Kammermusikfestival:Nirgendwo stirbt man stattlicher

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Aglaia Szyszkowitz liest und lächelt zur "Fröhlichen Apokalypse". (Foto: Claus Schunk)

Das Wien um 1900 steht im Mittelpunkt der musikalischen Lesung "Die fröhliche Apokalypse" mit der Schauspielerin Aglaia Szyszkowitz. Der Abend in Oberhaching befasst sich anekdotenreich mit Schriftstellern, Salondamen, Komponisten - und deren Begräbnissen.

Von Franziska Gerlach, Oberhaching

Stefan Zweig kommt zu Wort, auch die seinerzeit prominente Salondame Berta Zuckerkandl und ihr Schauspielerfreund Alexander Girardi. Arthur Schnitzler und Gustav Mahler stehen von den Toten auf, und an Sigmund Freud kommt man bei einem Abend über das Wien um 1900 auch nicht vorbei. Die griffigsten Zitate, die die in Graz geborene Schauspielerin Aglaia Szyszkowitz, bekannt etwa durch ihre Rolle im Kinofilm "Klimt" (2006), mit ihrer sonoren Stimme auf der Bühne vorliest, stammen indes von Karl Kraus, der sie irgendwie alle gekannt zu haben scheint: "Wien hat lauter Wahrzeichen, und ein jeder fühlt sich als solches", zitiert Szyszkowitz den Schriftsteller. Und spätestens in diesem Moment ist wohl jedem im voll besetzten Oberhachinger Bürgersaal klar, dass eine Stadt immer nur so gut oder schlecht sein kann, so schön oder hässlich, traurig oder fröhlich wie die Menschen, die in ihr leben.

"Die fröhliche Apokalypse" lautet der Titel der musikalischen Lesung, die ein Höhepunkt des 15. Festivals für Kammermusik, Literatur und Weltmusik war. Die Veranstaltung nach dem Textkonzept von Eva Hofmann hat sich in der Gemeinde als feste Größe etabliert. 2019, beim letzten Festival vor der Pandemie, ging es um die amerikanischen Exilanten im Paris der Zwanzigerjahre. Diesmal ist es das Wien der Jahrhundertwende, der Sehnsuchtsort vieler Nostalgiker, und Hofmann hat wieder eine lebendige Textsammlung erstellt, in die neben Beobachtungen von Zeitgenossen auch Ironie und Humor eingeflossen sind. Festivalleiterin Isabel Lhotzky, die an diesem Abend selbst am Klavier sitzt, hat die Musik zu den Passagen aus Briefen, Gedichten und Büchern umsichtig ausgewählt. Peter Clemente an der Geige und Jiří Bárta am Cello spielen Stücke von Fritz Kreisler, Karl Goldmark und einen Walzer von Schostakowitsch - ein Stück von Gustav Mahler darf natürlich auch nicht fehlen ("Ging heut morgen übers Feld"). Nichts Kitschiges, aber getragen genug, um ausreichend Sentimentalität aufkommen zu lassen.

Zeichneten sich für den musikalischen Part des Abends verantwortlich: Peter Clemente, Festivalleiterin Isabel Lhotzky und Jiří Bárta (von links). (Foto: Claus Schunk)

Mahler verabschiedete sich gleich zwei Mal von Wien. Einmal Ende 1907, als er nach New York aufbrach, um eine Stelle als Dirigent an der Metropolitan Opera anzunehmen. Ein zweites Mal, als er diese Welt für immer verließ. Vereint in "kollektiver Trauer", hielt Salondame Zuckerkandl damals fest, hätten die Wiener zu Tausenden das Sanatorium umstanden, in dem Mahler mit einer Entzündung der Herzinnenhaut seine letzten Tage verbrachte. Glaubt man Karl Kraus, starb es sich im Übrigen nirgends so stattlich wie in Wien. "Das österreichische Leben hat eine Entschädigung: die schöne Leich", hatte dieser einst geschrieben, und damit "ein repräsentatives Begräbnis mit großer Trauergemeinde" gemeint.

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Als Mahler im Mai 1911 beerdigt wurde, soll ein regelrechter Blumenregen auf seinem Sarg niedergegangen sein. Seine Witwe, Alma Mahler, blühte danach auf ihre Weise auf: Affären soll es einige gegeben haben, etwa mit dem Maler Oskar Kokoschka, der wiederum ein Freund des Architekten Adolf Loos war, einem erbitterten Gegner der Ringstraßenarchitektur und zudem Taufpate von Kraus. Im Grunde war dieses Wien um 1900 wohl nichts anderes als ein stadtumspannendes Netz an Kaffeehäusern, in denen Zeitungen in zig Sprachen auslagen. Und so entfaltet sich mit jedem Stadtbewohner, den Szyszkowitz vor dem sanft beleuchten Bühnenvorhang auferstehen lässt, ein wenig mehr von dem, was das originär Wienerische damals ausmachte. Eine Art Schicksalsergebenheit, ein galgenhumoriger Blick auf das Selbst, garniert mit Hang zum Kulturgenuss und zur Debatte, wobei letztere nirgends so freudvoll vollzogen wurde wie im Café Central. Besonders gerne saß dort ein gewisser Peter Altenberg, der sich eine Berufsunfähigkeit wegen überempfindlicher Nerven hatte attestieren lassen und fortan sein Image als verkannter Künstler pflegte. "Wenn er nicht im Kaffeehaus ist, ist er auf dem Weg dorthin", erfährt das Publikum in Oberhaching. Noch heute erinnert im Central eine Statue an ihn.

Im Vergleich zur Wiener Vorstadt, wo die Prostitution explodierte und quasi jedes Haus über eine Gasthaus-Konzession verfügte, muss es in den Kaffeehäusern relativ brav zugegangen sein - auch diese Erkenntnis nimmt das Publikum in Oberhaching mit. Als Kronprinzessin Stephanie ihren Mann Rudolf, den Sohn von Franz Josef I. und Kaiserin Sisi, einmal bei einem Ausflug in die Vorstadt begleitete, mokierte sie sich über schmutzige Tische, Karten spielende Fiakerkutscher und Mädchen, die "immer wieder die gleichen sentimental-ordinären Schlager" gesungen hätten. Sie wisse nun wirklich nicht, was der Kronprinz daran finde.

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