Mobilität in München:Die Gondel kommt per App

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Das Start-up Ottobahn will mit einem emissionsfreien Transportsystem, für das in Taufkirchen eine Teststrecke geplant ist, den Verkehr revolutionieren. Die zuständige Ministerin zeigt sich sehr angetan.

Von Patrik Stäbler, Taufkirchen

Kerstin Schreyer hat kaum Platz genommen im dunklen Sessel, da rauschen am Fenster zu ihrer Linken schon die Häusersilhouetten einer japanischen Stadt vorbei. Die CSU-Verkehrsministerin sitzt in einer Gondel, wie sie dereinst auf Schienen und meterhoch über der Erde ihre Runden auf einer Teststrecke in Taufkirchen drehen soll, ehe die Kabinen dann als Verkehrsmittel für Menschen und Fracht in Städten und Ballungsgebieten zum Einsatz kommen werden - so zumindest der Plan des Herstellers, der Ottobahn GmbH. Aktuell aber ist die Gondel, in der die Ministerin sitzt, bloß ein unbeweglicher Prototyp und das Fenster neben ihr ein Bildschirm, der vorbeiziehende Straßenszenen aus Japan zeigt.

Doch allein die Idee eines Transportsystems mit autonom fahrenden Kabinen habe sie "begeistert", sagt Schreyer. Mit Blick auf ihre Heimat betont sie: "Der Großraum München boomt. Deswegen ist es wichtig, dass wir uns die Verkehrsfragen hier immer wieder anschauen und auch neu denken. Solche kreativen Ansätze können einen echten Mehrwert für die Menschen schaffen." Die Ministerin ist an diesem Nachmittag in die schmucklosen Büros der Ottobahn GmbH in einem noch schmuckloseren Gewerbepark in München-Sendling gekommen - ebenso wie der Bundestagsabgeordnete Florian Hahn (CSU) und Taufkirchens Bürgermeister Ullrich Sander (parteilos). Mit ihrem Tross ist die Politik somit zahlenmäßig beinahe den Beschäftigten des Start-ups überlegen, die hier in Turnschuhen und Kapuzenpullis an Bildschirmen sitzen.

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(Foto: Claus Schunk)

Ottobahn-Geschäftsführer Marc Schindler sitzt gelassen in einem Prototyp der Ottobahn im Büro in Sendling.

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(Foto: Claus Schunk)

Fröhliches Team: 2019 wurde die Ottobahn GmbH gegründet.

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(Foto: Claus Schunk)

Seitdem tüfteln die Mitarbeiter um Chef Marc Schindler an ihrem Transportsystem.

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Noch heuer solle der Bau der Teststrecke anlaufen, sagt Marc Schindler.

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Die CSU-Verkehrsministerin Kerstin Schreyer zeigte sich begeistert.

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(Foto: Claus Schunk)

Zu Gast in den Büros der Ottobahn GmbH waren auch der Bundestagsabgeordnete Florian Hahn (CSU) und Taufkirchens Bürgermeister Ullrich Sander (parteilos).

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(Foto: Claus Schunk)

Geschäftsführer Marc Schindler spricht von einem "Transportsystem in der dritten Ebene".

So viel Politprominenz ist gewiss auch dem Wahlkampf geschuldet, in dem nicht erst seit dem Hochwasser das Thema Klimaschutz ein beherrschendes ist. Und die Ottobahn, damit wirbt die 2019 gegründete Firma, soll nicht nur emissionsfrei, sondern auch CO₂-neutral fahren - indem der benötige Strom durch Solarzellen auf dem Gleisträger erzeugt wird.

Von einem "Transportsystem in der dritten Ebene", spricht Geschäftsführer Marc Schindler. Ihm zufolge fahren die Ein- oder Viersitzer-Gondeln in fünf bis zehn Metern Höhe an einem Schienensystem - innerorts etwa 60, über Land gar bis zu 250 Kilometer pro Stunde schnell. Fixe Bahnhöfe seien nicht nötig, sagt Schindler. Vielmehr würden die Gondeln per App geordert - zur Wunschzeit, mit einem individuellen Start- und Zielort. Dort soll sich die Kabine dann mittels eines Aufzugsystems zu Boden senken, sodass die Passagiere ein- und aussteigen können. Um Wartezeiten zu vermeiden, steuere eine Software die Fahrten aller Kabinen und stimme sie aufeinander ab, sagt Schindler. "Wir machen nichts anderes, als das Gepäckband am Münchner Flughafen."

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Einen Eindruck, wie sich die Fahrt in der Ottobahn einmal anfühlen könnte, bekommen Schreyer und Co. nebenan vorgeführt, wo mitten im Großraumbüro ein 36 Meter langer Rundkurs aufgebaut ist. Hier rattern die Gondeln freilich nur knapp über Bodenhöhe - ohne Hoch- und Runterfahren. Ungleich komplexer soll die geplante und fast 900 Meter lange Anlage an der Ludwig-Bölkow-Allee in Taufkirchen werden. Dem Bauantrag für diese Testrecke hat die Gemeinde bereits ihr Plazet erteilt. Bürgermeister Sander sieht in der Ottobahn nicht weniger als "eine fantastische Möglichkeit, um die Mobilitätsprobleme der Zukunft zu lösen - nicht nur in Taufkirchen, sondern in Deutschland und vielleicht sogar weltweit."

Noch heuer solle der Bau der Teststrecke anlaufen, sagt Marc Schindler. Für 2022 seien 100 000 Testkilometer anvisiert. Und sollten die Zulassungen vorliegen, "können wir vielleicht schon 2023 festzurren, wo die erste kommerzielle Strecke entsteht". Ideen gibt es einige: So hat der Taufkirchner Bauausschuss vorgeschlagen, die Teststrecke zu erweitern und sie über dem Mittelstreifen der A 8 bis zum Karl-Preis-Platz auszubauen - zur Erschließung des Ludwig-Bölkow-Campus. Kerstin Schreyer bringt derweil eine Verbindung vom Taufkirchner S-Bahnhof zum Gewerbegebiet Brunnthal-Nord ins Spiel. Sie betont, dass die Ottobahn andere Verkehrsmittel nicht ersetzen, wohl aber ergänzen könne: "Die S-Bahn ist rappelvoll, die U-Bahn genauso. Wir werden daher verschiedene Systeme brauchen."

Doch wie realistisch sind die zweifellos ambitionierten Pläne der Ottobahn GmbH? "Es muss erst mal gezeigt werden, dass so ein System funktioniert", sagt dazu Klaus Bogenberger, Leiter des Lehrstuhls für Verkehrstechnik an der TU München. Große Herausforderungen sieht er beim Thema Lärm - schließlich hängen die Gondeln an Rädern, die über Schienen rollen, ähnlich einer Straßenbahn. Zum anderen müsse die Zuverlässigkeit des Verkehrssystems nachgewiesen werden - "das ganze Jahr über, 24 Stunden am Tag", so Bogenberger. Sei das einmal unter Beweis gestellt, könne man über Einsatzmöglichkeiten nachdenken. Und hier wiederum "ist es mit dem reinen Hinstellen nicht getan", gibt der Verkehrsexperte zu bedenken. Vielmehr sei gerade die Genehmigung oftmals zeitraubend.

Bleibt die Frage nach der Finanzierung, bei der Marc Schindler auf zwei Geldgeber verweist. Überdies seien Gespräche mit anderen Investoren "weit gediehen". Konkrete Summen will der Geschäftsführer nicht nennen - so gerne er sonst mit Zahlen hantiert. Bei 30 000 Fahrten pro Stunde werde die Kapazität der Ottobahn liegen, sagt er. Und bei den Baukosten rechne man mit fünf Millionen Euro je Kilometer - weit weniger als etwa bei der U-Bahn. Zunächst aber müsse das Gondelsystem in Taufkirchen ausgiebig getestet werden.

© SZ vom 07.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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