Streik im Nahverkehr:Festgefahren

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Die GDL hat ihren Streik ausgesetzt, dennoch bleibt das U-Bahn-Netz ausgedünnt. Der Grund: Die Lokführer könnten jederzeit wieder zuschlagen. Wir klären die wichtigsten Fragen zum Streik.

Marco Völklein

Es ist schon eine absurde Situation: Da ruft eine Gewerkschaft zum Streik auf, setzt diesen dann aus - und dennoch ist das U-Bahn-Netz ausgedünnt, werden Trambahnen am Stadtrand durch Busse ersetzt und die Nachtlinien gestrichen. So hat die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) auf den Nahverkehrsstreik reagiert. Viele Fahrgäste sind davon genervt; doch so rasch wird sich nichts ändern. Die Lage ist kompliziert. Die SZ klärt die wichtigsten Fragen:

Weiterhin Gedränge auf den Bahnsteigen: Auch wenn die GDL ihren Streik derzeit unterbrochen hat, bleibt das U-Bahn-Netz ausgedünnt. (Foto: dpa)

Wieso gilt das Notnetz, obwohl derzeit gar nicht gestreikt wird?

Die GDL hat den Streik nur ausgesetzt - und sie hat offengelassen, wann sie ihn wieder fortsetzt. Das ist der Knackpunkt: Bislang gab sie Streikaktionen extrem kurzfristig bekannt; die Fahrer fielen ohne Ankündigung aus. Die MVG musste rasch reagieren, Ersatzfahrer organisieren, die zum Teil auf Urlaub und Freizeit verzichteten. Auf Dauer ist das nicht möglich. Mit dem Notnetz kann die MVG den Betrieb auch notfalls ohne GDL-Fahrer aufrechterhalten, sollten diese wieder die Arbeit niederlegen.

Doch, aber eben nicht in den Bussen und Bahnen, die das Notnetz bilden. Die MVG setzt GDL-Fahrer in Verstärkerzügen ein - also zum Beispiel in Zügen, die auf den Wiesn-Linien zum Einsatz kamen, um die Fahrgastmassen zu transportieren. Zuletzt sollen sich aber auch viele GDL-Fahrer krankgemeldet haben. So betrug der Krankenstand laut MVG am Freitag in der U-Bahn-Sparte 15,5 Prozent (normal sind acht Prozent). Unter den GDL-Fahrern sollen sich sogar 28,3 Prozent krankgemeldet haben. "Da grassiert offenbar eine Seuche, die ausschließlich GDL-Mitglieder trifft", sagt MVG-Chef Herbert König.

"Nein", sagt MVG-Chef König. Konkrete Zahlen nennt er aber nicht. Klar ist lediglich: Um das Notnetz anbieten zu können, hat die Gesellschaft 15 Leiharbeiter angeheuert und Busse von privaten Betreibern angemietet. Parallel laufen die Gehaltszahlungen an die GDL-Mitglieder weiter, solange diese ihre Arbeit nicht niederlegen.

Hinzu kommt, dass bei Ersatzfahrern Überstunden anfallen; und die Arbeit von Führungskräften bleibt liegen, weil viele am Steuer einspringen. All das kostet Geld. Zudem rechnet König mit Mindereinnahmen, weil Fahrgäste wegbleiben und keine Einzel- oder Tagestickets lösen. Wie hoch diese Mindereinnahmen ausfallen werden? Auch dazu sagt König nichts.

So lange die GDL ihren Streikaufruf nicht zurücknimmt, will die MVG ihren Notfahrplan bedienen - und GDL-Fahrer, soweit sie denn zum Dienst erscheinen, auf Verstärkerfahrzeugen einsetzen. Dass die GDL ihren Streikaufruf zurücknimmt, ist aber unwahrscheinlich. Für die nächsten Tage hat sie zu Versammlungen eingeladen. "Danach geht es weiter", heißt es auf Flugblättern. Aus MVG-Sicht hat sich also nichts geändert: Die GDL kann jederzeit zuschlagen.

Nein, die Situation ist absolut festgefahren. Beide Seiten beharren auf ihren Positionen. Knifflig macht die Lage auch noch ein anderer Umstand: Die GDL ist eine Mitgliedsgewerkschaft des Dachverbands dbb Tarifunion. Dieser Dachverband vertritt zahlreiche kleinere Gewerkschaften - und er will nun, so sehen es zumindest Beobachter, am Beispiel des Nahverkehrs in Bayern zeigen, dass er mit kleinen Spartengewerkschaften für eine bestimmte Berufsgruppe tarifpolitische Ziele durchsetzen kann.

Übergeordnet geht es also um einen Machtkampf zwischen der dbb Tarifunion und den großen Gewerkschaften, die im Deutschen Gewerkschaftsbund organisiert sind. Wie soll man den lösen, wenn es angeblich nur um Arbeitszeitregelungen geht?

Seit Donnerstag hat die MVG ihre Kräfte auf den Betrieb tagsüber konzentriert - und das Nachtnetz mit dieser Begründung komplett eingestellt. Derzeit lässt König nach eigener Aussage prüfen, ob man mit weiteren Leiharbeitern oder Bussen von privaten Unternehmen das Nachtnetz wieder anlaufen lassen kann. Ob das tatsächlich so kommt, ist offen.

In München nicht. Das Landesarbeitsgericht hatte zuletzt entschieden, dass in Nürnberg die GDL bis 14.Oktober nicht mehr zum Streik aufrufen darf. Grund: Dort sind viele GDL-Forderungen zur Verbesserung der Dienstzeiten in einem örtlichen Tarifvertrag geregelt. Damit seien die Streikaufrufe in Nürnberg rechtswidrig gewesen. In München existieren solche Sonderregelungen nicht; daher kann auch der Streik nicht juristisch gestoppt werden. MVG-Chef König wollte aber Rechtsstreitigkeiten nach Beendigung des Konflikts nicht ausschließen.

© SZ vom 05.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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