"Bist du denn völlig wahnsinnig?", hatten sie ihre Freunde gefragt, als Bettina Theis ihnen erzählte, dass sie die Ausbildung zur Tagesmutter machen wolle. Die 43-Jährige ließ sich davon nicht beirren und blieb trotz des gutmütigen Spottes bei ihrem Entschluss. Sie hat es nicht bereut. Seit Anfang Januar arbeitet sie in Neukeferloh als Tagesmutter - und ist damit nicht allein: Im Münchner Landkreis geht der Trend in Richtung Tagespflege.
Die Anforderungen an Tagespflegende sind hoch
Die Zeiten, in denen eine Tagespflegeperson keine Ausbildung brauchte, sind längst Geschichte. Um Kinder in Tagespflege betreuen zu können, ist eine Erlaubnis des Jugendamtes nötig. Tageseltern brauchen ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis und einen Gesundheitsnachweis.
Personen, die keine pädagogische Ausbildung haben, müssen außerdem eine Grundqualifizierung mit 160 Unterrichtsstunden absolvieren. Ebenso verpflichtend ist der Besuch eines Kurses zur ersten Hilfe bei Säuglingen und Kleinkindern. Zusätzlich prüft das Jugendamt, ob die Wohnungen oder Häuser der Pflegeeltern kindgerecht eingerichtet sind. Auch unangemeldete Hausbesuche gehören zur Kontrolle.
Für Bettina Theis hat sich die Mühe der Ausbildung gelohnt. Arbeitet sie mit Kindern, ist die gebürtige Berlinerin voll in ihrem Element. Sie ist selbst dreifache Mutter. Auch vor der Qualifikation zur Tagespflegekraft hat sie viel beruflich mit Kindern zu tun gehabt, hat mit ihnen Theater- und Malprojekte gestaltet oder kreative Waldtage für sie angeboten. Die freischaffende Künstlerin genießt es sichtlich, als Tagesmutter von zu Hause arbeiten zu können. "Ich komme endlich wieder zu kreativen Projekten. Es sprudelt nur so", sagt Theis strahlend.
Sie sitzt an ihrem Küchentisch, der vollgestellt ist mit bunten Transparentpapierrollen, ausgespülten Marmeladengläser und einem großen Eimer Kleister. Aus den Utensilien werden später magische Teelichter entstehen. Aus dem Nebenzimmer dringt gedämpftes Kinderlachen. Ein vierjähriger Junge kommt kichernd um die Ecke gesaust und wirft sich Bettina Theis in die Arme. Ihr erstes Pflegekind. Verfolgt wird er von ihrer zehnjährigen Tochter Emma, die ihn kitzelt. Die gutmütige Labradorhündin Molly, die friedlich vor dem kleinen Bollerofen im Flur Platz genommen hat, vervollständigt das harmonische Bild, das sich dem Besucher in Theis' Haus in der Finkenstraße bietet.
Individualität und Spontanität zählen zu den Stärken der Tagespflege
Bis zu fünf Kinder dürfte die Tagesmutter hier gleichzeitig aufnehmen. "Dann brauche ich aber einen Bus", scherzt sie. Regelmäßige Ausflüge in den umliegenden Wald oder zum Bauernhof nebenan stehen bei ihr ebenso auf dem Programm wie Basteln, Malen, Kochen und natürlich zu gegebener Zeit Mittagsschlaf für die Kleinsten. Wichtig ist ihr allerdings, den Tagesplan nicht einfach stur durchzuziehen, sondern spontan und individuell auf die Bedürfnisse ihrer Schützlinge einzugehen.
"Kein Kind ist wie das andere", das weiß Theis aus Erfahrung. Daher sei es für eine Tagesmutter besonders wichtig, "die Gabe zu haben, bei jedem Kind zu entdecken, was es kann und braucht". Diese Flexibilität und Feinfühligkeit sind für sie die Stärken der Tagespflege im Gegensatz zu größeren Einrichtungen wie Kindergärten, Krippen oder Kitas.
Die individuellen Betreuungszeiten der Tagesmutter sind für viele Eltern sehr attraktiv. Manche brauchen nur an zwei oder drei Tagen eine Aufsicht für ihren Nachwuchs, an diesen dafür aber bis in die Abendstunden. Wie die allermeisten ihrer Kolleginnen kann Bettina Theis sehr konkret auf diese Bedürfnisse eingehen.
Im Landkreis München gibt es zurzeit 346 Tageseltern
Im Landkreis München wird das Konzept der Tagespflege immer beliebter: 346 Tageseltern arbeiten bis jetzt in der Region, Tendenz steigend. Einzig in Aying gibt es bis jetzt noch kein Angebot zur staatlich geprüften Tagespflege, doch auch dort mehren sich die Anfragen potenzieller Kandidaten, die die Arbeit gerne ausüben würden. Die Ausbildungskurse für Tageseltern des AWO Kreisverbands München und der Nachbarschaftshilfen sind ausgebucht.
Große Nachfrage gibt es in den Gemeinden auch nach Großtagespflegen, einer Mischform aus Kita und Tagesbetreuung zu Hause. 28 gibt es bereits im Landkreis, drei weitere sind in Grasbrunn, Unterföhring und Gräfelfing in Planung. Sie sind einfacher und schneller zu eröffnen als herkömmliche Betreuungsstätten.
Steht also langfristig gar eine Verdrängung der Kitas und Krippen durch das individuellere Modell der Kinderbetreuung an? "Nein, dass nun auch nicht", sagt Christine Spiegel vom Landratsamt. "Eher haben sich die Tageseltern als zusätzliches Angebot gut etabliert." Die neue Tagesmutter Bettina Theis hat übrigens noch Plätze frei.
