SZ-Adventskalender:Eine Sucht, die in den Ruin führt

Lesezeit: 4 min

Glücksspiel kann viele Menschen in existenzielle Krisen stürzen. In solchen hilft das Blaue Kreuz. (Foto: Robert Haas)

Wenn Menschen, die Glücksspiel oder Alkohol verfallen sind, zum Blaukreuz-Zentrum in Ottobrunn kommen, haben sie neben Geld oft schon ihre festen Strukturen verloren. Das SZ-Hilfswerk unterstützt die Organisation mit Spenden.

Von Daniela Bode, Ottobrunn

Wenn Menschen bei Sandra Wendl vom Blaukreuz-Zentrum Landkreis-München auftauchen, stecken sie manchmal tief im Schlamassel. "Oft ist es kurz vor knapp", sagt die Leiterin der Beratungsstelle in Ottobrunn, die bei diversen Suchterkrankungen hilft. Vor mehr als einem Jahr suchte sie etwa ein Mann auf, der über Jahre beim Glücksspiel an Automaten und mit Sportwetten sehr viel Geld verspielt hatte. Er hatte immer wieder vergeblich versucht, seine Verluste auszugleichen, sodass er schließlich mehrere Hunderttausend Euro Schulden angehäuft hatte. Vor seiner Frau verheimlichte er das lange. Erst kurz bevor er zu Wendl kam, erzählte er ihr von seinen Problemen. Er wolle nicht mehr spielen, sagte er der Beraterin, und sie half ihm, einen Weg aus der Sucht zu finden.

Das Blaue Kreuz in Ottobrunn ist eine Außenstelle des Blaukreuz-Zentrums in München. Außer der Caritas ist es die einzige Organisation im Landkreis, die eine Suchtberatung für Erwachsene anbietet. Wendl und ihr Team - zwei Beraterinnen, eine Kollegin, die sich um betreutes Einzelwohnen kümmert, und eine Verwaltungskraft - stehen im Jahr rund 400 Betroffenen und Angehörigen zur Seite. Zu 80 Prozent betreuen sie Menschen bei Alkoholsucht, auch bei Abhängigkeiten von Drogen- oder Medikamenten, zu fünf bis zehn Prozent bei Glücksspielsucht und exzessivem Medienverhalten. Gelegentlich kommen auch Kauf- oder Pornosüchtige zu ihnen.

Sandra Wendl vom Blaukreuz-Zentrum in Ottobrunn berät zu verschiedenen Suchterkrankungen. (Foto: Claus Schunk)

Viele Betroffene bekommen irgendwann finanzielle Schwierigkeiten und landen manchmal sogar in der Privatinsolvenz. Wer dem Glücksspiel verfallen ist, spielt anfangs mit kleinen Beträgen, nach Verlusten erhöhen sich die Einsätze. "Dabei wird es immer schlimmer", sagt Wendl. Manche wissen am Ende des Monats nicht, wie sie ihr Essen noch zahlen sollen. Ein Experte bezeichnete die Glücksspielsucht einmal als "die teuerste Sucht". "Alle Süchte können arm machen", sagt Wendl. Bei Alkoholikern kostet zwar die berauschende Flüssigkeit nicht viel. Doch rutschen sie immer mehr in die Abhängigkeit, nicht selten verlieren sie ihre Arbeit und können die Miete nicht mehr zahlen.

In Deutschland sind 4,6 Millionen Erwachsene spielsüchtig oder zeigen erste Symptome dafür. Das geht aus dem Glücksspielatlas 2023 hervor, die Daten basieren auf einer Umfrage von 2021. Die Krux ist: Der Staat verdient ziemlich viel Geld daran. Er nahm der Studie zufolge 5,2 Milliarden Euro an Steuern durch legales Glücksspiel ein.

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Obwohl viele Suchterkrankungen als Krankheit anerkannt sind - Glücksspielsucht seit 2001, Alkoholsucht schon seit 1968 - haben auch heute nicht alle Menschen dafür Verständnis, weiß Wendl. Nicht selten heiße es von anderen: "Dann hör' doch einfach auf." Doch das sei nicht möglich, sagt die Beraterin. Ein Grund dafür ist, dass Kontrollverlust ein Anzeichen jeder Sucht ist. "Viele sagen, sie hören auf, wenn sie den Einsatz verspielt haben, das klappt aber nicht", sagt die Beraterin.

Auch die sogenannte Toleranzentwicklung ist typisch. Man braucht immer mehr, um den Kick zu spüren. Hinweis für eine Sucht ist auch, dass man nervös wird, wenn man die Substanz nicht bekommt oder eben nicht spielen kann. Und dass man weitermacht, obwohl man schon negative Konsequenzen erlebt, etwa die Arbeit verloren hat oder die Beziehung in die Brüche gegangen ist.

Zur Beratung kommen auch Manager mit Top-Gehältern, die sich an der Börse verspekulieren

Wenn Betroffene zu Wendl und ihrem Team kommen, haben sie oft schon einige Jahre mit ihrer Abhängigkeit zu kämpfen. Bei der Glücksspielsucht suchen aktuell viele Menschen Hilfe, die Sportwetten und Onlinecasino-Spielen verfallen sind. Ebenfalls vielfach betroffen sind Menschen mit Managergehältern, die an der Börse spekulieren, sehr hohe Risiken eingehen und manchmal Hunderttausende verlieren. "Irgendwann sieht man keine Möglichkeit mehr, negative Gefühle anders zu regulieren als durch Spielen", sagt Wendl. Gleichzeitig will das Gehirn den Glückszustand, den man aber immer schwerer erreichen kann. "Am Ende geht es nur noch darum, Negatives zu vermeiden."

Aus diesem dunklen Kreislauf herauszukommen, dabei hilft das Blaue Kreuz. "Wir holen die Menschen ab, wo sie stehen", sagt Wendl. Sie und ihre Kolleginnen finden erst einmal heraus, ob die Betroffenen schon bereit sind aufzuhören oder sich noch nicht sicher sind. Weil es bei vielen finanziell kritisch aussieht, vermitteln sie ihre Klienten oft an die Schuldnerberatung. Manchmal bleibt es bei einem Termin beim Blaukreuz-Zentrum, manche entscheiden sich für eine längere Beratung wie auch der Mann, der vor mehr als einem Jahr mit seinem Glücksspielproblem zu Wendl kam. Die Beratung ist kostenlos. Manchen Betroffenen vermittelt die Expertin nach Vorgesprächen auch einen stationären Entzug. Danach erhalten diese eine Nachsorge für ein Jahr, bei der sie einmal wöchentlich zu ihr kommen und das, was sie in der Klinik gelernt haben, umsetzen können.

Bei Alkoholsucht bietet die Einrichtung in Ottobrunn auch eine ambulante Therapie an, bei Glücksspielsucht gibt es diese Möglichkeit nur in der Hauptstelle in München. Um beispielsweise in den Therapiegruppen und in der Nachsorge Erklärvideos zeigen zu können, könnte die Einrichtung in Ottobrunn einen Smart-TV gut gebrauchen. Dabei möchte der SZ-Adventskalender für gute Werke helfen. Genauso vermitteln Wendl und ihr Team die Klienten auch in Selbsthilfegruppen. Das Fazit ist: "Die Leute werden nie allein gelassen." Weil das Thema Sucht mit viel Scham behaftet ist, berät das Blaukreuz-Zentrum bei Wunsch auch anonym. Nach außen dringt ohnehin nichts, die Mitarbeiter unterliegen der Schweigepflicht.

In welcher Phase Süchtige nach Ottobrunn kommen, ist unerheblich. Wendl rät aber, sich frühzeitig Hilfe zu holen, weil es dann einfacher sei, von der Sucht wieder wegzukommen. Auch wenn der Mann mit den hohen Spielschulden erst recht spät das Blaue Kreuz aufgesucht hat, er hat es schließlich geschafft, nicht mehr zu zocken. Die Therapie hilft ihm, über belastende Dinge zu sprechen, statt sich ins Spielen zu flüchten. Denn das A und O auf dem Weg, die Sucht hinter sich zu lassen, ist immer die eigene Erkenntnis.

So können Sie spenden

Überweisungen sind auf folgendes Konto möglich: "Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung e.V.", Stadtsparkasse München, IBAN: DE86 7015 0000 0000 6007 00, BIC: SSKMDEMM

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