Klangbildmärchen:Hakims Traum von einem besseren Leben

Lesezeit: 3 min

Hakim, der Protagonist des Klangbildmärchens, wohnt in einem Stelzenhäuschen. Die Kulisse der Handlung bildet der Schleißheimer Schlosspark. (Foto: Tanja Cremer)

Inspiriert von einem Stelzenhäuschen im Schleißheimer Schlosspark hat Tanja Cremer während der Pandemie ein Märchenprojekt realisiert, das von einem jungen Flüchtling erzählt. Jetzt gibt es eine Wiederaufführung mit neuen Elementen.

Von Franziska Gerlach, Oberschleißheim

Hakim sitzt im Schilf, erschöpft und hungrig vom Schleppen der Äste, mit denen er sich ein Stelzenhäuschen auf der Insel bauen will. "Wenn er doch nur einen Freund hätte, der ihm beim Tragen helfen könnte", liest Tanja Cremer und muss die Stimme ein bisschen heben, weil um sie herum die Kaffeetassen klappern. So wie früher in der Heimat, als er mit seinen Freunden durch die Maisfelder zog. Doch auf der Insel, auf die er sich nach dem Schiffbruch hat retten können, gibt es statt saftiger Maiskolben nur Früchte, die Bauchschmerzen verursachen. Auf dem Bildschirm ploppt ein Foto leuchtend roter Beeren auf.

Zum Treffen in einem Münchner Café hat die Oberschleißheimerin ihren Laptop mitgebracht. Man soll sich schließlich vorstellen können, worum es bei ihrem Klangbildmärchen "Hakims wundersame Reise in den Okzident" geht. Wie Bilder, Text und die neu komponierte Musik zusammenwirken.

Die Idee zu der Geschichte für Kinder ab acht Jahren kam Cremer im ersten Lockdown, als sie bei einem Spaziergang durch den Schlosspark auf ein kleines, kunstvolles Stelzenhaus aufmerksam wurde, das ein gewisser Minh Duc Truong 2020 mit seinem Sohn am Kanal gebaut hatte. "Ein tolles Haus, in dem was passieren könnte", habe sie sich gedacht. Zeit hatte man damals eh. Also ließ die Oberschleißheimerin Hakim darin wohnen, einen jungen Flüchtling, der auf den Fotos von einer kleinen Puppe mit aufgemaltem Bart und Ringelpulli dargestellt wird.

Die Aufnahmen sind allesamt im Schlosspark entstanden

Die Fotografien sind im Schlosspark Schleißheim entstanden, dessen Bäume und Gewässer bilden die Kulisse der Handlung. Wo genau sich die rettende Insel befindet, schreibt Cremer genauso wenig wie über Hakims Herkunft. Seine Geschichte ist eine Fluchtgeschichte, wie sie sich unzählige Male ereignet auf der Welt: weg vom Krieg, hin zu den Supermärkten mit den prall gefüllten Regalen, den teuren Autos und brillanten Fußballspielern. So stellt Hakim sich nämlich Europa vor, und die Hoffnung auf ein Leben dort weist ihm den Weg. Die Insel ist nur eine Zwischenstation.

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Bereits vor zwei Jahren erlebte Cremers Märchen seine Uraufführung. Seither hat die Oberschleißheimerin etliche Aquarelle gemalt, die die Fluchtgeschichte nun zusätzlich bebildern. Cremer hat Amerikanistik und Romanistik studiert, Englisch an Real- und Fachoberschulen unterrichtet und jungen Flüchtlingen an der Berufsschule Dachau Deutsch beigebracht. Außerdem komponiert sie Lieder - klar, dass sie auch für ihren kleinen Helden Hakim eines schrieb.

In Zusammenarbeit mit ihrem Lebensgefährten Ernst Müller entstand die musikalische Untermalung des Märchens. Bildmusik, quasi. Sie spielt Klavier, er Gitarre, und während Cremer die Geschichte dieser ungewöhnlichen Reise vorliest, vereinen sich die Instrumente immer wieder zu sanften, oft sehnsüchtigen Klängen. "Die Musik soll begleiten, dem Ganzen eine gewisse Tiefe geben", sagt der Hobby-Gitarrist aus München, der jahrzehntelang Teil eines angesehenen Blues-Trios war. Nur in jener Szene, die von den Bomben erzählt, lässt Müller eine E-Gitarre kreischen. Ein unspezifisches Unwohlsein breitet sich aus, die schrillen Töne passen zu dem Aquarell, das nun auf dem Bildschirm des Laptops erscheint: Menschen, die vor einem orange-roten Hintergrund um ihr Leben laufen.

Tanja Cremer hat Aquarelle gemalt, die die Fluchtgeschichte zusätzlich bebildern. (Foto: Tanja Cremer)

Als Aufnahmegerät reichte den beiden ein Smartphone. Überhaupt berührt das Klangbildmärchen gerade deshalb, weil es ohne technischen Schnickschnack auskommt. Ein Gegenentwurf zu den schnellen Filmen auf Youtube und Co., die die Kindergehirne mit Reizen fluten, die sie oft noch nicht bewältigen können. Das Thema Flucht ist natürlich keine leichte Kost. Es steckt auch viel von Cremer in diesem Projekt: Sie sei 20 Jahre lang mit einem Senegalesen verheiratet gewesen, erzählt sie. Die Arbeit mit den jungen Geflüchteten sei ebenfalls eine bewegende Erfahrung gewesen. Zudem war ihr aufgefallen, dass in der Nähe des Schlossparks zwar Flüchtlinge lebten. Diese hätten ihn aber lange Zeit kaum genutzt. Als liefe eine unsichtbare Mauer hindurch.

Cremer weiß, dass man sich solcher Mauern am besten mit Nähe entledigt. In ihrer Geschichte lässt sie Gefühle der Nähe vor allem durch Erinnerungen Hakims an die Heimat aufkommen. Die Oma, die ihn in ihren Armen gewiegt hat. Der kleine Bruder, dem er zum Abschied ein Kätzchen schenkt. Der Cousin, der seit einem Bombenangriff nicht mehr Fußball spielen kann. Als sie das Märchen 2021 zeigte, seien die Kinder "extrem bei der Sache" gewesen, erzählt Cremer. Diesmal sollen sie nach der Aufführung ein Bild malen. Ihr eigenes Häuschen. Was sonst.

"Hakims wundersame Reise in den Okzident", am Freitag, 31. März, 17 bis 18.30 Uhr, Bürgerhaus Oberschleißheim, Anmeldung per E-Mail an buecherei@oberschleissheim.de.

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