Haar:"Wir werden mit Sicherheit noch ein paar Jahre Baustelle haben"

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Der Baulärm und der Baustellenverkehr belastet die Menschen im Jugendstilpark. (Foto: Claus Schunk)

Auf den Hochglanzprospekten der Investoren ist der Jugendstilpark eine grüne Oase mit renovierten alten Villen und schicken Neubauten. Bei einer Versammlung von Anwohnern mit dem Bürgermeister wird klar: Die Realität sieht zumindest bisher anders aus.

Von Bernhard Lohr, Haar

Uralte Bäume, Wiesen und dazu Jugendstil-Villen und ein paar schicke Neubauten: Das Haarer Wohngebiet mit dem klingenden Namen Jugendstilpark verspricht vieles von dem, was für Menschen zu einem schönen Wohnumfeld gehört. Doch die Realität sieht - zumindest noch - anders aus. Das vor gut hundert Jahren errichtete ehemalige Klinikareal ist noch mehr Baustelle als gediegenes Wohnquartier. Hunderte Bewohner, die mittlerweile eingezogen sind, erleben Lärm, Lkw-Verkehr und all die unschönen Dinge, die passieren, wenn Investoren und Bauunternehmer finden, dass alter Baumbestand im Weg steht. Am Dienstagabend trafen sich an die 150 Bewohner mit Bürgermeister Andreas Bukowski (CSU) sowie Vertretern von Investoren und Behörden zur großen Aussprache im Saal des Kleinen Theaters.

Es hat sich einiges aufgestaut. Das wird gleich am Anfang klar, als Bürgermeister Bukowski bei seiner Einleitung um 19 Uhr weit in die Historie des parkähnlichen Klinikareals zurückgeht und dann schon bald auch bekennt: "Ich bin bis 23 Uhr da." Man werde an diesem Abend in aller Ruhe die für viele schmerzhafte Verwandlung des ehemaligen Musterklinik für Psychiatrie in ein neues Wohnviertel aufarbeiten. Es gehe immerhin um das Entstehen eines Stadtviertels mit 2500 Bewohnern. Eines sei leider klar, schickt er auch gleich voraus: "Wir werden mit Sicherheit noch ein paar Jahre Baustelle haben."

Vorsicht auf den Straßen im Baugebiet, wo sich Anwohner den Platz mit Baufahrzeugen teilen. (Foto: Claus Schunk)
Es könnte so schön sein. Aber noch ist das Verkehrskonzept für das Quartier nicht ganz umgesetzt. Wild parkende Autos sind die Folge. (Foto: Claus Schunk)

Auf den Werbeprospekten der Investoren ist davon freilich nicht die Rede. Als "Tausendschön" wird das Ensemble im Jugendstilpark großflächig auf Plakaten angepriesen. Und es bietet ja auch vieles, was in keinem Neubaugebiet von der Stange zu finden ist. Das Kleine Theater zum Beispiel: Als Bürgermeister Bukowski sagt, alle Angriffe auf diese wertvolle Institution abwehren zu wollen, die Leben und Kultur ins Viertel bringe, erntet er kräftigen Applaus. Daran kommt nur noch die Reaktion heran, als Bauamtsleiter Josef Schartel verkündet: "Sie werden nächstes Jahr in den Genuss der kommunalen Verkehrsüberwachung kommen."

Denn tatsächlich ist die Sehnsucht nach geregelten Verhältnissen groß. Der Jugendstilpark soll dank Tiefgaragen eigentlich ein autofreies Wohngebiet sein, mit einigen gekennzeichneten Parkplätzen an der Oberfläche, und ohne Durchgangsverkehr. Ausgewiesene Geh- und Radverbindungen im Grün soll es geben. Doch bisher, sagt Schartel, sei das alles ungeordnet, weil die Straßen noch nicht öffentlich gewidmet und Verkehrsschilder nicht montiert seien. Der Gemeinderat werde dies in nächster Zeit in Teilbereichen angehen. Dann erst würden bei Verkehrsverstößen Sanktionen möglich. Bürgermeister Bukowski bekräftigt, dass dann auch richtige Blitzgeräte zur Geschwindigkeitsmessung eingesetzt würden.

Einige fordern aber mehr: Schrittgeschwindigkeit statt Tempo-30-Zone und die komplette Sperrung mancher Straßen für den Verkehr. Bukowski will das im Einzelfall prüfen, wobei Schartel betont, dass das Gesamtkonzept schlüssig bleiben müsse. Der Abend bringt Aufklärung in einigen konkreten Fragen: Michael Zaigler, Geschäftsführer der Oberbayerischen Heimstätte, kündigt einen Baubeginn für den zentralen Wohn-, Büro- und Geschäftskomplex im Nordosten, - also gegenüber dem Eingang zum Isar-Amper-Klinikum -, für das Jahr 2024 an. Aldi ist dort Partner der Heimstätte und schafft einen Discounter-Markt. Vier Geschäfte und ein Café soll es auch geben, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Seniorenzentrum und zum Wohnen mit Service.

Eine der Fragen: Was wird aus der Jugendstilkirche "Mariä Sieben Schmerzen"? (Foto: Claus Schunk)
Und: Wann ist Baubeginn am langgezogenen zentralen Bau im Herzen des Parks? (Foto: Claus Schunk)

Bürgermeister Bukowski gibt bekannt, dass er mittlerweile fest damit rechnet, im Zuge der Taktverdichtung wegen des Brenner-Nordzulaufs einen verbesserten Lärmschutz wie bei einer Neubaustrecke durchsetzen zu können. Die Jugendstilkirche "Mariä Sieben Schmerzen" könnte seinen Angaben nach wieder einer Pfarrei zugeordnet werden. Das Sozialpsychiatrische Zentrum des Bezirks könnte die alte Gärtnerei als inklusives Kulturzentrum ausbauen. Und der Sportplatz an der Vockestraße könnte für Anwohner bald stärker geöffnet werden. Tischtennisplatten und eine Boule-Bahn sind für Bukowski im Wohnviertel vorstellbar. Und über den zentralen, quer durchs Areal verlaufenden Klinikbau, sagt Bukowski, dass sich die Immobilie leider zu einem Spekulationsobjekt entwickelt habe. Der Einfluss der Gemeinde sei begrenzt.

Der Baumschutz ist ein Kampfthema im Jugendstilpark. Eine Gruppe von Baumfreunden hat sich gegründet. (Foto: Sebastian Gabriel)

Mancher Konflikt wird mittlerweile gerichtlich ausgefochten, weil Baufirmen Vorgaben missachten und Bewohner zur Selbsthilfe greifen. So etwa beim Baumschutz. Ein Fall illegaler Fällungen führte zur Gründung einer Gruppe von "Baumfreunden", die mittlerweile genau verfolgen, was im Viertel passiert. Ein Gerichtsverfahren wegen eines Bußgeldbescheids wurde wiederholt verschoben und steht nun Anfang 2023 an. Raimund Raab von der Unteren Naturschutzbehörde im Landratsamt sagt, oft gehe Profitdenken über den Baumschutz. Das Problem sei, dass angerichtete Schäden meist irreversibel seien. Er schildert den Fall einer Douglasie, bei der die Spitze gekappt wurde. Das sei am Ende nur geschehen, damit sich die Firma einen höheren Kran spare. Dabei brauche man alte, mächtige Bäume wegen deren großen Effekts auf Klima und Lebensqualität. Der Leiter des Umweltreferats im Rathaus, Lukas Röder, sagt engmaschige Kontrollen zu, um den Baumbestand zu schützen.

"Mein Name ist Ziegler, ich bin Anwohner einer Baugrube." So stellt sich der langjährige, frühere SPD-Gemeinderat Peter Ziegler in der Versammlung vor, bevor er von seiner seit vier Jahren währenden Leidensgeschichte wegen Lärms berichtet. Bauamtschef Josef Schartel bestätigt, dass Ziegler das Pech habe, neben einer Fläche zu wohnen, die eine Firma widerrechtlich als Lagerplatz und zur Wiederaufbereitung von Baustoffen genutzt habe. Und demnächst stehe erst der eigentliche Baubeginn dort an - also weiterer Lärm. Wie beim Baumschutz ist die Justiz in dieser Sache mittlerweile auch eingeschaltet. Ein anderer Nachbar der Baugrube geht laut Ziegler gegen die Baufirma vor.

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