierwelt.

"Ich habe schon als Kind immer Vögel aufgezogen und Tiere auf dem Land eingesammelt. Viele musste ich wieder freilassen, da war die Liebe manchmal einfach zu groß." Seinen Kollegen Hans Jakob bezeichnet er als "den gelehrigsten Schüler, den ich je hatte. Inzwischen ist er selbst ein Experte geworden". Beide arbeiten ehrenamtlich beim Bund Naturschutz, bieten dort verschiedene Führungen an. Über Vögel, Schmetterlinge und sogar Kröten, zu Fuß oder auf dem Rad. "Anfang Mai machen wir eine Rad-Tour durch mehrere Biotope und Kiesgruben. Wir legen viel mehr Kilometer zurück ,und es gibt ganz andere Vogelarten als hier", erzählt Jakob und holt einen Flyer aus dem Rucksack.

Warnungen per Smartphone-App

Über die Jahre haben die beiden treue Anhänger gesammelt. "Ich bin seit 2003 mit Herrn Jakob unterwegs und auf den Vorträgen hier. Man wird mit der Zeit viel aufmerksamer, auch im eigenen Garten. Zum Beispiel gibt es im Moment viele Rotkehlchen bei mir", erzählt die Oberhachingerin Josefine Leiter. Wie viele Vogelarten sie durchschnittlich bei einer Tour zu sehen bekomme? "Also 20 Arten haben wir bisher immer zusammengebracht." Die Gruppe steht inzwischen vor ein paar Fichten, die Gruppe versucht, die fünf bis acht Gramm leichten Goldhähnchen zu erkennen: "Es ist der kleinste Vogel, den es in unserer Region zu finden gibt. Er singt in so einer hohen Frequenz, dass Menschen über 60 Jahre ihn kaum noch hören können."

Trotzdem wahrnehmen kann man das Zwitschern des Goldhähnchens über eine Klangattrappe. Hagenguth hat sich die kleine Box umgehängt, durch die Kombination der Tasten können verschiedene Gesänge von Vögeln abgespielt werden. So können Ornithologen herausfinden, ob seltene und versteckt lebende Vogelarten in einer bestimmten Region noch zu finden sind. Hagenguth und Jakob betonen jedoch mehrmals, dass solche Geräusch-Imitationen nur mit großem Bedacht eingesetzt werden dürfen. Sie warnen auch vor Smartphone-Apps, die die Wiedergabe von Tierlauten anbieten. Besonders in der Brutzeitirritierten sie die Tiere schnell.

Langsam legt sich Schatten über das Tal, der Rundweg führt zurück zum Bahnhof. Eine Frau schaut gemeinsam mit ihrer Freundin verwundert auf die beiden Listen. Sie hatte mit mehr Tieren gerechnet. "Eigentlich ist heute der ideale Tag, es ist das erste Mal wieder richtig sonnig. Aber wahrscheinlich sitzen alle Vögel auf den Ästen und sonnen sich lieber anstatt herumzufliegen", sagt sie und lacht.

© SZ vom 07.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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