Ukraine-Krieg:"Es ist vollkommen okay, auch schöne Dinge zu machen"

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Der Krieg in der Ukraine geht allen nahe. Beatrix Stosch empfiehlt, sich trotzdem einen Alltag zu bewahren. (Foto: Lino Mirgeler/dpa)

Wie mit traumatisierten Geflüchteten umgehen? Beatrix Stosch, Fachärztin für Psychosomatik, gibt in Garching Tipps und erklärt, worauf man selbst achten sollte.

Von Irmengard Gnau, Garching

Auch im Landkreis München sind inzwischen die ersten Geflüchteten aus der Ukraine angekommen. Beatrix Stosch ist Fachärztin für psychosomatische Medizin in München. Am Samstag, 19. März, gibt sie auf Einladung des Garchinger Helferkreises praktische Tipps, wie Helferinnen und Helfer mit den Geflüchteten und ihren Kriegserfahrungen umgehen können.

SZ: Frau Stosch, Tausende Menschen fliehen derzeit aus dem Krieg in der Ukraine, auch nach Bayern. Viele Menschen in der Region München wollen sie unterstützen, bieten Hilfe oder Unterkunft an. Beim Kontakt sind manche aber unsicher, wie sie am besten auf die Geflüchteten zugehen sollen. Was raten Sie?

Beatrix Stosch: Wenn Kriegsgeflüchtete kommen, ist generell davon auszugehen, dass sie Schlimmes erlebt haben, vielleicht traumatisiert sind. Das Wichtigste ist dann, menschlich zu sein und ein offenes Ohr zu haben. Es ist sicherlich nicht gut, nachzubohren, was genau ein Mensch alles erlebt hat, sonst droht womöglich eine Re-Traumatisierung. Aber man sollte auch kein Tabu daraus machen. Wenn ein Geflüchteter das Bedürfnis hat zu reden, sollte man ein offenes Ohr haben. Daneben ist es wichtig, Geflüchteten einen sicheren äußeren Rahmen zu geben, ihnen immer wieder zu vermitteln: "Du bist hier in Sicherheit, dir kann hier nichts mehr passieren. Ich bin jetzt für dich da." Das kann dann praktisch bedeuten, sie zum Beispiel bei Behördengängen zu unterstützen. Dazu zählt auch, von Anfang an offen darüber zu sprechen, wie lange die Geflüchteten etwa in einer Privatwohnung bleiben können, damit sie am Ende nicht noch einmal das Erlebnis haben, plötzlich weg zu müssen.

Wenn bei Geflüchteten die Sorgen hochkommen, die Gedanken in die Ukraine wandern, wie weit können Helferinnen und Helfer sie auffangen? Und wann braucht es professionelle Hilfe?

Sicher ist es nur in einem normalen menschlichen Rahmen möglich, Zuhörer zu sein. Wenn die Menschen, die man aufnimmt, akute Belastungssymptome zeigen, wie etwa dass sie nicht schlafen können, sogenannte Flashbacks von Kriegserlebnissen haben oder körperliche Reaktionen wie Schwitzen, Herzrasen oder Dissoziation zeigen, sollten sie sich weiterführende Hilfe suchen.

Beatrix Stosch ist Fachärztin für Psychosomatik in München. (Foto: privat)

Wir erhalten eine ungekannte Menge von Bildern vom Krieg aus der Ukraine, man kann im Netz das Kriegsgeschehen geradezu im Livestream verfolgen. Was macht das mit uns?

Das ist so eine unvorstellbare Situation, die sehr viele Gefühle hervorruft, die uns vielleicht überwältigen. Das ist völlig nachvollziehbar. Wenn ich aber in so einem Zustand der Überwältigung bin, kann ich auch nicht helfen. Deshalb ist es wichtig, diese Ohnmacht, die wir angesichts dieser Informationsflut spüren, auszuhalten, zu akzeptieren, dass ich als Einzelner den Krieg nicht beenden kann.

Wie kann man sich selbst stärken angesichts dessen?

Das Ziel muss es sein, unsere Selbstwirksamkeit zu erhalten, wie man in der Psychologie sagt, also das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, dass ich etwas bewirken kann. Es ist ein Trugschluss, dass ich umso besser vorbereitet bin, je mehr Informationen über den Krieg ich ansammle. Im Gegenteil, das trägt eher zur Lähmung bei. Wir sollten uns besser genaue Zeiten vornehmen, vielleicht zweimal am Tag, zu denen wir Nachrichten schauen oder lesen, aber dafür die ständigen Push-Meldungen abstellen. Und wir sollten auch mit anderen nicht nur ständig über den Krieg sprechen. Es ist wichtig, sich einen Alltag zu erhalten. Es ist vollkommen okay, auch schöne Dinge zu machen.

Wie kann man einen solchen Alltag mit und für Geflüchtete gestalten?

Es ist hilfreich, Routinen aufzubauen, etwa gemeinsam zu kochen. Ich rate außerdem zu körperlichen Aktivitäten. Gefühle machen immer auch etwas mit unserem Körper und unser Körper beeinflusst unsere Gefühle. Es kann für Geflüchtete daher gut sein, kleine Spaziergänge zu machen, mit allen Sinnen wahrzunehmen, im Hier und Jetzt zu sein. Außerdem hilft es zu schauen, was die Menschen in ihrer Heimat immer gern gemacht haben, wo ihre Fähigkeiten liegen, und das hervorzukehren und für sie auch wieder spürbar werden zu lassen. Das kann Musikmachen sein, aber auch kleine Dinge wie sie nach einem Rezept zu fragen.

Die Veranstaltung des Helferkreises Garching mit Beatrix Stosch beginnt am Samstag, 19. März, um 10 Uhr im Pfarrsaal der katholischen Gemeinde St. Severin Garching. Es gilt die 3-G-Regel. Voranmeldung per E-Mail an Gerhardt.garching@freenet.de . Der Verein Refugio München hat eine Beratungshotline eingerichtet, nähere Informationen unter www.refugio-muenchen.de/ukraine.

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