SPD München-Land:Genossen ohne Kompass

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(Foto: Claus Schunk)

Geschwächt, zerstritten, ratlos - wohin steuert die Kreis-SPD um Natascha Kohnen 15 Monate vor der Kommunalwahl?

Von Lars Brunckhorst

Nicht nur, wer zu einer Feier kommt, ist interessant. Noch interessanter ist manchmal, wer alles nicht kommt. Als die Kreis-SPD diese Woche ihren jahrzehntelangen Fahrensmann Peter Paul Gantzer verabschiedete, gehörte zu zweiter Gruppe etwa die frühere Landrätin Johanna Rumschöttel. Die prominente Sozialdemokratin nahm ebenso wenig an der Feierstunde im Kleinen Theater Haar teil wie etliche rote Bürgermeister, etwa Christoph Böck aus Unterschleißheim, Dietmar Gruchmann aus Garching und Alexander Greulich aus Ismaning.

Sie hatten andere, für sie offenbar wichtigere Termine, als dem Mann die Ehre zu erweisen, der für die SPD nicht nur 40 Jahre lang den Stimmkreis München-Land Nord im Landtag vertrat, sondern der auch für ein Vierteljahrhundert ihr Vorsitzender im Landkreis München war und überhaupt eine gefühlte Ewigkeit das Gesicht der Sozialdemokratie im Landkreis - oder wenigstens in dessen nordöstlichem Teil zwischen Unterschleißheim und Ottobrunn.

Mit dabei waren bei der Feier am Montag dafür die Rathauschefs aus Haar, Grasbrunn, Feldkirchen und Putzbrunn. Auch einige ehemalige Mandatsträger wie die beiden früheren Bezirksräte Jan Murken und Günter Rödig, von denen der eine zur Wahl im Oktober nicht mehr angetreten war, der andere nicht mehr gewählt wurde. Was ein Licht auf die SPD im Landkreis München und ihren Zustand wirft. Denn seit der Wahl im Oktober hat der Kreisverband keinen Vertreter mehr im Bezirkstag - im Gegensatz zu CSU, Grünen und sogar der AfD.

So wie der SPD-Kreisverband seither in Natascha Kohnen, der Landesvorsitzenden und erfolglosen Spitzenkandidatin, auch nur noch eine Abgeordnete im Landtag hat. Denn Annette Ganssmüller-Maluche, der stellvertretenden Landrätin aus Ismaning, ist es nicht gelungen, quasi als Nachfolgerin von Gantzer in den Landtag gewählt zu werden. Und einen eigenen Bundestagsabgeordneten hat die SPD München-Land schon seit 2005 nicht mehr. Der letzte war Otto Schily.

Das allein sagt schon viel über die Stärke und Bedeutung der SPD im Landkreis München aus, denn der frühere Innenminister ist im Grunde Berliner und hat auch zu seiner Zeit als Abgeordneter mit dem Wahlkreis und den Genossen im Landkreis stets gefremdelt. Seither ist es für die SPD nicht besser geworden vor den Toren der Stadt München, die sie seit 1948 fast durchgehend mit wechselnden Oberbürgermeistern regiert.

Bei der Bundestagswahl 2017 kamen die Sozialdemokraten im Landkreis mit 14 Prozent nur auf Platz drei - hinter CSU und FDP - und bei der Landtagswahl im Oktober gar nur noch auf den vierten Platz - hinter CSU, Grünen und FDP und nur knapp vor Freien Wählern und AfD.

Im Stimmkreis Nord holte die Grünen-Kandidatin Claudia Köhler, obwohl in Unterhaching zu Hause, doppelt so viele Stimmen wie die Lokalmatadorin, die Ismaninger SPD-Kreis- und Gemeinderätin Annette Ganssmüller-Maluche. Selbst Natascha Kohnen, die Landesvorsitzende und Spitzenkandidatin, schaffte es als Direktkandidatin im Stimmkreis Süd nur auf zwölf Prozent der Erststimmen. Und das in einem Jahr, da die SPD eigentlich stolz zurückblicken könnte: Vor genau 100 Jahren wurde der Freistaat Bayern gegründet, mit dem Sozialdemokraten Kurt Eisner als ersten Ministerpräsidenten.

Die Schwäche der Sozialdemokraten im Landkreis hat Folgen. Weil die Partei nurmehr eine einzige Abgeordnete zählt, fehlt dem Kreisverband auch Geld, denn die Mandatsträger spenden für gewöhnlich einen Teil ihrer Diäten und Aufwandsentschädigungen der Partei. Außerdem verliert diese durch den Mandatsverlust wichtige Strukturen und Informationskanäle in den Landkreis. In die Lücke springen die Grünen, die neuerdings gleich zwei Abgeordnete im Landtag haben.

Was ist bloß los mit der ehemals stolzen Partei, die immerhin von 2008 bis 2014 die Landrätin stellte und immer noch die Bürgermeister in acht von 29 Rathäusern stellt, darunter in so großen und wichtigen Kommunen wie Unterschleißheim, Unterhaching und Garching?

Und als wäre das alles nicht schon schlimm genug, liefern sich die verbliebenen Protagonisten der SPD gehässige Streitereien. So warf die erfolglose Annette Ganssmüller-Maluche unlängst auf Facebook ihrer Parteifreundin Natascha Kohnen vor, deren Wahlkampf habe "keinen Wähler hinterm Ofen hervorgelockt". Und obwohl sie seit der Niederlage eine "nackte Kaiserin" sei, hänge sie an ihrem Amt. "So schaffen wir es noch unter fünf Prozent", ätzte die Ismaningerin. Gantzer, ein Förderer und familiärer Freund Kohnens, bezeichnete die Anwürfe seiner Intimfeindin als "unanständig". Beide sind seit Jahren über Kreuz, spätestens seit Gantzer - erfolglos - versuchte, sie als Landtagskandidatin zu verhindern.

Die SPD-Kreisvorsitzende Bela Bach, sonst nicht immer unbedingt einig mit Ganssmüller-Maluche, legte dagegen nach. Zusammen mit anderen Genossen aus dem Kreis wie Altlandrätin Rumschöttel und Garchings Bürgermeister Gruchmann unterzeichnete sie einen Brandbrief an die Landesvorsitzende, in dem diese mehr oder weniger direkt aufgefordert wird, den Weg freizumachen für einen Neuanfang. Schon unmittelbar nach der Wahl hatte Bach Kohnen kaum verblümt den Rücktritt nahegelegt.

Viele Protagonisten sind sich in herzlicher Abneigung verbunden

Auch andere Spitzenleute können schon länger nicht mehr miteinander: So ist etwa das Tischtuch zwischen Kohnen und Rumschöttel zerschnitten, wiewohl es die Altlandrätin war, die die heutige SPD-Chefin einst in die Politik holte. Und Ingrid Lenz-Aktas, die Fraktionsvorsitzende im Kreistag, wird trotz der rührseligen Abschiedszeremonie diese Woche Gantzer ebenfalls keine Träne nachweinen. Er hat sie zweimal als Landtagskandidatin ausgebremst. Ganssmüller-Maluche wiederum, wiewohl mit der Kreisvorsitzenden Bach in ihrer Opposition zu Kohnen einig, dürfte immer noch nicht verwunden haben, dass sie vor Jahren im Duell um den Kreisvorsitz gegen die deutlich Jüngere verlor.

Fakt ist: Die Spitzenleute sind sich spinnefeind. Oder zumindest in herzlicher Abneigung zu getan. Und das zu einer Zeit, da die wichtigen Kommunalwahlen bevorstehen. Im März 2020, also in gerade einmal 15 Monaten, werden die Gemeinde- und Stadträte, die Bürgermeister, der Kreistag und der Landrat gewählt. Und die SPD muss fürchten, dass sie auch im Kreistag, wo sie noch 16 Sitze von 70 hat, von den Grünen als zweitstärkste Kraft abgelöst wird.

Auch einige Rathäuser gelten nicht als sicher, vom Gewinn anderer ganz zu schweigen. Im Süden, von Grünwald über Oberhaching bis Aying, hat sie sowieso seit eh und je nichts zu gewinnen. Mancherorts ist die Frage, ob die SPD überhaupt eine Liste zustande bekommt, geschweige denn einen Bürgermeisterkandidaten findet. Mittlerweile ist die SPD im Landkreis so geschwächt, dass sie in einigen Gemeinden wie etwa Aying und Straßlach gar keine Ortsvereine mehr hat.

In dieser Zeit tritt also ihr Patron von der politischen Bühne ab, an dem sich viele gerieben und die Zähne ausgebissen haben, den sie geschätzt, geehrt und mitunter verwünscht haben, der aber auch den Kreisverband immer wieder zusammengehalten hat. Etliche in der Partei haben diesen Augenblick lange herbei gesehnt, doch nun haben sie niemanden, der die Lücke füllen könnte.

Es ist niemand da, der die Lücke füllen könnte

Gantzers Rivalin Ganssmüller-Maluche? Nach ihrer Klatsche bei der Landtagswahl braucht sie nicht darauf zu hoffen, 2020 noch einmal von ihrer Partei als Landratskandidatin nominiert zu werden. Lenz-Aktas? Ist bei parteiinternen Nominierungen für höhere Ämter bereits wiederholt unterlegen. Natascha Kohnen? Ist eine Landesvorsitzende auf Abruf. Die Bürgermeister? Haben alle keine Ambitionen jenseits ihrer Kommunen. Und Bela Bach?

Die Kreisvorsitzende ist zwar jung, aber bereits zweimal mit ihren Kandidaturen für den Bundestag gescheitert und war zuletzt mehr auf Berggipfeln und Almwiesen zu sehen als etwa im Landtagswahlkampf. Die anderen Jungen - ebenfalls Fehlanzeige. Florian Spirkl aus Oberschleißheim, der vielen als Hoffnungsträger galt, hatte aus persönlichen Gründen eine Landtagskandidatur abgelehnt.

Katharina Dworzak, Haars zweite Bürgermeisterin und Tochter des langjährigen Bürgermeisters Helmut Dworzak, hat mehr mit ihren Kindern zu tun. Die Taufkirchnerin Ramona Greiner galt zwar als hoffnungsvolle Bezirkstagskandidatin, wurde aber ebenfalls vom allgemeinen SPD-Tief mitgerissen. Bleiben Leute wie der umtriebige Taufkirchner SPD-Vorsitzende Matteo Dolce oder Juso-Sprecher Kevin Cobbe.

Will die SPD bei den Wahlen 2020 nicht untergehen, wird es Zeit, dass sie sich neu sortiert. Und ihre Rivalitäten beilegt. Oder mit den Worten Gantzers, die er seinen Parteifreunden bei seinem Abschied am Montag zurief: "Streitet euch nicht!"

© SZ vom 08.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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