SZ-Serie "Landmarken":Affenfelsen mit Aussicht

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Der Putzbrunner "Affenfelsen" ist weithin sichtbar. (Foto: Claus Schunk)

Wenn das Terrassenhaus in Putzbrunn auch nicht bei allen mit seiner Erscheinungsform punkten kann, so ist es doch bei den Bewohnern beliebt. Zumindest, nachdem es saniert wurde

Von Stefan Galler, Putzbrunn

Stundenlang im Auto unterwegs - für Kinder eine Geduldsprobe. Das war auch vor 40 Jahren schon so. Und wenn dann das erste Gebäude auftaucht, das man mit der Heimat in Verbindung bringt, stellt sich nicht nur ein Gefühl der Geborgenheit ein, sondern vor allem Freude darüber, dass man bald da ist.

Das als Putzbrunner Terrassenhaus bekannte achtstöckige Bauwerk dürfte für viele Kinder in Vergangenheit und Gegenwart eine solche Wirkung haben. Auf dem Nachhauseweg in den südöstlichen Landkreis war das Hochhaus auch zu früheren Zeiten schon ein Fixpunkt. Und wie es da auch heute noch steht, unmittelbar an der Grenze zu Putzbrunn Ort, schräg gegenüber dem Grundstück der mittlerweile abgerissenen Alten Brennerei an der Münchener Straße 2, ist es immer noch ein Blickfang.

Wenn auch optisch nicht jedermanns Sache. Bürgermeister Edwin Klostermeier reagiert jedenfalls mit einer Mischung aus Erstaunen, Belustigung und leichter Empörung, wenn man ihm eröffnet, dass man ausgerechnet diesen Kasten in der Zeitung vorstellen will, in einer Serie über besonders prägende Gebäude der Gemeinden im Landkreis München. "Ach je, unser Terrassenhaus", ruft der Rathauschef aus und man spürt förmlich, wie schlimm er die Architektur des auffälligen Betondreiecks wohl finden mag.

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(Foto: Claus Schunk)

Zwei Stockwerke zu hoch, vier Meter zu weit im Osten - beim Bau des Terrassenhauses gab es einige Ungereimtheiten.

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(Foto: Claus Schunk)

Bewohner wie Mario Daser stört das jedoch nicht.

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(Foto: Claus Schunk)

Puristisch modern: Das Bad in der Penthaus-Wohnung des Putzbrunner Terrassenhauses.

Ursprünglich waren drei Ungetüme vorgesehen

Und doch kann der SPD-Politiker über die Geschichte des Putzbrunner Wolkenkratzers wenig erzählen. Er war auch vor wenigen Wochen überhaupt erstmalig drin, um einer dort wohnenden Seniorin zum Geburtstag zu gratulieren. Immerhin: Die schöne Aussicht habe Klostermeier durchaus beeindruckt, meldet der Flurfunk in den höheren Stockwerken.

Der Bürgermeister verweist an eine seiner erfahrensten Mitarbeiterinnen im Rathaus: Die Standesbeamtin Regina Richter, seit 40 Jahren in der Gemeindeverwaltung angestellt, sollte konkretere Kenntnis über das Siebzigerjahre-Konstrukt besitzen. Und tatsächlich, jetzt gibt es die ersten Fakten: 1972 wurde das Haus gebaut, ursprünglich seien sogar drei solcher Ungetüme vorgesehen gewesen.

"Aber dann hat ein Sinneswandel in Putzbrunn eingesetzt, man ist weggekommen von großen Wohnhäusern und hat eher auf Einfamilien-, Doppel- und Reihenhäuser gesetzt", sagt Regina Richter und muss amüsiert schmunzeln: "Irgendwie hat es um dieses Haus immer Trouble gegeben, das fing schon damit an, dass die obersten beiden Stockwerke ursprünglich gar nicht genehmigt worden waren."

Das bestätigt Heinrich Busch, der mit seiner Ottobrunner Immobilienfirma seit fast 30 Jahren als Verwalter für das Terrassenhaus tätig ist. "Geplant war es als E plus 6", sagt der Ingenieur, "aber dann hat der Bauherr aus München-Laim einfach einen siebenten Stock draufgebaut und darüber ein Schwimmbad."

Eng und hoch: Das Treppenhaus im achtstöckigen Terrassenhaus. (Foto: Claus Schunk)

Dieser Luxus-Pool machte dann allen Beteiligten über viele Jahre das Leben schwer: "Man hat es einfach nicht dicht bekommen, ständig gab es Wasserschäden im ganzen Haus, bis wir es irgendwann endgültig stillgelegt haben", berichtet Heinrich Busch. 1998/99 war das, doch nicht nur beim Umwandeln des Wellness-Bereiches in ein Loft mussten Verwalter und Ingenieure leidvoll erfahren, dass man es beim Bau offenbar in mehrerlei Hinsicht nicht so genau genommen hatte.

Seit 20 Jahren ist die Firma am sanieren

Seit 20 Jahren sei seine Firma damit beschäftigt, die Terrassen und Balkone zu sanieren, weil hier ursprünglich minderwertige Baustoffe verwendet worden seien, sagt Busch: "Das war billiges Material aus der DDR, das damals tonnenweise herübergekarrt wurde."

Der Wärmeschutz sei unzureichend gewesen, "die Wände waren dauernd kalt" und die Firma eines selbstständigen Abdichters musste im Zuge des Baus 1972 sogar Insolvenz anmelden, weil Honorare zu spät geflossen seien. Und dann war da noch die grundsätzliche Fehlpositionierung des Mega-Gebäudes: Laut den offiziellen Plänen, die im Bauamt Putzbrunn liegen, steht das Haus um vier Meter zu weit im Osten.

Das alles ficht die Bewohner nicht an, sie fühlen sich wohl in dem ungewöhnlichen Gebäude. Das gilt vor allem für diejenigen, die weit oben wohnen. So residiert im ehemaligen Schwimmbad in der obersten Etage mittlerweile Mario Daser, ein ambitionierter Münchner Profiboxer, mit seiner Frau Tanja und dem neugeborenen Baby Damian. Seit Jahresbeginn lebt das Paar hier und genießt die prächtige Aussicht von den beiden Dachterrassen aus.

Von außen hätten sie sich gedacht, das sei ja nicht gerade ein architektonisches Meisterwerk, von den Putzbrunnern wird das eigentümlich konstruierte Gebäude nicht umsonst verächtlich "Affenfelsen" genannt. Als die beiden dann aber das auf mehreren Ebenen angelegte 191-Quadratmeter-Loft gesehen habe, sei die Entscheidung schnell getroffen worden: Hier wollten sie leben.

Womit sich der Faustkämpfer und seine Gattin in eine illustre Runde einreihen, in den oberen Etagen haben nämlich schon mehrere schillernde Persönlichkeiten gewohnt. Als es das Schwimmbad noch gab, sollen die Räumlichkeiten einem finanziell nicht gerade gut situierten Architekten gehört haben, er verkaufte die Immobilie - angeblich mit nicht ganz lauteren Mitteln - an den Posaunisten einer Münchner Band. Auch bei dem passte der wirtschaftliche Aufwand, sich ein solches Domizil leisten zu können, nicht zu seinen Einkünften, er zog schon bald wieder aus.

Das undichte Schwimmbad gibt es nicht mehr

Oft standen die Luxuseinheiten im 28,25 Meter hohen Haus leer, doch seit es das undichte Schwimmbad nicht mehr gibt, erfreuen sie sich gesteigerter Beliebtheit. Eine Schlossbesitzerin aus Brandenburg hat hier gewohnt, auch die Enkelin von Wehrmacht-General Paulus, der im Zweiten Weltkrieg die 6. Armee in Stalingrad in den Untergang geführt hatte.

Und so produziert das Terrassenhaus in Putzbrunn, der Affenfelsen, dem viele Bewohner aus ästhetischen Gründen so skeptisch gegenüber stehen, noch immer kleine Geschichten. Gut möglich, dass die nächste von einem schon bald bekannten Box-Champion handelt.

© SZ vom 27.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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