Sauerlach:Rettung von oben

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Einfach nur musizieren: Lehrerin Birgit Haardt und ihr Schüler Christian Boie konzentrieren sich im Forsthaus, dem Hauptsitz der Musikschule Sauerlach, auf das Wesentliche. (Foto: Claus Schunk)

Nach dem verheerenden Brand im vorigen Jahr hat die Musikschule mit ganz viel Eigeninitiative einen Neuanfang ermöglicht - und wäre deshalb am Ende fast ruiniert gewesen. Doch dann kam Markus Söder in die Gemeinde und Bernhard Lederer fasste sich ein Herz.

Von Martin Mühlfenzl, Sauerlach

Den ersten Rettungsversuch starten Bettina Fuchs und Bernhard Lederer, als eigentlich schon alles verloren ist. Drei Tage nach dem Brand im Alten Rathaus machen sich die Leiterin der Musikschule Sauerlach-Brunnthal und der Vorsitzende des Vereins Musikschule mit Kartons auf zu dem altehrwürdigen Gebäude aus dem Jahr 1876, um vielleicht doch noch etwas aus dem Fundus der Musikschule unversehrt herauszuholen, was kein Raub der Flammen geworden ist. Mehr als eineinhalb Jahre danach müssen Fuchs und Lederer in ihrem Büro im Sauerlacher Forsthaus über diese Verzweiflungstat fast schon lachen - zu retten gab es damals nichts mehr, 100 000 Euro Schaden bescherte der Brand der Musikschule. Eine Summe, die solch eine Einrichtung in den Ruin treiben kann.

Aber sie sind noch da. Fuchs, Lederer, das Kollegium mit 24 fest angestellten Lehrerinnen und Lehrern und etwa 600 Schülerinnen und Schülern. Eine prosperierende Einrichtung, die fest in den beiden Orten Sauerlach und Brunnthal verankert ist - und die es sich selbst zu verdanken hat, dass sie die Katastrophe vom 15. Januar 2021 überwunden hat. Und einem Mann, der von Sauerlach zuvor noch nicht so viel gehört haben dürfte: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder.

In der Nacht auf den 15. Januar 2021 geht das Alte Rathaus in Sauerlach in Flammen auf, die Löscharbeiten dauern fast drei Tage. (Foto: Claus Schunk)

Als das Unheil über den Ort hereinbricht, liegt Bernhard Lederer im Bett und schläft. Es ist 5 Uhr in der Nacht, das Telefon klingelt. Seine Eltern sind am Apparat und berichten ihm, das Alte Rathaus stehe in Flammen. "Die wohnen direkt neben dem Alten Rathaus", sagt der Musikvereinsleiter. Später ist er selbst am Ort, mehr als hundert Feuerwehrler aus der ganzen Umgebung kämpfen gegen die Flammen, Rauch quillt aus dem Dachstuhl. "Mein erster Gedanke war: Jetzt ist alles hin. Mein zweiter: Wie geht es jetzt weiter?", erinnert sich Lederer, der für die Unabhängige Bürgervereinigung (UBV) im Gemeinderat sitzt. "Und ich habe an Max Seitz gedacht." Der Münchner Maler lebt im Alten Rathaus und schafft es nicht rechtzeitig raus; Seitz stirbt in den Flammen im Alter von 83 Jahren.

Während Lederer das erzählt, dringt aus einem der Nebenräume im Forsthaus an der Tegernseer Landstraße, dem Hauptsitz der Musikschule, leise Klaviermusik. Der Betrieb läuft hier wieder völlig normal, es wird musiziert, gesungen, geübt, gelacht. Und das hat viel mit der Eigeninitiative der Musikschule zu tun: Schon zwei Wochen nach dem Brand starten Mitarbeiter und Aktive eine Spendenaktion, Firmen und Gewerbetreibende werden um finanzielle Hilfe gebeten, Stiftungen, Privatpersonen ebenso - denn es gilt viel zu ersetzen: einen Flügel, Klaviere, Harfen, Instrumente für die frühkindliche Erziehung. Alles war ein Raub der Flammen geworden. "Alles was sich in den letzten 50 Jahren angesammelt hat", sagt Fuchs. Und was das Feuer nicht vernichtete, ruinierte das Löschwasser.

Flügel, Trompeten, Harfen - alles musste neu angeschafft werden

Die Spendenaktion wird ein voller Erfolg. Zusammen mit dem, was die Musikschule von der Versicherung erhält, kommen insgesamt etwa 100 000 Euro zusammen, was ziemlich genau dem Gesamtschaden entspricht. Und die Verantwortlichen beginnen zu investieren, denn der Betrieb muss ja weitergehen. Ein neuer Flügel wird angeschafft, Trompeten, neue Harfen, Spielzeug, alles was es braucht, um den Weg zurück in die Normalität zu schaffen. Mittlerweile steht auch in jedem Raum der Musikschule wieder ein Klavier, darunter auch solche, die gespendet wurden. Auch die Gemeinde Sauerlach springt ein und hilft: Am Otterloher Feld in der Nähe zum Hort und der Mittagsbetreuung werden Container aufgestellt, um die Platzprobleme der Musikschule zu lindern. Und die Räume der Pfarrgemeinde darf die Schule auch mit nutzen. Sie seien Bürgermeisterin Barbara Bogner (UBV) und Pfarrer Josef Steinberger wirklich dankbar für die Unterstützung, sagt Lederer.

Bernhard Lederer leitet den Verein der Musikschule Sauerlach. (Foto: Claus Schunk)

Nur um Geld bittet die Musikschule die Gemeinde Sauerlach nicht. Sie wollen es selbst schaffen, mit Spenden aus der Misere herauskommen. Ohnehin unterstützen ja beide Kommunen - Sauerlach und Brunnthal - die Einrichtung. Und dieser innere Antrieb, die Eigeninitiative bringt die Musikschule an den Rande ihrer Existenz. Wäre nicht Söder in die Gemeinde gekommen.

Mitte Juli kommt der Ministerpräsident nach Sauerlach. Er ist zu Gast bei der BR-Sendung "Jetzt red i" in der Mehrzweckhalle am Otterloher Feld, direkt neben den Containern der Musikschule. An diesem Abend soll es in der provisorischen Arena in der Turnhalle um die großen Fragen dieser Zeit gehen: die Energiekrise, Corona, die Wirtschaft, und auch das Debakel rund um die zweite Stammstrecke verfolgt den Ministerpräsidenten bis in den kleinen Ort. Aber es wird auch ein Fall zur Sprache kommen, von dem Söder in der Sendung behauptet, schon davon gehört zu haben: der Brand im Alten Rathaus.

"Wir regeln das." In der BR-Sendung "Jetzt red i" gibt Ministerpräsident Markus Söder der Musikschule Sauerlach-Brunnthal ein Versprechen. (Foto: Claus Schunk)

Zwei Wochen vor der Live-Ausstrahlung der Sendung fasst Bernhard Lederer den Entschluss, Söder um Hilfe zu bitten, das Dilemma der Musikschule sozusagen an höchster Stelle vorzutragen. Auslöser hierfür ist ein Anruf aus dem Verband Bayerischer Sing- und Musikschulen kurz zuvor, der Lederer und Fuchs den Schreck in die Glieder fahren lässt. Die Botschaft ist eindeutig: Die Musikschule habe zu viel investiert, heißt es aus dem Verband, der im Auftrag des bayerischen Kultusministeriums arbeitet, daher werde die Förderung durch den Freistaat massiv gekürzt.

Es ist eine etwas komplizierte Materie, die Lederer dann auch Söder nahezubringen versucht. Die Finanzierung einer Musikschule fußt auf drei Säulen: den Einnahmen aus dem Unterricht und Mitgliedsbeiträgen, der Förderung durch die Kommune und dem Zuschuss durch das Land Bayern. Der Freistaat aber fördert keine Sach- und Investitionskosten, sondern nur Lehrerkosten. "Und das ist auch nachvollziehbar", sagt Lederer. Und was noch hinzukommt: Der staatliche Zuschuss darf nicht höher sein als die finanzielle Unterstützung der Gemeinde - abzüglich der Sach- und Investitionskosten des Trägers, also der Musikschule. "Und der Satz hat uns fast das Gnack gebrochen. Das hatten wir nicht auf dem Schirm, als wir begonnen haben, Spenden zu sammeln", erinnert sich Lederer. Denn dadurch würde der Staatszuschuss von 60 000 auf 30 000 Euro abgemindert, Existenzen stünden auf dem Spiel. Es handelt sich schließlich um fest eingeplantes Geld für Lehrergehälter.

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All das trägt Lederer Mitte Juli in aller Ruhe und sehr sachlich dem Ministerpräsidenten vor. Moderator Tilmann Schöberl schlägt sich gleich auf seine Seite, da müsse doch geholfen werden, sagt er und wendet sich an Söder. Und der reagiert sofort. "Ja, wir regeln das", verspricht der Ministerpräsident. Lederer reckt beide Hände mit den ausgestreckten Daumen nach oben. Ein Unglück geschehe und dann werde mit viel Engagement versucht, das Beste daraus zu machen - das dürfe nicht bestraft werden, urteilt Söder. "Ich weiß, es gibt immer Hunderte solcher Vorschriften, aber ich bin da sehr optimistisch", so Söder weiter. "Ich denke, das bringen wir hin."

"So ein Brand ist in den Regularien ja nicht vorgesehen", sagt der Vorsitzende der Einrichtung

Nur ein paar Tage nach Söders Auftritt erhalten Fuchs und Lederer einen Anruf aus der Staatskanzlei. "Da hat sich relativ schnell jemand gemeldet und wollte noch ein paar Sachen wissen, und wir haben den Fall noch mal geschildert", erinnert sich Lederer. Und während manch einer glaubt, in den Sommerferien mahlen die Mühlen der Politik besonders langsam, meldet sich der Leiter der Staatskanzlei, Florian Herrmann, selbst in Sauerlach mit einer kurzen, positiven Nachricht: In diesem Fall wird eine Ausnahme von der Regelung gemacht und die staatliche Förderung nicht gekürzt. Der Ministerpräsident hat Wort gehalten. "Die haben sicher auch die Leistung gesehen, die wir als gesamte Musikschule erbracht haben", sagt Lederer. "So ein Brand ist in den Regularien ja nicht vorgesehen. Aber wir haben es selbst geschafft, uns am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen."

Beim Weg über den kleinen Vorplatz vorm Forsthaus mit dem Geweih über dem Eingangsbereich deutet Bettina Fuchs auf den kleinen Anbau. Der Zerwirkraum sei das noch vor wenigen Jahren gewesen. Jäger aus der näheren Umgebung waren dort zugange. "Da lag dann schon mal ein totes Reh oder eine tote Sau", sagt Fuchs und lacht. Jetzt befinden sich dort zwei kleine, schallisolierte Räume für die Schlagzeuger, am 7. Oktober werden sie offiziell eingeweiht. Der Termin soll dann auch so etwas wie einen Aufbruch in eine ruhigere Zeit bedeuten. Eigentlich, so sagte Musikschulvereins-Vorsitzender Lederer, wünsche er sich ein ganz normales, langweiliges Schuljahr nach all den Aufregungen der vergangenen zweieinhalb Jahre mit Corona, dem Feuer, den Feierlichkeiten zum 50-jährigen Bestehen in diesem Jahr und der so unerwartet komplizierten Rechenaufgabe. Jetzt, wo auch dank Söders Hilfe fast alles gelöst ist, bleibt nur noch ein wenig Wehmut zurück, denn die großen Räume im Alten Rathaus wird die Musikschule auch nach der Sanierung nicht mehr - etwa für Konzerte - nutzen können. Dort wird die Gemeindeverwaltung einziehen.

Die 24 Lehrerinnen und Lehrer aber können bleiben. Und freuen sich auch auf neue Schüler. "Wir haben noch ein paar Plätze frei. Zum Beispiel für Posaune oder Akkordeon, dem Klassiker auf dem Land", sagt Bettina Fuchs zum Abschied.

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