Kunsttherapie:Die heilende Kraft der Kreativität

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Hugo Kroiss hat seinen Film "Raw Vision" im Kleinen Theater vorgestellt. (Foto: Sebastian Gabriel)

Zwei Jahre nach seiner Fertigstellung feiert der Film "Raw Vision" über die Arbeit der Tagesstätte Seelenart am Haarer Klinikum Premiere. Der Abend im Kleinen Theater unterstreicht die Bedeutung, die Kunsttherapie für psychisch Erkrankte haben kann.

Von Yannik Schuster, Haar

Sieben Bilder hängen an den Wänden des Kleinen Theaters in Haar. Teils mit klar definierten Formen und kräftigen Farben, teils aber auch abstrakt und mit dünnerem Farbauftrag. Dass diese Bilder von psychisch kranken Menschen gemalt wurden, sieht man ihnen nicht an. Kunst als Therapie - darum geht es in Hugo Kroiss' Film "Raw Vision", der sich mit der Arbeit der Tagesstätte "Seelen-Art" in Haar beschäftigt. "Raw Vision" begleitet die Arbeit von psychiatrieerfahrenen Künstlern und soll damit auch zur Entstigmatisierung psychisch Erkrankter beitragen. In kleiner Runde feierte der Film fast zwei Jahre nach dessen Fertigstellung Premiere im Kleinen Theater.

Indem er Aufnahmen des tristen Straßenalltags bunter Kunst gegenüberstellt, schafft Hugo Kroiss einen Kontrast. Er stellt die Anonymität und Isolation, etwa bei der Fahrt mit der S-Bahn, in ein Zusammenspiel mit der Offenheit und Transparenz, die in der Kunst offenbar wird. "Da gehört schon eine ganze Menge an Mut dazu, so viel von sich preiszugeben", sagt Matthias Riedel-Rüppel, Intendant des Kleinen Theaters. Kunst bedürfe einer gewissen Bereitschaft zum Exhibitionismus. Und genau das zeigen die Künstler im Film: Persönliche Geschichten und Erfahrungen. "Raw Vision" gibt ein Einblick in die Seele des Künstlers.

Kunsttherapeutin Sabine Schlunk sagt: "Die Kunst wird hier als heilende Kraft gesehen." Es sei Balsam für die Seele, ergänzt ihre Kollegin Tini Polt. Es gehe nicht darum, dass der Patient wisse, dass er hier Kunst macht. Vielmehr solle er vermittelt bekommen, dass er eine Ausdrucksmöglichkeit hat. So könne er Mut und Selbstbewusstsein entwickeln und möglicherweise gewisse "innere Verknotungen" lösen. "Es ist einfach ein befriedigendes Ergebnis, wenn auf einer weißen Leinwand etwas entsteht, was einem selbst gefällt", sagt Künstler Tom Hobelsberger im Film über die Bedeutung der Kunsttherapie.

"Das ist meine Leidenschaft geworden. Eine Art, um mich auszudrücken, um gewisse Sachen auch zu verarbeiten", berichtet Künstler Lars Wessel. Er leidet unter einer bipolaren Störung, die ihm nach eigener Aussage aber auch Kreativität verschaffe. "Naiv kreativ" nennt Axel Bittner, auch Ramino genannt, seine Kunst. Diese sei im Grunde gegenständlich, aber kombiniert mit abstrakten Formen. Farbenfrohe Motive und Gebäude zieren seine Bilder. Man könnte den Vergleich ziehen zu Werken von Friedensreich Hundertwasser.

Auch Kabarettisten wie Sigi Zimmerschmied und Django Asül kommen im Film zu Wort. Man müsse den Menschen die Angst vor Andersartigkeit nehmen, sagt Zimmerschmied. Jede Form der Integration sei wünschenswert. Zumindest müsse man jedoch die Möglichkeit ausloten, so der Kabarettist. Django Asül richtet einen Appell an die Zuschauer: "Stürzt euch auf die Kunst, die euch gefällt. Es wird euch auf alle Fälle gut tun."

"Kunst ist ein Lebensmittel"

Im Anschluss an die Premiere und einen Auftritt der Ersten Allgemeinen Forensikband lud Matthias Riedel-Rüppel zu einem Gespräch auf die Bühne ein. Bezirkstagspräsident Josef Mederer (CSU), die Grünen-Landtagsabgeordnete Claudia Köhler, Regisseur Hugo Kroiss und Peter Brieger, Ärztlicher Direktor des Isar-Amper-Klinikums, diskutierten anhand des Films über Kunsttherapie. Mederer zeigte sich begeistert, wie kreativ Menschen doch sein können, wenn man sie nur lasse. Das Hauptziel der Kunsttherapie müsse es sein, den Menschen wieder ein sinnerfülltes Leben zu ermöglichen. "Kunst ist ein Lebensmittel. Ein Mittel zum Leben", so der Bezirkstagspräsident.

Brieger betonte, Kunst durchbreche Grenzen und schaffe Transzendenz, ganz ähnlich wie das verrückt sein. Claudia Köhler begrüßte die Verarbeitung von Tabuthemen wie psychische Erkrankungen in Filmen. Kroiss habe Brücken gebaut. "Man fühlt sich mit den Künstlern im Film verbunden", sagte Köhler. Die Politik müsse die nötigen Gelder bereitstellen, um Einrichtungen wie Seelen-Art zu fördern und deren Existenz zu gewährleisten, sagte die haushaltspolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion. Kroiss, im Jackett mit Mütze und Regenbogenmaske, äußerte den Wunsch, trotz Pandemie Orte für Künstler mit psychischen Erkrankungen zu schaffen. "Das Ziel muss lauten: Inklusion."

© SZ vom 14.10.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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