Ausbau der Hilfen bei Demenz:Fördern statt bespaßen

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Jetzt aber dalli: An einer Station im Demenzparcours sollte Abteilungsleiter Christian Freund mit dicken Handschuhen möglichst schnell eine Weste zuknöpfen. Franziska Lachner von der Alzheimergesellschaft treibt ihn an. (Foto: Angelika Bardehle)

Gemeinde und Landratsamt greifen ein drängendes Problem auf: Die Aktionswoche in Kirchheim zum Thema Demenz wurde eröffnet.

Von Christina Hertel, Kirchheim

Frau Huber ist 100 Jahre alt und dement. Sie kann nicht mehr aus dem Bett aufstehen, beim Sitzen müssen sie Kissen stützen. Einmal die Woche bekommt sie Besuch - von Johanna Inhofer, einer Krankenschwester, die für die Nachbarschaftshilfe Kirchheim arbeitet. Inhofer beginnt zu singen. "Das Wandern ist des Müllers Lust." Frau Huber, die nicht weiß, welcher Tag heute ist, singt alle fünf Strophen auswendig mit. Johanna Inhofer berichtet am Montagabend im Kirchheimer Seniorenzentrum von vielen solchen Beispielen. Von Menschen, bei denen Musik eine Erinnerung auslöst, die tiefer sitzt: an die Hochzeit, den ersten Tanzabend, die Jugend.

Kirchheim und acht weitere Kommunen im Landkreis nehmen an dem Modellprojekt "Selbstbestimmt leben mit Demenz in der Kommune" teil. Mit 4500 Euro fördert das Landratsamt Gemeinden, die ein Konzept entwickeln, wie sie Menschen mit Demenz und deren Angehörigen gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen wollen. Noch einmal 4500 Euro müssen die Gemeinden selbst drauflegen. Inhofers Vortrag ist ein Teil dieses Projekts in Kirchheim und läutete eine Woche ein, bei der Demenz besonders im Fokus steht. Außerdem wurde am Dienstag das Café Malta eröffnet. Demenzkranke werden hier jeden Montagnachmittag von 14 bis 17 Uhr betreut. "Wir bespaßen nicht", sagt die Leiterin Dietlinde Pointner. "Wir fördern." Konkret heißt das: Die Ehrenamtlichen, die in dem Café arbeiten, sollen sich mit den Stärken der Kranken beschäftigen, um das, was sie noch können, möglichst lange zu erhalten. Momentan ist die Gruppe voll. Unter 089/945 67 30 35 ist es möglich, sich auf die Warteliste setzen zu lassen.

Auch für das nächste Jahr hat sich Christian Freund, der in Kirchheim die Abteilung Soziales leitet, viel vorgenommen. Er will Geschäfte und Vereine für Demenz sensibilisieren. Ein Parcours, der am Montagabend aufgebaut war, soll dabei helfen. Denn Demenz führt nicht nur zu Vergesslichkeit, sondern auch zu einer verschlechterten Motorik und Orientierungslosigkeit. Die verschiedenen Stationen sollen einen an den Rand der Verzweiflung bringen. Wenn man mit dicken Handschuhen möglichst schnell eine Schürze zuknöpfen soll, zum Beispiel. Mit einem Unterschied: Für einen Gesunden ist es nach fünf Minuten vorbei.

Am Donnerstag, 21. September, zeigt die Gemeinde von 18 Uhr an im Jugendzentrum den Film "Nicht schon wieder Rudi".

© SZ vom 20.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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