Smart City:Die Vermessung Kirchheims

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Diese Drohne ist über den Kirchheimer Kreisel geflogen und hat den Verkehr gemessen. (Foto: Gemeinde Kirchheim)

Vor einem Jahr startete die IHK ein Pilotprojekt zur Optimierung des Autoverkehrs in der Gemeinde. Inzwischen sammeln Wissenschaftler und Start-ups hier Daten für alle möglichen Anwendungen.

Von Christina Hertel, Kirchheim

"Wir sitzen auf Öl, aber wir bohren nicht danach", sagte Kirchheims Wirtschaftsförderer Tobias Schock in der Gemeinderatssitzung am Montagabend. Er meinte damit einen Schatz, den es zu bergen gelte, der aber nicht glänzt und glitzert, sondern auf den ersten Blick etwas trocken wirkt: Daten - "die Währung der Zukunft", wie Schock sie nannte.

Seiner Meinung nach wissen Gemeinden theoretisch zwar viel über ihre Bürger, ziehen aber keine Schlüsse daraus. In Kirchheim soll sich das ändern: Dort startete die Industrie- und Handelskammer (IHK) vor gut einem Jahr ein Pilotprojekt, um mit Big Data den Verkehr zu optimieren. Mittlerweile geht es dabei nicht mehr nur um Autos, sondern um die gesamte Infrastruktur.

Ursprüngliches Ziel war, mit Sensoren Verkehrsströme zu messen, Staus vorherzusagen und den Verkehr so umzuleiten, dass Autofahrer möglichst flüssig fahren können. Doch nun ist dieses Projekt größer geworden als zunächst gedacht: Es beteiligen sich zehn Start-ups, sechs Hochschulen, auch große Technologieunternehmen wie Infineon und Spacenet sind dabei.

Sechs Studenten und ein Doktorand befassen sich in ihren Arbeiten mit dem Kirchheimer Verkehr. Im Zentrum steht nicht mehr nur der motorisierte Verkehr, sondern auch Fußgänger und Radfahrer. Und zum Einsatz kommen nicht nur Sensoren, sondern auch Drohnen und Geräte, um die Schadstoffbelastung der Luft zu messen.

Am Ende soll die Gemeinde die Daten nutzen können, um Straßen, Fuß- und Radwege zu planen, um Ampeln richtig zu schalten und den öffentlichen Nahverkehr zu optimieren. Ladenbesitzer sollen erfahren, wann die wenigsten Passanten vorbeilaufen und sie am besten Pause machen können. Und der Winterdienst soll wissen, welche Straßen wann am meisten befahren werden und wo er mit dem Räumen beginnen muss.

Theoretisch sollen die Messsysteme, die in Kirchheim zum Teil zum ersten Mal ausprobiert werden, überall anwendbar sein. Doch Kirchheim eignet sich auch deshalb als Testfeld, weil schon jetzt klar ist, dass der Verkehr dort in Zukunft enorm zunimmt und dass es zum Chaos kommen könnte, wenn die Kommune nicht aufpasst. Durch das neue Quartier am Ortspark ist laut Schock schon jetzt klar, dass der Verkehr um ein Drittel wachsen wird. Außerdem findet in der Gemeinde 2024 die Landesgartenschau statt. In dieser Zeit könnte sich der Verkehr etwa verdoppeln, meint der Wirtschaftsförderer.

Fußgänger werden anhand der Geräusche ihrer Schritte gezählt

Seit Anfang des Jahres stehen in Kirchheim an vier Ecken Sensoren, auch Drohnen sind bereits über dem Ort aufgestiegen. Die Gemeinde weiß jetzt zum Beispiel, dass der größte Rückstau aus Süden kommt und dass die Autofahrer dort maximal dreieinhalb Minuten warten mussten. Doch um mit diesen Daten tatsächlich etwas anfangen zu können, müsse die Gemeinde noch länger und vor allem an weiteren Stellen messen. Es sei auch noch nicht klar, welches der Messsysteme sich am besten eigne, sagt Schock.

Zudem gebe es fast kein Budget: Die Gemeinde beteilige sich mit 25 000 Euro, hinzu kommen jeweils 10 000 Euro von der IHK und dem Landkreis. Doch das Ganze sei vor allem eine Investition in die Zukunft, ein Beitrag in Wissenschaft und Innovation. Kirchheim, sagt Schock, sei für verschiedenen Start-ups und Wissenschaftler quasi zum Forschungsobjekt geworden.

Noch diesen Sommer beginnt zum Beispiel das Münchner Start-up Hawa Dawa mit neuen Sensoren die Schadstoffbelastung in Kirchheim zu messen. Ein anderes junges Unternehmen stellt einen sogenannten Soundcounter auf, der Passanten zählt - durch die Geräusche, die sie beim Vorbeigehen machen. Und ein weiteres Start-up aus Germering will mit einem Schlauchsystem auf dem Boden die Anzahl der Fahrräder erfassen.

Vorstellen könnte sich Schock verschiedene Systeme miteinander zu verbinden: Wie wirkt es sich auf die Schadstoffbelastung aus, wenn Autofahrer, sofern sie sich an die Geschwindigkeit halten, nicht mehr an der Ampel warten müssen? Oder was passiert, wenn die Gemeinde in bestimmten Straßen Einbahnregelungen schafft? All das soll die Kommune mit Computerprogrammen simulieren können. Die Ergebnisse sollen Gemeinderäten helfen, Entscheidungen zu treffen.

Einen Entwurf für ein solches Programm haben Studenten der Technischen Universität bereits entwickelt. Noch diesen Sommer soll es zum Einsatz kommen. Wie belastbar die Ergebnisse tatsächlich sind, die die Software ausspuckt, sei jedoch nicht klar, sagt Schock. Doch selbst wenn es scheitert, selbst wenn am Ende gar nichts dabei herauskommt, haben seiner Ansicht nach - das hört man so heraus - alle etwas davon: Kirchheim ein besseres Image, und Startups und Studenten einen Ort, an dem sie ihre Ideen testen können.

© SZ vom 03.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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