München:Bilder im Kopf

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Eine Ausstellung in Grünwald zeigt Werke von Claudia Stiglmayr-Keshishzadeh, welche die blinde Malerin mit dem Fotografen Michael Spakowski geschaffen hat

Von Gudrun Passarge, Grünwald

Claudia Stiglmayr-Keshishzadeh ist vor zwölf Jahren wegen ihrer Leukämieerkrankung erblindet. Das hält sie jedoch nicht vom Malen ab. Sie kann sich noch gut erinnern, wie sie, nachdem sie ihr Augenlicht völlig verloren hatte, in ihr Atelier im Gartenhaus zurückkehrte und anfing, ein Bild zu malen. "Ich wusste gar nicht, welche Farben ich in der Hand hatte, aber es war wirklich befreiend." Es waren übrigens Rot- und Beigetöne, das Bild hat sie ihrem Augenarzt geschenkt. Ein Galerist habe es später angeschaut und nicht geglaubt, dass es das Werk einer Blinden ist, sagt sie. Und genau das wünscht sich die 50-Jährige: in der Kunst nicht auf ihre Blindheit reduziert zu werden. Zusammen mit dem Fotografen Michael Spakowski stellt sie derzeit in Grünwald aus.

Fotograf und Malerin sind ein eingespieltes Team: sie in modischem Outfit mit mintgrünen Strümpfen zu schwarzem Kleid, er lässig im Jeanshemd mit Stehkragen. Ihre harmonische Verbindung ist spürbar, beim Gespräch wie bei den gemeinsamen Arbeiten. Die Malerin aus Pfaffenhofen hat die Werke des Fotografen aus Abensberg mit ihrem Stempel versehen, wie sie selbst einmal sagte. Da ist etwa der Engel mit dem goldenen Kopf, den sie in einem bunten Kreis in den Fokus rückt, um die Schwärze des Bildes mit weißen Pinselstrichen in alle Richtungen gleich einem ungeheuren Strahlen auszufüllen. Oder die rote Figur eines nepalesischen Tempels, dem sie eine weiße Haube verpasst hat, die aussieht wie eine südamerikanische Federkrone, oder die Madonna, eingerahmt in einer Art Kirchenfenster. "Ich bin fasziniert", sagt der Fotograf, "als die erste Arbeit fertig war, war ich sprachlos." Sie habe seine Bilder sehr gut übernommen.

Kennengelernt haben sich die beiden über den ersten Blindenhund, den Claudia Stiglmayr-Keshishzadeh hatte. Die Hundetrainerin ist die Lebenspartnerin von Michael Spakowski. Sie trafen sich privat, sie die Malerin, die schon seit ihrem 18. Lebensjahr diesem Hobby nachging, es aber nie studiert hat; und er, der Fotograf, der seine Ausbildung an der Bayerischen Staatslehranstalt für Fotografie in München gemacht hat. Spakowski machte ihr den Vorschlag, gemeinsam zu arbeiten. Stiglmayr-Keshishzadeh sagt, für eine Blinde sei es die "totale Herausforderung", mit einem Top-Fotografen etwas zu machen. "Spannend, ganz aufregend." Aber es klappte sehr gut. "Ich rede ihm nicht rein und er mir nicht. Er muss mir sein Werk wirklich überlassen. Ich weiß nicht, ob er Angst hatte."

Die Schafe gehören zu den Werken des Fotografen. (Foto: Claus Schunk)

Nein, die hatte Spakowski nicht. Der 58-Jährige sagt, er wisse nie, welche Farben zu seinen Bildern hinzukommen, welche Formen. Aber das kenne er schon vom eigenen Arbeiten, denn der Fotograf nutzt gerne extrem lange Belichtungszeiten. Meist habe er eine Vorahnung, wie das Foto hinterher aussehen werde, aber am Ende sei es auch für ihn immer wieder eine Überraschung. Und so staunt der Betrachter über die Effekte der langen Belichtung, die ganz eigene Geschichten erzählen, etwa die vielen spiralenförmigen roten Kreise der Grablichter eines italienischen Urnenfriedhofs mit dem Restlicht eines Durchgangs in der Mitte, der einer himmlischen Erleuchtung gleicht.

Am Anfang eines gemeinsamen Werks erklärt Spakowski der Malerin genau, wie sein Bild aufgebaut und was zu sehen ist. "Wenn er es mir erklärt, bleibt es in meinem Kopf hängen", sagt Stiglmayr-Keshishzadeh. Sie arbeitet mit RFID-Codes, die sie bespricht und hinterher wieder abhört, in ihrem Keller, der mittlerweile zum Atelier umfunktioniert wurde, denn Licht braucht sie ja keines. "Ich schaue das Bild immer wieder an, ich verinnerliche es." Dann wählt sie die Farben aus, die mittlerweile auch alle mit besprochenen Etiketten bestückt sind, sodass sie immer weiß, welche Farbe sie gerade in Händen hält. Den Fortschritt eines Tages hält sie ebenfalls digital fest. "Es ist Kopfsache. Ich fange an wie ein Sehender. Jeder Strich, den ich auf die Leinwand bringe, ist in meinem Kopf." Nur wisse sie natürlich nicht, ob die Ausführung stets so gelinge, wie sie es sich vorstellt. Und wenn Spakowski am Rand eines Bildes einen kleinen roten Klecks entdeckt, ist das eher dem Zufall geschuldet. Er sieht das Endergebnis als "Gesamtkunstwerk". "Wenn es fertig ist, kann ich es nicht mehr trennen."

In der Ausstellung in Grünwald sind außer den gemeinsamen Bildern auch Einzelwerke zu sehen, denn beide stellen jährlich eigenständig aus. Stiglmayr-Keshishzadeh arbeitet gerne mit Gips, was ihren Bildern erstaunliche Strukturen verleiht. Auch ihre Vorliebe für Gold- und Kupfertöne ist in vielen Werken zu bemerken; sie spielt mit expressiven Wirbeln und starken Farbkontrasten genauso wie mit harmonischen Kombinationen. "Ich spüre teilweise die Farben", sagt sie. "Ich find's unglaublich schön, Farben ineinander zu malen, sodass es verschwimmt." Sie arbeite mit Gips und Acrylfarben, sie nutze Hände und Füße zum Malen, sagt sie überspitzt. "Es gibt mir das Gefühl, dass ich sehen kann."

Claudia Stiglmayr-Keshishzadeh und Michael Spakowski vor einem gemeinsamen Werk. (Foto: Claus Schunk)

Spakowskis Arbeiten sind sehr vielseitig. Er pflegt seit 20 Jahren die Richtung der Fine Art. Das scheinbar losgelöste Fliegen der Menschen am Kettenkarussell, die Sonne in den griechischen Olivenbäumen, die Vielgestaltigkeit nepalesischer Tempelfiguren. Beide Künstler sind sich einig, dass ihre Werke auch immer für Lebenslust stehen. Und für etwas Grenzenloses. "Einem Blinden ist nicht präsent, dass er blind ist", sagt Claudia Stiglmayr-Keshishzadeh. "Das Leben ist grenzenlos." Man könne alles schaffen, was man will. Spakowski stimmt ihr zu: Diese Grenzenlosigkeit, diese Neugierde, dass immer wieder etwas Neues entsteht, gelte auch für seine Arbeit. Und dass die Malerin alles schafft, was sie sich vornimmt, kann er nur bestätigen: "Sie ist auch eine hervorragende Köchin", sagt er und schwärmt von ihrem Truthahn, den es vor Weihnachten für die Freunde gab. Und überhaupt: Sie habe das ganze Haus wunderbar weihnachtlich dekoriert, bis ins kleinste Detail. "Das kriegt manch Sehender in zehn Leben nicht hin." Aus Spakowskis Worten spricht Wärme und Bewunderung. "Claudia, wir sind sehr stolz auf dich" - der Satz ist kaum nötig.

Die Ausstellung Fine Arts Painting & Photographie ist noch bis Ende Februar in den Räumen des Finanzteams Ahner & Mäge Gmbh in Grünwald zu sehen, Lena-Christ-Straße 2. Eine telefonische Anmeldung wäre wünschenswert, ist aber nicht Voraussetzung.

© SZ vom 28.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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