Radwege:Der Kampf um die blauen Schilder

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Rennradfahrer bevorzugen die Straße. Auch wenn es Radwege gibt. Gemeinden wie Brunnthal, die viel Geld für deren Bau ausgeben, pochen auf die Benutzungspflicht. (Foto: Claus Schunk)

Ein Rennradler streitet in der gesamten Region für das Recht, auf der Straße zu fahren. Die Gemeinde Brunnthal ist bereits zum zweiten Mal betroffen - und sieht ihre Bemühungen um den Bau von Radwegen konterkariert.

Von Bernhard Lohr, Brunnthal

Acht Rennradfahrer sind am späten Abend noch auf Tour. Gegen 21.30 Uhr sind sie auf der Staatsstraße im Pulk unterwegs. Alle fahren mit Licht. Doch es nutzt nichts. Ein Autofahrer übersieht die Gruppe und erfasst einige Radler mit seinem Wagen. Ein 61-Jähriger ist tot, sechs Radler werden verletzt. Der Unfall, der sich vor wenigen Tagen nahe Altötting ereignete, wirft ein Schlaglicht auf einen Konflikt, der im Landkreis München hochkocht. Ein Radsportler fordert die Gemeinde Brunnthal auf, zwischen Kirchstockach und Brunnthal die Radwegbenutzungspflicht aufzuheben. Radler sollen dort die Straße befahren dürfen. Das Rathaus wehrt sich - und verweist auf Gefahren.

Die Gemeinde sieht sich seit Längerem unter Druck gesetzt. Martin Glas, ein Radfahrer aus München, der auch Mitglied im Vorstand des ADFC in der Landeshauptstadt ist, fährt mit seinem Rennrad gerne raus ins Umland. Seit Jahren fordert er Straßenbehörden auf, die Benutzungspflicht für Radwege auf diversen Strecken aufzuheben. Er führte den Kampf für die Strecke zwischen Dachau und Bergkirchen. Sein Name ist im Rathaus von Raubling bei Rosenheim genauso bekannt wie im Münchner Kreisverwaltungsreferat. In Brunnthal setzte er per Entscheid des Verwaltungsgerichts München vor zwei Jahren durch, dass am Radweg entlang der Kreisstraße von Otterloh nach Brunnthal die runden blauen Schilder mit dem weißen Fahrradsymbol entfernt werden mussten.

Der Rennradler verweist auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts

Nun fordert er die Gemeinde auf, dasselbe auf der Strecke von Kirchstockach nach Brunnthal zu machen. Er sieht das Recht auf seiner Seite, verweist auf die Straßenverkehrsordnung und ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2010. Demnach steht Radfahrern das Fahren auf der Straße frei, wenn nicht ausdrücklich durch das blaue Schild auf einen Radweg verwiesen wird. Und eine solche Benutzungspflicht dürfe nur bei außerordentlicher Gefahrenlage verhängt werden. Diese besteht aus Sicht von Glas bei Weitem nicht überall da, wo Schilder stehen. Die Behörden, und im aktuellen Fall Brunnthal, weigerten sich, Bundesrecht umzusetzen, sagt Glas.

Das Thema wird quer durch die Republik emotional diskutiert. Es geht um die grundsätzliche Frage, ob es sicherer ist, Auto- und Radfahrern getrennte Fahrbahnen zuzuweisen. Ober sollen sie besser gleichberechtigt auf der Straße unterwegs sein. Der ADFC setzt sich für den Bau von Radwegen ein, fordert aber auch eine Wahlfreiheit für Radfahrer. Martin Glas sieht sich als Kämpfer in diesem Sinn: Radwege für Kinder, Familien und Ausflügler, aber Rennradler sollen auf die Straße. Brunnthals Bürgermeister Stefan Kern (CSU) empfindet das als Affront. Er hat vergangene Woche einen Radweg zwischen Faistenhaar und Höhenkirchen eröffnet. 1,1 Millionen Euro hat dieser gekostet. Und nun sollen solche Radwege nicht genutzt werden müssen? Das führe alle Bemühungen "ad absurdum".

Kern ist mit seiner Ansicht nicht allein: Ulla Gocke (CSU) sprach im Gemeinderat von einem "schlechten Witz", wenn Radfahrern freigestellt werde, wo sie fahren. "Muss letztlich erst mal einer sterben?" Matthias Amtmann (UBW) und Hilde Miner (Grüne) berichteten aus eigenem Erleben von Unfällen und Fast-Unfällen mit Rennradlern auf der Straße. Herbert Katzdobler (CSU) sagte, wenn Rennradler trotz bestehenden Radwegs die Straße nutzten, seien da bald auch Kinder und Jugendliche unterwegs. Er sehe große Gefahren.

Vom Unfall bei Altötting wusste zum Zeitpunkt der Debatte keiner was. Dass an der Staatsstraße, wo der Unfall passierte, sogar ein Radweg existiert, dürfte manchen in seiner Meinung bestärken. Laut Polizei verläuft dieser allerdings auf der zur Fahrtrichtung der Radlergruppe gegenüberliegenden Seite.

Querverkehr ist gefährlicher als Längsverkehr

Martin Glas beklagt jedenfalls, dass viele Radwege nicht praktikabel zu nutzen seien. Sie endeten unvermittelt. Immer wieder gebe es Wechsel von einer Straßenseite auf die andere, ohne dass vorgeschriebene Querungshilfen existierten. Radwege seien durch landwirtschaftlichen Verkehr verschmutzt. Auch wenn es bei Altötting anders war. Der ADFC hat seit Jahren beobachtet, dass der Längsverkehr, also die Autos von hinten und vorne, weniger Gefahr berge als der querende Verkehr. Und das besonders bei getrennten Radwegen. Sprich: Ein Radfahrer will auf dem Radweg bei Grün geradeaus fahren, ein abbiegendes Auto übersieht ihn. Solche tödlichen Unfälle gab es auch im Landkreis: etwa in Haar an der Münchner Ecke Blumenstraße.

Die Thematik ist ernst, die Debatte wird scharf geführt. Und doch äußerte Gemeinderat Daniel Brenner (CSU) auch Verständnis für die Argumente der Radler. Man will jedenfalls noch einmal miteinander reden. Die Gemeinde hat Glas eingeladen. Dieser will kommen. Er will aber ein Treffen im kleinen Kreis - und keine Konfrontation mit dem Gemeinderat.

© SZ vom 20.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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