Kreis und quer:Das Fest des Leibhaftigen

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Fronleichnam kann man im Stau verbringen oder auf einer Prozession. Luther hätte beides gehasst.

Kolumne von Udo Watter

Man muss kein großer Kulturpessimist sein, um zu vermuten: Der stets von digitalen Aufmerksamkeitsräubern abgelenkte Mensch hat ein gestörtes Verhältnis zur Zeit. Das betrifft auch ihren Kern: die Gegenwart. Das Bewusstsein strukturiert deren Wahrnehmung in Drei-Sekunden-Einheiten. Aber wie sehr nehmen wir sie überhaupt wahr? Muss, wer dem Wesen von Zeit und Sein näher kommen will, nicht erst einmal zum Innehalten fähig sein? Jenseits von Zack, Klick, Push und Update? Muss man nicht Stille aushalten können? Stillstand der Zeit?

Stillstand. Ein Wort, das materialistisch inspirierte Menschen ähnlich schlimm finden wie Diskriminierungssensible die Mohren-Apotheke. Stillstand gefährdet Wohlstand und Wachstum, wer wüsste das besser als die Leistungsträger in der Region München, wo knapp ein Drittel des bayerischen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet wird. Alles muss wachsen: die Bevölkerung, die Zahl der Arbeitsplätze, der Pendler, die Wirtschaft, die Größe der Autos. Einen Stillstand nehmen viele Leistungsträger immerhin bewusst in Kauf: den steten Stau auf den Autobahnen rund um München oder die Verstopfung, die sie mit fettleibigen Autos in engeren Straßen verursachen. Das Zeitgefühl leidet dann zwar, aber gut, so ein SUV hat dafür viele Vorteile: Es ist megabequem, fürs leibliche Wohl der Insassen ist in der gut gepolsterten Blechmonstranz vollumfänglich gesorgt und bei einem Unfall tun sich die anderen weh.

Spirituelles Wohl und Wehe hängt zwar - schon dem Namen nach - zunächst vom Geistigen, Sublimen ab. Dass wir diesen Donnerstag frei haben, verdanken wir aber Fronleichnam, einem Ereignis, das seine Spiritualität aus der Leibhaftigkeit schöpft. Mit dem "Hochfest des Leibes und Blutes Christi" erinnern die Katholiken an das letzte Abendmahl Jesu. Auf der Homepage der Münchner Erzdiözese ist zu lesen: "Im Mittelpunkt steht die Botschaft, dass Christus in der Heiligen Eucharistie in dieser Welt leibhaftig gegenwärtig ist." Gegenwärtig. Die heilige Kraft des Jetzt. Sichtbarmachung des Erhabenen. Bei der Prozession wird zwar nicht still- , aber mitunter innegehalten. Die Monstranz wird mit geweihter Hostie durch die Straßen getragen. In Haar geht der Umzug von St. Konrad nach St. Bonifatius, leider wohl nicht durch die Leibstraße. Auch in Heimstetten gibt es eine Prozession, danach ein Weißwurstfrühstück, quasi der Fronleichnamsschmaus.

Luther hat Fronleichnam übrigens nicht mit Freude gefrönt. Das "allerschädlichste Jahresfest" nannte er es und "götzendienerische Gotteslästerung". Moderne Witzbolde begrüßen es gerne mit "Happy Kadaver", aber das beruht auf einem Verständnisfehler: Es geht nicht um den Leichnam, sondern um lîcham, "den Leib" Christi. Der fungiert zudem als Brot des Lebens und ist als Wort auch noch Fleisch geworden. Für den, der dran glaubt: eine Gegenwart, die 2000 Jahre alt ist.

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