Bildung:Angespannt ins neue Schuljahr

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Dieses Schuljahr werden 136 sogenannte "zusätzliche Lehrkräfte" beschäftigt, die keine abgeschlossene Ausbildung zum Pädagogen haben. (Foto: Sebastian Gollnow/picture alliance/dpa)

Aushilfen sichern an Grund- und Mittelschulen im Landkreis München den Pflichtunterricht. Kritiker warnen vor einer "Entprofessionalisierung des Lehrerberufs".

Von Annette Jäger, Landkreis München

Der anhaltende Lehrermangel in Bayern ist in aller Munde. Besonders die Grund- und Mittelschulen sind davon betroffen. Im Schulamt des Landkreises München blickt Schulamtsdirektor Ulrich Barth jedoch "zuversichtlich" auf das neue Schuljahr, das am Dienstag beginnt. Trotz "angespannter Personalsituation" könnten alle Pflichtstunden abgedeckt werden und alle Klassen hätten eine Klassenleitung, die ein Lehramtsstudium absolviert hat. Das klingt selbstverständlich, ist es aber nicht. Zunehmend muss das Schulamt auf Aushilfslehrkräfte setzen, die keine Lehrerausbildung haben, um alle Fächer abzudecken.

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Mit dem neuen Schuljahr beginnen sieben neue Rektorinnen an Grund- und Mittelschulen im Landkreis und auch im Schulamt gibt es eine Neubesetzung: Schulamtsdirektor Ulrich Barth rückt für Ursula Löwe in der Gesamtverantwortung des Amtes nach und übernimmt die Fachliche Leitung. Bislang war er Stellvertreter in dieser Position.

Schulamtsdirektor Ulrich Barth zeigt sich trotz aller Schwierigkeiten "zuversichtlich" fürs neue Schuljahr. Jede Klasse habe eine Klassenleitung mit abgeschlossenem Lehramtsstudium. (Foto: Catherina Hess)

Für das neue Schuljahr sind die Zahlen erst mal festgezurrt und bilden nach Aussagen von Barth eine gute Ausgangsposition: Rund 17 600 Schüler sind an den Grund- und Mittelschulen zu unterrichten. Damit der Unterricht abgedeckt ist, müssen im neuen Schuljahr 136 "zusätzliche Lehrkräfte" beschäftigt werden, wie Barth sie nennt. Das sind Personen, die ein Hochschulstudium "mit Bezug zum schulischen Fächerkanon" absolviert haben, aber keine pädagogische Lehrerausbildung im Gepäck haben. Sie haben ein Mathe- oder Physikstudium abgeschlossen, sind Betriebswirte oder haben soziale Arbeit studiert. Die Zahl sei im Vergleich zum Vorjahr um etwa zehn bis 20 Prozent gestiegen.

Sie unterrichten Nebenfächer, sie kommen im Förderunterricht zum Einsatz, bringen den Kindern Kunst, Musik oder Werken bei, sagt Barth. Sie erhalten jeweils auf ein Jahr befristete Verträge und bekommen in diesem Schuljahr erstmals auch die Sommerferien bezahlt. Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) verfolgt die Entwicklung, auf Lehrer ohne Lehramtsstudium zu setzen - darunter fallen auch sogenannte Quereinsteiger, die einen anderen Hochschulabschluss haben und dann über das zweijährige Referendariat und das zweite Staatsexamen zu vollwertigen Lehrkräften werden können - mit Sorge. Das trage zur "Entprofessionalisierung" des Lehrerberufs bei, kritisiert Simone Fleischmann, Präsidentin des BLLV. "Lehren kann nicht jeder", betont sie im SZ-Gespräch. Nur ein "starker Lehrer kann auch gute Schule machen". In ganz Bayern starten zum neuen Schuljahr mehr als 600 Quereinsteiger an den Grund- und Mittelschulen, sagte Kultusminister Michael Piazolo (CSU) am Freitag.

Mehr Lehrer in der Mobilen Reserve

Mit der Sicherstellung einer Kernmannschaft im Lehrerkollegium lässt sich noch kein Schuljahr bewältigen. Eine entscheidende Größe ist die ergänzende Mobile Reserve - also Lehrkräfte, die einspringen, wenn Personal ausfällt, etwa wegen Krankheit oder Schwangerschaft. Hier seien die Schulen besser aufgestellt als im vergangenen Jahr, insgesamt stünden 200 Lehrerwochenstunden mehr zur Verfügung, sagt Barth. Um das zu gewährleisten, werden seit vergangenem Schuljahr Lehramtsstudenten höherer Semester eingesetzt oder solche, die das erste Staatsexamen schon in der Tasche haben. Beide stehen noch vor der Referendariatsphase. Ob die Mobile Reserve für dieses Schuljahr ausreicht, wird sich zeigen. Lehrerausfälle, auch langfristige, sind an der Tagesordnung. Seit der Corona-Pandemie ist es laut Barth fast üblich geworden, dass Lehrerinnen, die schwanger werden, gleich zu Beginn aus dem Schuldienst austreten.

Was zahlenmäßig erst mal gut klingt, zeigt sich in der Praxis als ein herausforderndes Jonglieren mit Personal an vielen Schulen. So seien vor allem die Schulen im Norden des Landkreises mit einer großen Lehrerfluktuation konfrontiert, sagt Barth. Frische Lehramtsabsolventen aus Nordbayern, Schwaben oder der Oberpfalz steuern mit "Wahnsinns-Pendelwegen" die für sie noch am nächstgelegenen Schulen in Oberschleißheim oder Garching an und verlassen diese Schulen auch schnell wieder, sobald sie eine Stelle näher zu ihrem Wohnort gefunden haben. In der Berglwald Grund- und Mittelschule in Oberschleißheim etwa ist das gängige Praxis, "wir liegen hier in der Einflugschneise", sagt die neue Rektorin Claudia Miller. Pendelwege zum Teil bis nach Nürnberg versuchten die jungen Lehrkräfte zu stemmen.

Auch die zunehmende Zahl an Teilzeitkräften ist eine Herausforderung für die Schulen. Das mache es schwer, eine Klassenleitung zu besetzen, sagt Nikola Kurpas, neue Rektorin der Grund- und Mittelschule Lochham. So müssten häufig mehrere Lehrer in einer Klasse unterrichten, um alle Fächer abzudecken. Das weiche das Klassenlehrerprinzip auf, meint Kurpas. Üblicherweise unterrichtet die Klassenlehrkraft fast alle Fächer. Gerade für Grund- und Mittelschüler sei es wichtig, eine feste Bezugsperson zu haben.

Auch wenn die Lehrer ohne Lehramtsstudium zu einer wichtigen Stütze im Schulalltag geworden sind - es ist für die Schulen auch eine Mehrbelastung. "Das ist wahnsinnig betreuungsintensiv", sagt Claudia Miller. Die unerfahrenen Lehrer bräuchten viel Hilfe und Unterstützung, vor allem, wenn es mal Probleme in einer Klasse gebe. Das müsse alles zusätzlich zum laufenden Schulbetrieb bewältigt werden, betont Kurpas. Zudem seien die Schulleitungen in die Vertragsgestaltungen mit dem Zusatzpersonal eingebunden, was aufwändig sei, meint Schulamtsdirektor Barth.

Lesen, Rechnen, Schreiben werden die Kinder auch im kommenden Schuljahr lernen. Die Pflicht ist abgedeckt. Was auf der Strecke bleibt, ist "die Kür", sagen die Rektorinnen in Oberschleißheim und Lochham. Arbeitsgemeinschaften wie Chor oder Theater stärkten die Gemeinschaft und schulten soziale Beziehungen. Doch dafür fehle es an Personal.

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