Streit um Söders Vorgaben:Zersiedelung als Programm

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Das Gewerbegebiet Brunnthal-Nord (Bildmitte) grenzt nicht an die eigentliche Siedlung an, ist aber an wichtige Verkehrstrassen angebunden. (Foto: Claus Schunk)

Gewerbegebiete sollen künftig abseits der Orte entstehen dürfen, wenn sie an Autobahnausfahrten liegen oder von mehreren Kommunen gemeinsam geplant werden. Der Regionale Planungsverband protestiert gegen die Vorgaben von Heimatminister Markus Söder.

Von Sabine Wejsada, Landkreis

Die Lokalpolitiker in den Kommunen im Landkreis München treibt derzeit eines um: die Fortschreibung des Landesentwicklungsprogrammes (LEP). Hinter dem sperrigen Namen verbirgt sich ein Papier, das die Zukunft des Freistaats regeln soll. Seit mehr als 30 Jahren dient das Programm als Grundlage und Richtschnur für die räumliche Entwicklung von Bayern, mit dem Ziel, gleichwertige Lebens- und Arbeitsbedingungen in allen Landesteilen zu schaffen.

Die aktuellen Änderungen stammen aus dem Ressort von Bayerns Heimatminister Markus Söder (CSU). Das Kabinett hat diese bereits im Juli beschlossen und seitdem beschäftigt vor allem ein Aspekt Experten wie auch Gemeinde- und Stadträte. Es geht um die Ansiedlung von Gewerbegebieten, konkret um die Möglichkeit, Flächen für Unternehmen und Betriebe auch dort auszuweisen, wo sie mehr schlecht als recht an Gemeinden und Städte angebunden ist.

Einkaufszentren mitten in der Landschaft

Die geplante Lockerung des sogenannten Anbindegebots ruft im Landkreis deutliche Kritik hervor - und auch Christian Breu, der Geschäftsführer des Regionalen Planungsverbandes, hält die Ideen für fragwürdig. Bislang dürfen Gewerbegebiete nur dann genehmigt werden, wenn sie an eine Siedlung anschließen. In Zukunft also Einkaufs- oder Logistikzentren mitten in der Landschaft? Auf keinen Fall, heißt es vom Planungsverband.

Nach dessen Ansicht wird das Anbindegebot durch drei neue Ausnahmen weiter abgeschwächt, von denen zwei für die Region München besonders relevant sind: Eine Ausnahme für Gewerbe- und Industrieansiedlungen ohne Einzelhandel soll an Autobahnanschlussstellen beziehungsweise funktionalen Bundesstraßen oder an einem Gleisanschluss möglich sein. Angesichts der vielen Anschlussstellen der Autobahnen gerade im Landkreis München sei das als problematisch zu sehen, argumentiert Breu. In anderen Teilen des Freistaats könnte dies durchaus anders bewertet werden, "wenn vielleicht im Abstand von 50 Kilometern Autobahnausfahrten bestehen".

Das Gewerbegebiet Brunnthal-Nord (Bildmitte) grenzt nicht an die eigentliche Siedlung an, ist aber an wichtige Verkehrstrassen angebunden. (Foto: Claus Schunk)

Gewerbe entlang der Autobahnen

So etwas heißt dann "Lagegunst", wie der Planungsverband schreibt, dennoch gibt es auch da Klärungsbedarf. "Es wird im LEP-Entwurf nicht festgelegt, welchen Umgriff solche Gewerbe- und Industriegebiete um die Knoten haben dürfen. Bandartige Entwicklungen entlang der Autobahn von einer Ausfahrt bis zur nächsten sind nicht ausgeschlossen. Es müsste ein konkreter Abstand eines solchen Gebiets um den Mittelpunkt des Verkehrsknotens festgelegt werden, um überbordende Entwicklungen zu verhindern", heißt es in der Stellungnahme des Regionalen Planungsverbandes.

Und: Die Lagegunst dieser Knotenpunkte beziehe sich nicht auf Büroarbeitsplätze. Während produzierendes Gewerbe durchaus sinnvoll an solchen Standorten sei, müssten Büroflächen wesentlich besser mit dem öffentlichen Nahverkehr erschlossen werden, als es ein Gewerbegebiet an einer Autobahnausfahrt zu leisten vermöge. Für eine derartige Nutzung seien genügend Flächen in gut integrierter Lage in den Kommunen vorhanden. Unklar ist für den Planungsverband zudem, ob und wie die Nutzung solcher Gewerbeflächen für den Einzelhandel - auch großflächigen Einzelhandel - langfristig verhindert werden kann.

Die generelle Ausnahme vom Anbindegebot bei interkommunalen Gewerbe- und Industriegebieten ist laut Breu mit fachlichen regionalplanerischen Argumenten nicht zu rechtfertigen: Nach dem LEP-Entwurf sei unklar, ob sich die kommunale Zusammenarbeit im konkreten Fall auf benachbarte Orte beziehe, oder ob "jede bayerische Gemeinde mit jeder anderen eine solche Zusammenarbeit vereinbaren kann".

Darüber hinaus sei nicht geregelt, in welchem Verhältnis der Anteil an den entstehenden Gewerbe- und Industriegebieten liegen muss. "Ein aus planerischer Sicht, auch wirtschaftlicher Sicht, schlechter Standort, der den Kommunen erhebliche Steuermittel für die Erschließung und Unterhaltung abverlangt, wird nicht dadurch besser, dass er interkommunal ist." Der Planungsverband befürchtet, dass durch diese Ausnahme ungeeignete Gewerbe- und Industriegebiete entstehen, die auf kommunaler und staatlicher Seite erhebliche Kosten verursachen und negative Auswirkungen auf die Struktur umgebender Gemeinden haben."

Christian Breu ist Geschäftsführer des Regionalen Planungsverbandes München, der sich um die strukturelle Entwicklung kümmert. (Foto: Toni Heigl)

Interkommunale Gewerbe- und Industriegebiete

Wenn es nach dem Planungsverband geht, dann soll im Landesentwicklungsprogramm eines festgeschrieben werden: Räume, in denen das Wachstum an Einwohnern und Arbeitsplätzen eine große Herausforderung darstellt, wie es zum Beispiel in den Region München der Fall ist, brauchten eine besondere Beachtung, um Engpässe bei Mobilität und Wohnungsmangel ausgleichen zu können. Der Planungsverband fordert darüber hinaus eine Zustimmungspflicht für Ausnahmen vom Anbindegebot an Autobahnanschlüssen und für interkommunale Gewerbe- und Industriegebiete. "Zumindest eine Diskussion muss möglich sein", sagt Breu. Ob der Freistaat die Einwendungen des Planungsverbandes berücksichtigen wird bei der Fortschreibung des Landesentwicklungsprogramms? Wer weiß das schon. Breu ist sich aber in einer Sache sicher: "Wir haben gute Argumente."

In den Stadt- und Gemeinderäten landauf, landab haben die Lokalpolitiker die Pläne von Söder und Co. mit äußerster Skepsis begleitet: Unterföhring jedenfalls spricht sich gegen jedwede Lockerung des Anbindegebots aus. Noch mehr Flächenfraß in der Region München wird rundweg abgelehnt. Eine Hoffnung aber setzen die Unterföhringer in das neue Landesentwicklungsprogramm: Die kinderreichste und jüngste Gemeinde im Landkreis München kämpft seit Jahren darum, Sitz eines Kinderarztes zu werden. Bislang darf ein Mediziner nur eine Filialpraxis in der Kommune unterhalten. Weil Unterföhring in einem sogenannten Verdichtungsraum liegt, soll nach einstimmigem Beschluss des Gemeinderats im LEP festgelegt werden, dass auch in Verdichtungsräumen ein flächendeckendes und bedarfsgerechtes Angebot mit Haus- und Fachärzten sichergestellt wird.

© SZ vom 30.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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