SZ-Adventskalender:Wenn das Dach über dem Kopf wackelt

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Letzte Zuflucht Nachtunterkunft: Die Wohnungsnotfallhilfe der Arbeiterwohlfahrt setzt sich dafür ein, dass Menschen ihr Obdach nicht verlieren. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Stefan Wallner und sein Team von der Wohnungsnotfallhilfe der Arbeiterwohlfahrt unterstützen Menschen im Landkreis, die ihre Bleibe zu verlieren drohen - oder schon ausziehen haben müssen.

Von Irmengard Gnau, Landkreis München

In Stefan Wallners kleinem Büro steht ein hellbrauner Wackeldackel gleich neben dem Bücherregal mit dem sichtlich oft genutzten Nachschlagewerk "Privatinsolvenz". Zwischen diesen beiden Polen, dem oft sehr ernsten Rechtlichen und dem besonders Menschlichen, spielt sich auch Wallners Arbeit ab. Mit seinen 14 Kolleginnen und Kollegen von der Wohnungsnotfallhilfe der Arbeiterwohlfahrt (Awo) hat der 55-Jährige jeden Tag mit Menschen aus dem Landkreis München zu tun, die nicht mehr wissen, wie sie ihre Miete zahlen sollen, die eine Zwangsräumung fürchten oder verzweifelt eine neue Bleibe suchen.

Bei Wallner und seinem Team finden sie Beratung und zupackende Hilfe. "Wir unterstützen jeden, der zu uns kommt und irgendwo ein Wohnungsproblem hat", sagt Wallner. Das Symbol der Wohnungsnotfallhilfe ist ein kleines rotes Haus mit einem Pflaster darauf. Das Pendant dazu in der Realität steht an der Balanstraße 55, nahe dem Münchner Ostbahnhof. Dort hat der Awo-Kreisverband seit 2020 seine Sozial-Servicestellen vereint, die Schuldner- und Insolvenzberatung ebenso wie die Wohnungsnotfallhilfe und die Wohnsuche "WoHin", eine Art Sozialbürgerhaus für den Landkreis.

Der Landkreis München zählt im bundesweiten Vergleich zu den Regionen mit den höchsten Mieten. Wer da den Job verliert, wegen einer körperlichen oder psychischen Krankheit, eines Unfalls oder anderer Probleme lange ausfällt oder sich nach Trennung oder Tod des Partners neu aufstellen muss, kommt schnell in finanzielle Nöte. Auch Arbeitnehmer in Jobs mit niedrigem Gehalt, Alleinerziehende und Rentner tun sich zunehmend schwer, die Mieten zu bezahlen. Die jüngsten weltweiten Krisen haben Ängste und Sorgen verstärkt. Wenn die Probleme alles überdecken und die Überweisung der Miete untergeht, liegt rasch die Kündigung der Wohnung im Briefkasten. "Es ist wichtig, sich bewusst zu machen: Morgen könnte es mich auch treffen. Jeder kann in ein Loch fallen", sagt Wallner. Die Arbeit des Beratungsteams setzt daher nicht nur an der Wohnsituation an, sondern konzentriert sich auf die ganze Geschichte eines Menschen. "Wenn der Verlust der Wohnung droht, hat ein Mensch meistens noch weitere Probleme", sagt Wallner aus Erfahrung. Schulden haben sich angesammelt, eine Suchtkrankheit hat sich entwickelt, der Arbeitsplatz ist weg, soziale Unterstützung fehlt. Die Wohnungsnotfallhilfe bietet oder vermittelt in all diesen Bereichen Beistand.

Stefan Wallner, Leiter der Awo-Wohnungsnotfallhilfe für den Landkreis München. (Foto: Awo/oh)

Die Beratungsstelle teilt sich in drei Fachgebiete auf. Wenn eine Kündigung der Wohnung droht, hilft die "Fachstelle zur Verhinderung von Obdachlosigkeit" (FOL). Die Präventionsstelle gibt es seit 15 Jahren, sie wird vom Landkreis finanziert. Die Fachleute von der FOL setzen sich mit dem Vermieter in Verbindung, helfen bei Anträgen, der Sicherung der Finanzen und vermitteln die Betroffenen im Bedarfsfall etwa an die Schuldnerberatung oder andere Hilfsstellen. 3101 Menschen, darunter 448 Kindern, konnten Wallners Kollegen 2021 so helfen. Ist die Wohnung tatsächlich nicht mehr zu halten, unterstützt die Fachstelle bei der Suche nach einer neuen, zum Team zählt auch eine Immobilienfachwirtin. Menschen, die Schwierigkeiten haben, durch die sie in Gefahr geraten, ihre Wohnung zu verlieren, können seit zehn Jahren das kostenfreie Angebot "Unterstütztes Wohnen" wahrnehmen. Sozialarbeiter helfen dabei, die Lebenssituation zu stabilisieren.

Seit 2009 bietet die Awo zudem eine Wohnungslosenberatung an. 2021 lebten im Landkreis 302 Menschen in Wohnungslosenunterkünften, davon 91 Kinder. Für die Unterbringung von Betroffenen sind die jeweiligen Kommunen zuständig. Doch damit ist es nicht getan. "Im Landkreis München ist erfreulicherweise in den vergangenen Jahren das Bewusstsein gewachsen, dass jemand, der wohnungslos ist, ein größeres Problem hat", sagt Wallner. 23 der 29 Kommunen im Landkreis arbeiten heute mit der Wohnungslosenberatung zusammen - mit dem Ziel, die Menschen "wieder raus zu bringen aus ihrer Misere", wie Wallner sagt. Das Fernziel ist es, wieder in eigene vier Wände ziehen zu können. "Die Wohnungssuche steht aber am Ende des Prozesses, der Mensch muss erst wieder einen Fuß auf die Erde bringen und seine sonstigen Probleme lösen. Das ist auch wichtig für Vermieter", sagt Wallner. Um an dieses Ziel zu gelangen, besuchen die Sozialpädagoginnen und -pädagogen der Awo die Menschen regelmäßig, unterstützen und motivieren. Mit Erfolg: 2021 konnten 126 Menschen durch die Beratung die Unterbringung wieder verlassen. "In jedem Menschen steckt etwas Wertvolles - wir müssen es nur suchen", sagt Wallner.

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