Geothermie:Weg von Energie-Importen

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Kein Märchen, sondern wahr: Auch das Freizeitbad Aquariush wird mit Thermalwasser beheizt. (Foto: Robert Haas)

Ein Fünftel der Stadt Unterschleißheim wird bereits mit CO₂-freier Erdwärme beheizt. Wegen des Kriegs in der Ukraine prüfen Politik und Rathaus einen massiven Ausbau der Kapazitäten, um unabhängig von Öl und Gas aus Russland zu werden.

Von Bernhard Lohr, Unterschleißheim

Die Unterschleißheimer waren schon 2003 Pioniere. Damals erkannten sie als erste im Landkreis München, und auch früher als die Stadt München, die Möglichkeit, das heiße Wasser tief aus der Erde zu nutzen, um klimafreundliche CO₂-freie Wärme in die Wohnungen zu liefern. Heute versorgt die Geothermie-Anlage mit einer Leistung von 39 Megawatt etwa ein Viertel aller Gebäude in der 30 000 Einwohner zählenden Stadt. Auch das Aquariush-Freizeitbad wird mit Thermalwasser gespeist. Der Anschluss weiterer Privathaushalte, Gewerbebauten und öffentlicher Gebäude ist geplant. Vor dem Hintergrund der aktuellen Energiekrise und dem verbreiteten Wunsch, sich wegen des Kriegs in der Ukraine von Öl und Gas aus Russland unabhängig zu machen, soll nun sogar untersucht werden, ob die gesamte Stadt an das Erdwärmenetz angeschlossen werden kann. Den Anstoß dazu hat der FDP-Lokalpolitiker Manfred Riederle am Donnerstagabend mit einem Antrag im Stadtrat gegeben.

Gelänge dies, würde Unterschleißheim als größte Stadt im Landkreis ein starkes Zeichen setzen, dass mit mutigen Investitionen gleich zwei Probleme auf einmal gelöst werden können: Die Klimakrise würde bekämpft und autoritäre Staaten, die vom Verkauf fossiler Energie profitieren, der Geldhahn zugedreht. Privathaushalte sowie Stadt und Unternehmen könnten zudem auf Versorgungssicherheit und bezahlbare Energie vertrauen. In der Vergangenheit lagen die Kosten für Erdwärme zwar über denen von Öl und Gas, doch aktuell ist man nach Auskunft aus der Stadt günstiger. Und die Kalkulation sei zuverlässiger.

FDP-Stadtrat Manfred Riederle weiß, dass er einen "großen, großen Stein" ins Wasser wirft mit seiner Forderung nach einem Ausbau der Geothermie. (Foto: Claus Schunk)

Doch so vielversprechend die Vision ist: Die Umsetzung wirft technisch und finanziell Fragen auf. Er wisse, dass er einen "großen, großen Stein" ins Wasser werfe, sagt FDP-Stadtrat Riederle. Schließlich geht es um gewaltige Investitionen. Dennoch hält der Liberale es angesichts der aktuellen politischen Lage für geradezu "alternativlos, groß zu denken". Es sei eine "Zeitenwende", zitiert Riederle Bundeskanzler Olaf Scholz, und eine nationale Herausforderung, die Energieversorgung nachhaltig zu gestalten. Geothermie sei eine für die nächsten 100 oder 200 Jahre nutzbare Wärmequelle. Um diese zu sichern, weiß Riederle, der auch Aufsichtsrat in der kommunalen Geothermie Unterschleißheim AG (GTU) ist, aber auch: "Wir werden auf eine zweite Bohrung angewiesen sein."

Der Stadtrat hat am Donnerstag mehrheitlich beschlossen, im Sinne der FDP mögliche Ausbaukapazitäten prüfen zu lassen. Dagegen stimmte - mit Ausnahme von Lissy Meyer - ausgerechnet die Fraktion der Grünen. Die Mitglieder der Klimaschutzpartei begründeten ihr Nein nicht weiter, sondern machten sich lediglich die Bedenken zu eigen, die Thomas Stockerl, der Vorstandschef der GTU, geäußert hatte: Eine Versorgung der gesamten, ausgedehnten und zugleich kleinteilig strukturierten Stadt mit Erdwärme sei ökonomisch und technisch nicht machbar, sagte Stockerl. Selbst mit einer zweiten Bohrung käme man nur auf 40 Prozent Abdeckung, und im Sommer könnte die Erdwärme mangels Wärmebedarf gar nicht genutzt werden.

Die sehr gut funktionierende Anlage hat nach Stockerls Worten vergangenes Jahr 65 000 Megawattstunden Wärmeenergie produziert. Die GTU schickt Fernwärme in 277 Wohngebäude, 4135 Wohneinheiten sind angeschlossen. Hinzu kommen elf Gewerbekomplexe, darunter der Business Campus, und 16 kommunale Gebäude wie etwa das Gymnasium und die Realschule. Der gesamte Wärmeverbrauch in der Stadt wird laut Treibhausgasbericht des Landkreises mit 300 000 Megawattstunden beziffert, der Versorgungsgrad liegt also bei gut einem Fünftel aktuell. Angesichts der Abhängigkeit von Energielieferungen aus Russland war die Stadtratsmehrheit dennoch dafür, dem FDP-Antrag zu folgen und das Vorhaben zumindest genauer anzuschauen. Es gehe bei der Energie-Souveränität um ein "wichtiges Anliegen" für die Zukunft, sagte Stefan Krimmer (CSU). Thomas Breitenstein (SPD) fand es sinnvoll, frühzeitig Überlegungen in Richtung "Autarkie" anzustellen. FDP-Mann Riederle selbst fehlte in der Sitzung.

Die Geothermie-Anlage in Unterschleißheim läuft seit Jahren zuverlässig. (Foto: Schunk Claus)

Der bestehende Ausbauplan der Stadt sieht unter anderem vor, dass als nächstes die Ganghoferschule und das Feuerwehrgebäude ans Netz gehen. Auch das neue Gartenquartier neben dem Business Campus soll folgen, ebenso der Büro-Komplex Koryfeum. Die Privathaushalte, die an der von der Heizzentrale am Aquariush in Lohhof-Süd auf dem Weg zum Feuerwehrhaus an der Carl-von-Linde-Straße zu verlegenden Fernwärmeleitung liegen, sind angeschrieben worden und ihnen ist ein Angebot unterbreitet worden.

Auch plant die GTU bereits, ihre Kapazität auszubauen. Allerdings nicht mit einer zweiten Bohrung, wie sie Stadtrat und GTU-Aufsichtsrat Riederle als großer Wurf vorschwebt. Laut Stockerl läuft nach einem zweijährigen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren bei der Regierung von Oberbayern derzeit die Ausschreibung, um an der Heizzentrale eine Absorptionswärmepumpe zu installieren. Mit dieser könnte die Restwärme im rücklaufenden Thermalwasser genutzt werden. Auf diese Weise könnte Stockerl zufolge bei geplanter Inbetriebnahme zur Heizperiode 2023 die Leistung der Gesamtanlage von 39 auf immerhin bis zu 60 Megawatt erhöht werden. Der aktuell abgedeckte Wärmebedarf könnte von 25 auf gut 30 Prozent gesteigert werden. "Das ist unsere Vision", sagt Stockerl. Ökologisch und ökonomisch sei dieser Schritt sinnvoll.

Nach 16 Jahren musste die Pumpe im Bohrloch im Valentinspark ersetzt werden. Sie hielt länger durch als erwartet worden war. (Foto: Steven Ahlrep/Stadt Unterschleißheim)

Schon bisher ist das Geothermie-Projekt ein Erfolgsmodell. Weil Unterschleißheim relativ weit im Norden des Molassebeckens liegt, unter dem das heiße Thermalwasser zu finden ist, musste die Bohrung 1999 nicht so tief getrieben werden wie etwa in Unterhaching oder Pullach. In 2000 Metern Tiefe stieß man auf Wasser, das mit 80 Grad aber auch nicht die hohe Temperatur hat, die südlich von München erreicht wird. Stromerzeugung war deshalb nie Thema. Dafür wurde die erwartete Fördermenge übertroffen. Mit dem Öl- oder Gaskessel im Fernwärmewerk muss laut Stockerl erst zugeheizt werden, wenn die Außentemperatur bei null Grad liegt. So erreiche man eine 70-Prozent-Abdeckung bei der geleisteten Wärmeproduktion, ohne Klimagase auszustoßen. Mit der Wärmepumpe soll die Quote noch erhöht werden. "Die Anlage läuft hervorragend", sagt Stockerl. Erst 2020 habe man nach 16 Jahren im Betrieb die zentrale Pumpe im Förderschacht austauschen müssen. Seit 2014 - und damit viele Jahre früher als kalkuliert - ist die Stadt finanziell in der Gewinnzone. Eine halbe Million Euro Gewinn wurde zwischenzeitlich erwirtschaftet. Doch der Stadt gehe es um Klimaschutz und nicht um Rendite, sagt Stockerl. Das Geld werde wieder in den Ausbau investiert. 14,5 Millionen Euro sollen das in den nächsten Jahren sein.

Mit der Aufnahme hoher Darlehen zum Aufbau der Heizanlage und des Fernwärmenetzes war Unterschleißheim vor mehr als 20 Jahren ins Risiko gegangen. Rückwirkend spricht Stockerl von einer "goldrichtigen Entscheidung". Riederle wünscht sich nun den "nächsten mutigen Schritt". Die Bürger, ist der FDP-Mann überzeugt, würden mit Aussicht auf eine sichere Wärmeversorgung mitziehen und sich bereitwillig anschließen. Kredite ließen sich auf Jahrzehnte finanzieren. "Wir sitzen auf dem größten Tiefenwärme-Vorkommen in Deutschland." Jetzt gelte es, den "Schatz" endgültig zu heben.

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