Trauer:Bäumen statt Kindern beim Wachsen zusehen

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Eltern, die ihre Kinder während der Schwangerschaft oder bei der Geburt verlieren, finden nur selten Erinnerungsorte - wie etwa hier auf dem Friedhof in Ebersberg. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

In Unterföhring soll ein Erinnerungswald für Familien entstehen, die durch Fehl- oder Totgeburt ein Kind verloren haben. Als Erstes muss jedoch ein geeignetes Grundstück gefunden werden.

Von Laura Geigenberger, Unterföhring

Wenn Eltern ihr Kind durch eine Fehl- oder Totgeburt verlieren, fehlt ihnen oft ein Ort, an dem sie trauern können. Erinnerungswälder sollen eine Möglichkeit bieten, um den Verlust zu verarbeiten und Menschen mit dem gleichen Schicksal zu begegnen. Eltern können dort symbolisch einen Baum für ihr verstorbenes Kind pflanzen, es so in gewisser Weise besuchen und ihm beim Wachsen zusehen. In Unterföhring soll nun der erste am Münchner Stadtrand entstehen, er könnte Vorbild für andere in ganz Deutschland werden.

Die Unterföhringerin Natascha Sagorski und Philipp Schwarz, der Fraktionsvorsitzende der SPD im örtlichen Gemeinderat, haben mit ihrer Idee eines solchen Platzes für Angehörige sogenannter Sternenkinder alle politischen Gruppierungen im Rathaus überzeugt: Ihr Antrag, eine Wiesenfläche in der Gemeinde für einen Erinnerungswald und die Pflanzung von Bäumen zu widmen, wurde vom Gemeinderat einstimmig gebilligt. Nun geht es an die Ausarbeitung des Konzepts.

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"Für den ersten Schritt will die Kommune versuchen, gemeinsam mit dem Landratsamt ein Grundstück für den Erinnerungswald zu finden", erläutert SPD-Fraktionschef Schwarz. Dieses solle zwar auf Unterföhringer Boden liegen, aber dem Landkreis München gehören - dadurch würde die Gedenkstätte allen Betroffenen aus den 29 Kommunen im Landkreis offenstehen. Auch viele Detailfragen - etwa, wie die Plätze verteilt und bepflanzt werden oder wer die Setzlinge finanziert - müssten noch geklärt werden.

Einig sind sich die beiden Antragsteller Sagorski und Schwarz darin, dass sich der Gedenkpark aus Obstbäumen zusammensetzen soll. "Die Idee ist, dass die Familien später einmal Früchte von ihrem Baum ernten können", sagt Schwarz. Jedes der Gewächse werde außerdem ein Schild bekommen mit dem Geburtsdatum des Kindes und dessen Namen, wenn es denn bereits einen hatte.

Natascha Sagorski, die sich neben der örtlichen Initiative auf Bundesebene für eine Reform der Mutterschutzregelung nach Fehlgeburten engagiert, sieht die einstimmige Zusage des Unterföhringer Gemeinderates als großen Erfolg an. "Das ist ein sehr schönes und wichtiges Zeichen", sagt die 39-Jährige. Ihr gehe es darum, das Thema Fehl- und Totgeburten sanft an die Öffentlichkeit heranzutragen. Mithilfe der Bäumchen könne es symbolisch sichtbar gemacht und enttabuisiert werden.

Engagiert sich für die Mütter, die ihre Kinder während der Schwangerschaft oder bei der Geburt verlieren: Natascha Sagorski aus Unterföhring. (Foto: Benjamin Jenak)

"Fehlgeburten haben immer noch ganz viel mit Schuld- und Schamgefühlen zu tun", sagt Sagorski. "Viele der Frauen denken, dass sie - beziehungsweise ihr Körper - etwas falsch gemacht hat. Damit geht man natürlich nicht gerne hausieren." Die Unterföhringerin verlor 2019 selbst ein Kind in den ersten Schwangerschaftsmonaten. Aus dieser Erfahrung heraus wisse sie, dass viele Betroffene lange nicht offen über ihren Verlust und ihre Gefühle sprechen könnten. In einem Erinnerungswald - nach Worten der Unterföhringer Familienrechtsaktivistin ein "lebendiger" Ort - sollen sie sich hingegen dazu bestärkt fühlen, sich auszutauschen und ihre Trauer gemeinsam zu bewältigen.

Gleichzeitig sollen den Menschen Berührungsängste genommen werden. "Ich glaube, unsere Gesellschaft hat verlernt, mit Tod und Sterben umzugehen und sich damit auseinanderzusetzen", sagt Sagorski. "Wir müssen das Tabu brechen, indem auch Menschen, die nicht betroffen sind, auf die Geschichten hinter den Bäumen aufmerksam werden. Ich fände es schön, wenn der Erinnerungswald dafür so ein Anlaufpunkt wäre - wo vielleicht der Sonntagsspaziergang vorbeigeht und man sich einfach mal über Sternenkinder und ihre Familien Gedanken macht."

Das Ziel ist, deutschlandweit Gedenkorte zu schaffen

Die Unterföhringerin sowie SPD-Mann Philipp Schwarz hoffen nun, dass sich die Kommune für die Konzeption der besonderen Streuobstwiese an bestehenden Projekten orientiert. Unter anderem wollen sie dafür mit "Sterneneltern Schwaben" zusammenarbeiten. Die Initiative hat bereits an mehreren Standorten in den Landkreisen Donau-Ries sowie Neu-Ulm Erinnerungswälder angelegt und wäre bereit, "Logistikfragen" wie die Online-Präsenz und Kommunikation sowie die Herstellung der Namensschildchen in Unterföhring zu übernehmen. Die Gemeinde selbst müsste somit nur die Grundstückspflege verantworten.

"Für die Verwaltung würde der Erinnerungswald also kaum Aufwand bedeuten", sagt Natascha Sagorski. Auf Veranstaltungen will sie im kommenden Jahr Politiker und Betroffene zusammenbringen. Dadurch hoffe sie, eine schnelle Umsetzung des Projektes in Unterföhring zu erwirken. "Das Projekt wird mich in den nächsten Wochen und Monaten auf jeden Fall begleiten", sagt sie.

Und das soll erst der Anfang sein. Sollte sich die Idee in Unterföhring als erfolgreich erweisen, will sich Sagorski dafür einsetzen, dass bayern- oder gar deutschlandweit viele weitere solcher Gedenkorte für Sternenkinder und ihre Familien entstehen. "Denn wenn es gut funktioniert, muss man versuchen, es groß zu machen", ist Sagorski überzeugt. Der Erinnerungswald in Unterföhring könne somit für Gemeinden in der ganzen Bundesrepublik zum Vorbild werden.

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