Brauchtum:Urbayerisches Boule

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Plattln kennt man nicht überall im Landkreis. In Aying ist es allerdings beliebt. (Foto: Schunk Claus)

Beim "Steckäplattln" wirft man mit einer abgerundeten Metallscheibe auf einen Holzklotz. Doch das Spiel aus bäuerlichen Zeiten ist kaum bekannt, hat Nachwuchsprobleme und zu wenige Frauen. Die CSU veranstaltet ein Turnier zum ersten Mal in Unterhaching.

Von Flavia Klingenhäger und Laura Richter, Unterhaching

Kommendes Wochenende kann man beim Spaziergang im Unterhachinger Ortspark etwas beobachten, was es in der Gemeinde schon seit gut 80 Jahren nicht mehr gegeben hat: Gruppen, die Metallplatten auf einen quadratischen Holzklotz werfen. Dem Kenner ist klar, dass es sich trotz ähnlichem Spielablauf nicht bloß um eine eckige Variante des Parkspiels Boule handelt. Nein, dieses urbayerische Spiel ist unter dem Namen "Steckäplattln" mehr oder minder gut bekannt. Selbst die sachkundige Kreisheimatpflegerin des Landkreis München, Christine Heinz, hat noch nie von dem Spiel gehört. Das liegt vermutlich daran, dass das Wurfspiel außer in einem 20 Kilometer Radius um den Schliersee heute kaum noch gespielt wird. Der Sauerlacher Ortschronist Helmut Berthold erinnert sich noch daran, dass das Steckäplattln in seiner Kindheit, also in den Vierziger- und Fünfzigerjahren, als Brauch üblich war. "Durch die veränderte Freizeitgestaltung und zunehmende Mobilität interessierte das Steckäplattln seit den Sechzigerjahren jedoch niemanden mehr", so der Chronist.

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Bei dem "Plattl", handelt es sich um eine zehn mal zehn Zentimeter große und einen Zentimeter dicke Metallplatte, die meist aus Blei oder Eisen gefertigt ist. Eine von vier Ecken des Wurfgeräts ist abgerundet, um dem Werfer einen besseren Grip zu gewähren. Die Teams bestehen aus vier Spielern und versuchen mit ihrer Metallplatte möglichst nah an das 13 Meter entfernte, hölzerne "Steckä" (altbairisch für Stöckchen) zu werfen. Als Gewinner geht die Mannschaft vom Platz, deren Plattl die kürzeste Entfernung zum Steckä hat. Um sich selbst einen Vorteil zu verschaffen, können die gegnerischen Plattl rausgeworfen werden. "Das ist beim Steckäplattln jedoch deutlich schwerer als beim Boule, weil die Plattl oft tief im Rasen stecken", erklärt Klaus Zeitler vom 1. FC Plattler aus Miesbach. Er ist seit der Gründung des Vereins 1991 mit dabei und "plattlt" seitdem einmal die Woche mit seinen 15 Vereinskollegen. Rund um den Schliersee, wo das Spiel seinen Ursprung haben soll, gibt es sogar die Steckäplattl-Liga, in der jedes Jahr die beste der insgesamt zehn Mannschaften ermittelt wird.

Das einst vergessene Spiel wurde so zumindest regional wiederbelebt, auch wenn es sich dabei freilich um eine Nischensportart handelt. Daher wäre auch eine Massenproduktion des Wurfgeräts vermutlich wenig lukrativ, die Spieler müssen ihre Plattl eigens beim Schmied in Auftrag geben. Und die sind nichts für untrainierte Wurfarme: "Mein Plattl wiegt genau 770 Gramm", erzählt Zeitler, der sein Plattl beim Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung zum ersten Mal auf die Waage gelegt hat. Es wiegt also in etwa so viel wie ein ordentlicher Laib Bauernbrot. Das klingt zwar erst einmal nicht so schwer, ist aber auf 13 Meter Wurfstrecke gesehen alles andere als ein Fliegengewicht. Es verwundert daher nicht, dass eine der wichtigsten Regeln aus dem offiziellen Handbuch der Steckäplattler lautet, dass unbedingt nur in eine Richtung geworfen werden darf. Der Hobby-Plattler mutmaßt, dass das Gewicht verbunden mit der weiten Wurfstrecke ein Grund für den Frauenmangel in dieser Sportart sein könnte. "Die älteren Herrschaften bohren sogar Löcher in ihre Plattl, damit sie leichter werden", sagt er, "das war früher nicht erlaubt, aber heute ist das schon in Ordnung".

Was die Tegernseer regionale Presse als "geheimen Sport der Einheimischen" betitelt hat, stamme aus der alten bäuerlichen Zeit und wurde vermutlich meist von Hüterbuben gespielt, wie Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler erzählt. Das Besondere am Steckäplattln ist, dass das ursprüngliche Kinderspiel auch in den Alltag der Erwachsenen Einzug fand, so der Heimatpfleger. "Sonst waren Erwachsene gegenüber Kinderspielen eher abgeneigt und sie hatten ohnehin wenig Freizeit", sagt Göttler. Wenn Erwachsene plattlten, dann wahrscheinlich um eine Runde Bier oder geringe Pfennigbeträge. Dass man sein Vermögen beim Steckäplattln verspielte, ist Göttler zufolge eher unwahrscheinlich, weil es bei Tageslicht stattfand. "Beim Schafkopfen oder dem Tarock kam es schon mal eher vor, dass man seinen ganzen Hof verspielt hat". Göttler vermutet, dass das Steckäplattln zur selben Zeit wie das Eisstockschießen populär war, dessen Zählweise dieselbe wie beim Steckäplattln ist. Grund zur Annahme, dass das Steckäplattln ein typisches Spiel der herbstlichen Jahreszeit gewesen sein könnte, das nach der Erntezeit aber vor Wintereinbruch zur Belustigung der landwirtschaftlich geprägten Bevölkerung beitrug. Göttler geht davon aus, dass das Plattln mit dem Ende der bäuerlichen Landwirtschaft zur Nachkriegszeit ausgestorben ist.

Trotz regionaler Reanimation gibt es heute ein großes Nachwuchsproblem bei den Steckäplattlern. Die meisten Mitspieler seien bereits über 60, erzählt Zeitler. "Wir würden uns mehr Nachwuchs wünschen". Denn der Reiz des Spiels gehe von der Geselligkeit aus: "Man tauscht sich aus und trinkt gemeinsam ein Glas Bier", sagt der Plattler.

Kerstin Schreyer (CSU), von Februar 2020 bis Februar 2022 Verkehrsministerin in Bayern. (Foto: Sebastian Gabriel)

Die Geselligkeit pünktlich zum Wahlkampfbeginn ist mutmaßlich auch der Grund, aus dem die Unterhachinger CSU am kommenden Samstag zum Steckäplattl-Turnier in den Ortspark lädt. Die CSU-Landtagsabgeordnete und ehemalige Verkehrsministerin Kerstin Schreyer ist seit über zwanzig Jahren begeisterte Steckaplättlerin, seitdem sie das erste Mal beim jährlichen Plattln der CSU in Sauerlach dabei war. "Ich finde diese Art von Spiel einfach eine total schöne Art des Zusammenkommens", so Schreyer, "deshalb wollte ich es unbedingt auch einmal in meiner Heimatgemeinde veranstalten". Sie sieht eine Chance für Jung und Alt, Kontakt zu knüpfen und in der "hoffentlich post-pandemischen Phase" eine neue Form des Miteinanders zu finden. Alle, die selber gerne einmal plattln wollen, können das am 15. Oktober um 14 Uhr gemeinsam mit der Unterhachinger CSU. Treffpunkt ist bei trockenem Wetter im Ortspark Unterhaching. Anschließend soll gemeinsam gegrillt werden.

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