NS-Geschichte:Grünwalder Schicksale

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Auch die Ereignisse im alten Rathaus in den letzten Kriegstagen, durch die der Arzt Thomas Max zu Tode kam, werden in Neusiedl-Hubs Buch erwähnt. (Foto: Claus Schunk (Repro))

Hella Neusiedl-Hub hat ein Buch über die NS-Zeit am Ort geschrieben

Von Claudia Wessel, Grünwald

Er war am Anfang seiner Karriere und blickte vertrauensvoll in die Zukunft. Im Januar 1921 erhielt Kurt Rosenmeyer seine Approbation als Arzt. Der 26-Jährige ließ sich am 1. März 1925 in Grünwald als praktischer Arzt und Geburtshelfer nieder. Im Oktober 1925 heiratete er seine Frau Anna und sein Leben in Grünwald gestaltete sich erfolgreich. Am 20. März 1930 übertrug ihm der Gemeinderat für die Dauer von drei Jahren die Aufgabe als Schularzt. Er sollte aber diese drei Jahre nicht mehr als Schularzt vollenden können. Kurz vorher erhielt er die fristlose Kündigung, da er Jude war.

Nachzulesen ist das Schicksal von Kurt Rosenmeyer in dem Buch "Spuren der Grünwalder Vergangenheit 1933 bis 1945", das Hella Neusiedl-Hub jetzt auf eigene Kosten hat drucken lassen. Zahlreiche weitere Personen und ihr Leben werden in dem Buch vorgestellt. Es hat 150 Seiten und 33 Kapitel, die nach bedeutsamen Orten geordnet sind, sowie zahlreiche Fotos. Die Gemeinde Grünwald hatte finanzielle Unterstützung für das Projekt abgelehnt und stattdessen die Historikerin Susanne Meinl für eine professionelle Aufarbeitung dieses Zeitraums in Grünwald engagiert. Neusiedl-Hub, übrigens die Schwester von Bürgermeister Jan Neusiedl (CSU), war über diese Absage sehr enttäuscht, da sie fest damit gerechnet hatte, dass ihr Engagement mit einer Unterstützung gewürdigt würde. Mit der Thematik befasst ist die Diplom-Kauffrau seit 2004. Damals konnte sie im Auftrag der Gemeinde 30 Zeitzeugen befragen, was sie sehr beeindruckte, so dass sie sich intensiv mit der Geschichte befasste. Seit drei Jahren bietet sie im Rahmen des Grünwalder Volkshochschulprogramms Radl-Führungen durch den Ort an, bei welchen sie die berührenden und tragischen Schicksale ehemaliger Grünwalder ebenso beleuchtet wie das Leben der Täter.

Ein Manuskript für ein Buch hatte sie schon seit einer Weile fertig, alle Bemühungen, es quasi als offizielles Buch der Gemeinde herauszugeben, sind jedoch gescheitert. Davon hat sie sich jedoch nicht entmutigen lassen und das Buch jetzt mit der Unterstützung einiger privater Sponsoren drucken lassen. Dazu gehören etwa die Kreissparkasse München-Starnberg, Isar-Druck Grünwald, die VR Bank München Land sowie zwei alteingesessene Grünwalder Familien, wie in den Danksagungen des Buches nachzulesen ist. Für ein Vorwort konnte sie Winfried Eckart gewinnen, Stadtbereichsleiter Ost der Münchner Volkshochschule.

Hella Neusiedl-Hub ist keine Historikerin, aber sie hat in ihrem Studium der Wirtschaftswissenschaften ebenfalls gelernt, zu recherchieren und wissenschaftlich zu arbeiten, was ihr wichtig ist zu betonen, und was man in dem Buch an den seitenlangen Anmerkungen, Quellenangaben und dem Literaturverzeichnis sehen kann. Sie hat in diversen Archiven recherchiert und lässt auch manches aus den Zeitzeugeninterviews einfließen. Das Recht an diesen Interviews besitzt allerdings die Gemeinde, in deren Auftrag Neusiedl-Hub sie seinerzeit machte.

Wer das Buch liest, ist jedenfalls ebenso betroffen wie jemand, der an den Radl-Touren teilnimmt. Neusiedl-Hub schildert sehr detailreich viele tragische Ereignisse in ihrem Heimatort. So etwa dieses vom 31. März 1933. An diesem Abend klingelte es an der Tür von Kurt Rosenmeyer. Vor der Tür stand an jenem Abend ein junger Bursche aus dem Ort und fragte nach dem Arzt. Dann ging er aus dem Weg und vier SA-Männer stürmten in das Haus. Sie entführten Rosenmeyer in einen Wald und schlugen auf ihn ein, bis er blutüberströmt liegen blieb. Dabei riefen sie: "Hin musst du sein, du jüdisches Schwein, heim kommst du nicht mehr." Der schwer Verletzte schleppte sich sogar noch zu einem Patienten und dann nach Hause. Auf eine Anzeige gegen den Verleumder, den er kannte, verzichtete er. Rosenmeyer hat übrigens trotz allem vertrauensvoll noch 1935 ein Haus in Grünwald gebaut.

Der Arzt konnte später nach New York emigrieren, erhielt dort sogar die Arbeitserlaubnis in seinem Beruf. Doch als er seine katholische und somit "arische" Frau Anna nachholen wollte, erfuhr er, dass sie sich hatte scheiden lassen. Aus Enttäuschung erhängte er sich in New York. Seine Urne wurde wieder nach Grünwald überführt, wo er heute im gemeinsamen Grab mit seiner ehemaligen Frau Anna auf dem Waldfriedhof liegt.

Da die Buchvorstellung abgesagt werden musste, kann man das Buch bei Hella Neusiedl-Hub bestellen. Es kostet 20 Euro und wird in Grünwald, Pullach und Harlaching kostenlos nach Hause geliefert, Kontakt über E-Mail: Hella.Neusiedl-Hub@t-online.de oder Telefon 089/6415617

© SZ vom 08.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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