SZ-Serie: Kaum zu glauben, Folge 7:"Als Soldat ist man näher dran an den großen Fragen"

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Einmal in der Woche treffen sich die Mitglieder der evangelischen Hochschulgemeinde an der Universität der Bundeswehr, um gemeinsam zu frühstücken und zu beten. Der Glaube hilft den jungen Leuten, wenn sie Zweifel oder Versagensängste plagen.

Von Julia Fietz und Anna-Maria Salmen, Neubiberg

Um halb sieben Uhr morgens ist die Welt noch stockfinster, die ungemütliche Kälte kriecht durch alle Kleidungsschichten. Durch den Nieselregen ist kaum etwas zu erkennen. Nur das Licht vereinzelter Straßenlaternen erhellt den Weg über das Gelände der Universität der Bundeswehr in Neubiberg. Der Gedanke an das warme Bett lässt einen nicht los. Schließlich taucht die weiße Fassade einer kleinen Kirche aus dem Dunkel auf.

Im Gebäude daneben sitzen im Trockenen ungefähr dreißig junge Menschen, zum Teil schon im Feldanzug. Alle sind sie andächtig still, einige schließen für einen Moment die Augen. Vor ihnen stehen Kaffeekannen und Brotkörbe. Barbara Hepp, Pfarrerin der evangelischen Hochschulgemeinde, tritt vor die Studierenden und schlägt eine Bibel auf. "Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Kein Volk wird gegen das andere das Schwert erheben, und sie werden fortan nicht mehr lernen, Krieg zu führen", zitiert die Seelsorgerin den Propheten Micha. Eine Bibelstelle wie geschaffen als Denkanstoß für ihre Zuhörer, in deren Leben die Frage nach Krieg und Frieden eine so große Rolle spielt.

Einmal wöchentlich trifft sich die evangelische Hochschulgemeinde, um gemeinsam zu beten und zu frühstücken. Trotz der frühen Stunde finden immer wieder viele Studierende den Weg in die Kirche, berichtet Hepp: "Viele Soldaten haben einen tiefen Glauben und ziehen daraus Kraft für ihren Beruf." Die Sinnfrage sei ein ständiger Begleiter im Soldatenleben. Gerade in Auslandseinsätzen fänden viele zum Glauben, Taufen kämen in diesen Situationen recht oft vor. "Als Soldat ist man näher dran an den großen Fragen des Lebens, näher an großer Schuld", so Hepp. Versagensängste lägen nahe und kämen in der Beichte immer wieder zur Sprache.

Regelmäßig erkundigt sich die Pfarrerin bei den Studierenden nach deren Bedürfnissen und Wünschen im Gemeindeleben. Die Antworten ähnelten sich meistens, eine Sache eine aber alle: "Wo Kirche draufsteht, soll auch Kirche drin sein." Liturgische Angebote wie ein Bibelkreis würden sehr gut angenommen werden.

Eine Besonderheit auf dem Neubiberger Campus: Die meisten Soldaten leben direkt auf dem Gelände, müssen also nicht erst eine lange Anfahrt bewältigen, um an den Angeboten der Militärseelsorge teilzunehmen. Etwa die Hälfte der Studierenden gehört laut Hepp einer christlichen Konfession an. Die christliche Kirche steht rund um die Uhr offen, ausdrücklich für Anhänger aller Religionen und Konfessionen.

Eine Dreiviertelstunde ist vergangen, die Brotkörbe sind leer, die Tassen ausgetrunken. Gleich beginnen die ersten Vorlesungen. Während des Frühstücks wurden ein Klemmbrett und ein Stift von Tisch zu Tisch gereicht. Die Studierenden haben dort Gebete und Bitten niedergeschrieben. Barbara Hepp liest sie vor. Für einen kranken Vater, der die Hoffnung nicht aufgeben soll, für einen Kameraden, der mit Zweifeln zu kämpfen hat, für die Soldaten im Ausland. Kein einziges Gebet bezieht sich auf die eigene Person. Sie zeugen von einem ausgeprägten Sinn für Gemeinschaft.

"Der Glaube verbindet", sagt Alexander Ruge. Der 21-Jährige studiert in Neubiberg Mathematical Engineering, wollte nach eigenen Angaben schon immer Offizier werden. "Der Glaube vermittelt auch ein Wertekonstrukt, das in unserem Beruf eine große Rolle spielt", fügt sein Kamerad Maximilian Jost hinzu. In seinem Studium der Staats- und Sozialwissenschaften beschäftigt sich der 24-Jährige viel mit christlicher Ethik - gerade für Offiziere, die Verantwortung für ihre Untergebenen übernehmen, ist diese seiner Ansicht nach zentral.

Pfarrerin Barbara Hepp von der evangelischen Hochschulgemeinde frühstückt mit den Soldaten in der Kirche. (Foto: Claus Schunk)

Die beiden Studenten schätzen die Angebote der Militärseelsorge aus einem weiteren Grund: "Ein Gespräch mit dem Pfarrer steht nicht in den Akten", erzählt Ruge. Es finde außerhalb der Strukturen statt, ganz neutral. So falle es leichter, sich persönliche Anliegen von der Seele zu reden.

Wenn jemandem mal etwas auf dem Herzen liege, könne er sich problemlos an seine Kameraden wenden, betont auch Fabian Schulze. "Ich würde hier nie auf Ablehnung stoßen." Der 22-Jährige kommt aus Kiel und studiert seit dem laufenden Trimester Psychologie in Neubiberg. Zuhause hat er zwei Patenkinder. Es ist ihm wichtig, Antworten auf die Fragen der Kleinen nach Sinn und Zweck der Feiertage, dem Tod oder Ähnlichem geben zu können, das Verständnis für die Religion zu fördern. "Den Platz für den Glauben habe ich in meinem Leben gefunden", sagt der Student.

Auch bei dem Gedanken an Auslandseinsätze - stets präsent in den Köpfen der jungen Soldaten - hilft der Glaube den Studierenden häufig. "Jeder kennt jemanden, der gerade im Einsatz ist", sagt Jost. Regelmäßig beten die jungen Männer für ihre Kameraden, sind mit den Herzen bei ihnen. Angst davor, selbst einmal in ein Krisengebiet geschickt zu werden, haben sie nicht. "Es ist ja der Sinn des Berufs, vor Ort helfen zu können", sagt Jost.

In der Offiziersausbildung werden die Studierenden laut Ruge zudem gut auf mögliche Auslandseinsätze vorbereitet. Dass bei jedem Einsatz ein Seelsorger die Soldaten begleitet, gibt vielen zusätzlich Sicherheit. "Der Glaube gibt mir ein gewisses Zutrauen: Der Herr ist da und wacht über jeden meiner Schritte", davon ist Ruge überzeugt. Schulze machen die Auslandseinsätze ebenfalls keine Sorgen, er verlässt sich auf die Gemeinschaft der Soldaten: "Da sind überall Leute, die einen aus dem Dreck ziehen würden."

Auf die Frage, ob der Beruf eines Soldaten mit der christlichen Friedensethik überhaupt vereinbar sei, antworten die jungen Männer, ohne zu zögern. "Wir sind da, um Menschen und das System Demokratie und Staat zu schützen, wir sind da, um zu helfen." Psychologisch helfe es ungemein, für etwas zu kämpfen, das Hoffnung verspreche. Jost sieht es ähnlich: "Wir möchten für den Frieden stehen." Die Studierenden sind mit sich spürbar im Reinen, auch über schwierige Themen sprechen sie ruhig und überlegt. Töten etwa sei in jeder Situation der letzte Ausweg, betont Schulze.

Ein Kamerad in lebensbedrohlicher Notlage sei ein solcher Fall, in dem auch zu diesem letzten Mittel gegriffen würde, um ihm zu helfen. "Das Gewissen steht immer an erster Stelle", ergänzt Jost. Man arbeitet auf den Frieden hin und will erreichen, dass es keinen Krieg mehr gibt und keine Gewalt mehr nötig ist, fasst sein Kamerad Sven Keineke, Student der Wirtschaftsinformatik, zusammen: "Das Ziel ist im Prinzip, sich als Militär selbst abzuschaffen."

© SZ vom 10.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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