Energiewende:Die Null ist noch weit entfernt

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Ob mit Photovoltaik oder Windkraft, das ist den Kommunen überlassen. Doch sie sollen Wege aufzeigen, wie der Erderwärmung entgegengewirkt werden kann. (Foto: imago stock&people)

Der neue Treibhausgasbericht des Landkreises München kommt für 2020 auf einen Pro-Kopf-CO₂-Ausstoß von 5,7 Tonnen. Weil das nicht reicht, um die selbst gesteckten Ziele zu erreichen, sollen die einzelnen Kommunen stärker in die Pflicht genommen werden.

Von Bernhard Lohr, Landkreis München

Hohenbrunn hat seinen Pfad zur klimaneutralen Stromerzeugung schon beschrieben. Die 8000 Einwohner zählende Gemeinde bräuchte sechs Windkraftanlagen, dazu auf 104 000 Quadratmetern Dachfläche Solarmodule und auf 200 000 Quadratmetern Freiflächen-Photovoltaik, wobei auf knapp der Hälfte der Fläche sogenannte Agri-Anlagen stehen könnten, die auch landwirtschaftliche Nutzung erlauben. Dieses Szenario hat der Energieausschuss der Gemeinde Anfang März abgesegnet. Damit würde - einen steigenden Stromverbrauch einkalkuliert - bis 2040 erreicht, was der Freistaat und der Landkreis München bisher als Ziel vorgeben. Doch ob das reicht? Bereits im Mai soll unter Beteiligung der Kommunen die erste Klimakonferenz im Landkreis stattfinden. Und dort geht es dann noch einmal um Ziele und einen ausgeklügelten Mechanismus, der Gemeinden und Landkreis zu ehrgeizigem Klimaschutz verpflichten soll.

Gemessen an der Notwendigkeit, die Erderwärmung zu stoppen oder wenigstens zu bremsen und auch mit Blick auf die bisher gesetzten Ziele, kommt der Landkreis München nur schleppend bei der Reduktion der Treibhausgase voran. Gerade erst hat das Landratsamt nach zwei Jahren wieder einen Treibhausgasbericht auf Basis von Daten aus dem Jahr 2020 vorgelegt. Dabei wurde diesmal die bisher angewandte "Bilanzierungs-Systematik Kommunal" (Bisko) durch eine neue, nach der Klima-Initiative im Landkreis benannte 29++-Rechnung ergänzt. Damit reagiert man auf Kritik aus der Bevölkerung und beseitigt einige Ungereimtheiten.

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Die CO₂-Belastung durch den Verkehr auf den Autobahnen wird bei der neuen Rechnung nicht mehr den Anrainer-Kommunen zugeschlagen, dafür aber der erneuerbar erzeugte Strom, auch wenn die Erzeugungsanlage nicht auf Gemeindegebiet liegt. Zudem fließen nicht-energetische Emissionen aus der Landwirtschaft in die Bilanz ein. Insgesamt führt das vor allem wegen des Wegfalls der Autobahnen zu niedrigeren Werten. Nach Bisko lag der Pro-Kopf-CO₂-Ausstoß im Jahr 2018 bei 9,7 Tonnen und 2020 bei 7,9 Tonnen. Nach der 29++-Formel kam man nachträglich berechnet 2018 auf 6,8 Tonnen und 2020 auf 5,7 Tonnen. Die Null ist also noch weit entfernt. Zumal das Jahr 2020 mit seinen Corona-Beschränkungen ein Jahr mit niedrigem Energie-Verbrauch war, wie stellvertretender Landrat Christoph Nadler von den Grünen herausstreicht.

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Die effektiv erreichten Einsparungen dürften also geringer sein, als es das aktuelle Zahlenwerk erscheinen lässt. Nadler, der die Sitzung des Energieausschusses des Kreistags leitete, in der der Treibhausgasbericht vorgestellt wurde, fordert deshalb jetzt deutlich mehr Tempo beim Klimaschutz. Das zeichnet sich auch ab. Denn der Energieausschuss hat einstimmig beschlossen, dass es auf der ersten Klimakonferenz im Landkreis am 25. Mai in Taufkirchen zum Schwur kommt. Dann sollen die Rathäuser einen Zielwert für Emissionen pro Einwohner im Jahr 2030 benennen; dazu ein Jahr, bis zu dem sie energetische Treibhausgas-Neutralität anstreben, wobei nur Emissionen im Strom- und Wärmesektor zählen sollen. Und als drittes Ziel sollen sie darlegen, bis zu welchem Jahr Klimaneutralität erwartet wird, und zwar mit Blick auf alle Treibhausgas-Emissionen. Auf dieser Grundlage will dann der Landkreis Klimaschutzziele für sich formulieren.

Das kommt nicht von ungefähr. Das Landratsamt hat vergangenes Jahr jeder Kommune einen Ist-Stand beim Treibhausgas-Aufkommen und eine Potenzialanalyse zukommen lassen. Individuell zugeschnittene Excel-Tools wurden zur Verfügung gestellt, um Szenarien auf dem Weg zur Klimaneutralität zu entwickeln, so wie es Hohenbrunn bereits getan hat. Doch nicht in allen Rathäusern stößt das eng vorgegebene Korsett auf Gegenliebe. Eine Schlüsselrolle übernehmen dabei die jeweiligen Klimaschutzmanager. Ilona von Schaubert in Hohenbrunn ist gut vernetzt mit ihren Kollegen. Sie äußert sich vorsichtig und sagt, sie könne bei den Kommunen nicht abschätzen, "wie viele da mitmachen werden". Viele Gemeinden hätten "ihr eigenes Klimaschutzkonzept".

Während Hohenbrunn die Landkreis-Agenda bereits weitgehend abgearbeitet hat, zeigte sich im Energieausschuss des Kreistags, dass manche dabei noch einiges vor sich haben. Unterschleißheims Bürgermeister Christoph Böck (SPD) forderte jedenfalls mehr Zeit ein. Deshalb soll es Nadler zufolge jetzt möglich sein, bis Ende des Jahres Ziele nachzumelden.

Christoph Nadler hält es aber für "sehr entscheidend", dass der Landkreis sich jetzt gemeinsam ernsthaft an die Arbeit macht. Durch die Klimakonferenz werde mehr Zug in die kommunalen Bemühungen kommen. "Wenn das tatsächlich so umgesetzt werden kann, dann ist das eine vollkommen neue Art der Kommunalpolitik", sagt er. Der angestoßene Prozess werde die Bürger mit ins Boot holen und konkrete Projekte wie etwa Bürgergenossenschaften anstoßen, die für den Betrieb von Energieerzeugungsanlagen gebraucht würden. Ein Element ist für Nadler auch die Positivplanung zur Windkraft, die es ermögliche, dass Kommunen ohne passenden Standort mit anderen zusammenarbeiteten. Es werde mehr Austausch geben, und auch mehr Konkurrenz, prophezeit Nadler. Ein wichtiges Element sei der für die 29 Kommunen regelmäßig und professionell aufbereitete Treibhausgasbericht. "Da entwickelt sich vielleicht auch ein intensiver Wettbewerb."

Der Treibhausgasbericht liegt bisher erst mit einigen Kennzahlen vor. Die Daten für die jeweilige Kommune soll es bis Ende März geben. Bisher bekannt ist, dass sich der Stromverbrauch von 2018 bis 2020 in allen Sektoren um 9,7 Prozent auf 1,7 Millionen Megawattstunden reduziert hat. Der Anteil des Gewerbesektors sank womöglich auch infolge der Corona-Maßnahmen um drei Prozentpunkte auf 70 Prozent, wohingegen der der Haushalte um drei auf 24,6 Prozent stieg. Der Heizwärmeverbrauch nahm um 6,7 Prozent auf 3,4 Millionen Kilowattstunden ab. Die Zahl der Fahrgäste im MVV-Busverkehr stieg im Landkreis München von 2016 bis 2020 von 23,3 auf 29,3 Millionen; und das in 58 von Dieselbussen bedienten Linien. Der 232er in Unterföhring fährt als einziger elektrisch. 621 Millionen Euro wurden 2020 im Landkreis für fossile Energie ausgegeben, also für Erdgas, Heizöl und Kraftstoffe.

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