Jugendarbeit in der Pandemie:Ersatz für die Peergroup

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Traurige Menschen richten ihre Wahrnehmung oft verstärkt auf äußere Umstände. (Foto: Alberto Menendez via www.imago-images.de/imago images/Addictive Stock)

Heranwachsende brauchen Kontakt zu Gleichaltrigen. Deshalb trifft sie der Lockdown besonders hart. Jugendzentren richten ihre Angebote darauf aus.

Von Irmengard Gnau

Keine Schule, kein Sporttraining, keine Treffen mit Freunden - für Jugendliche ist im Lockdown viel von dem weggebrochen, was ihren Alltag sonst ausmacht. Auch die Jugendzentren im Landkreis, die in normalen Zeiten für Hunderte junger Menschen eine wichtige Anlaufstation sind, mussten ihr Programm einstellen. Allein lassen wollen sie die Jugendlichen deshalb aber keineswegs: Wenn diese nicht zu ihnen kommen können, kommen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eben zu den Jugendlichen - über digitale Kanäle, soziale Medien oder auch mal mit dem Radl. Immer in der Hoffnung darauf, dass direkte Kontakte bald wieder möglich sein werden.

"Die Jugendlichen hat der Lockdown hart getroffen", sagt Alexander Tielker, Sozialraumleitung des Jugendzentrums (Juz) in Kirchheim. Eine aktuelle Studie der Universität der Bundeswehr in Neubiberg in Zusammenarbeit mit der LMU München und der Liverpool John Moores University gibt Hinweise darauf, dass insbesondere jüngere Menschen Auswirkungen der Selbstisolation während der vergangenen Monate der Pandemie auf das mentale, psychische und emotionale Befinden spüren. Von den mehr als 1700 Studienteilnehmern im Alter von 15 bis 76 Jahren waren jüngere Menschen einsamer, depressiver und lethargischer. Die Wissenschaftler führen dies darauf zurück, dass jüngere Menschen vor Ausbruch der Pandemie mehr soziale Kontakte gewohnt waren und daher Erwartungen haben, die nun nicht erfüllt werden.

"Der Austausch in der Peergroup, mit Gleichaltrigen, ist gerade für Jugendliche sehr wichtig", sagt Juz-Leiter Tielker. "Dieser Austausch fehlt jetzt im Lockdown natürlich total." Außerdem seien die Möglichkeiten der Jugendlichen, Eigenständigkeit zu erlangen, eigene Erfahrungen zu sammeln und sich vom Elternhaus abzunabeln sehr eingeschränkt, ergänzt Hans Amann vom Jugendkulturhaus Gleis 1 in Unterschleißheim.

Damit der Kontakt zu den Jugendlichen nicht abreißt und diesen nicht zu Hause die Decke auf den Kopf fällt, beschreiten die Sozialpädagogen neue Wege. Patrick Garcia und seine Kollegen vom Freiraum² in Pullach öffnen das Jugendzentrum dreimal die Woche virtuell auf der Plattform Discord, mit verschiedenen Räumen zum Ratschen oder gemeinsamen Musikhören. Unter dem Titel "Stay@Home" geben Tielker sowie seine Kolleginnen Izdem Uslu-Kürün und Ute Ehret-Hegels jede Woche über digitale Kanäle wie Facebook, Instagram oder Whatsapp und via Homepage des Jugendzentrums neue Anregungen, wie man sich die Zeit zuhause gut vertreiben kann.

Wie wäre es zum Beispiel mit einem Detektivspiel, bei dem es gilt, ein mysteriöses Verbrechen mit Kreativität zu lösen? Oder selber Geschenkpapier basteln, einer Sport-Challenge oder einem Online-Spieleabend? "Wir müssen da sein, wo die Jugendlichen sind", sagt Uslu-Kürün. Gleichwohl habe sie das Gefühl, viele freuten sich, wenn sie einmal wieder etwas analog machen könnten, zum Beispiel gemeinsam backen - selbstverständlich übertragen per Videochat.

Die Online-Aktionen seien bewusst sehr niederschwellig, damit Jugendliche ganz spontan teilnehmen, sich bei Bedarf aber auch schnell wieder zurückziehen könnten, erklärt Hans Amann vom Gleis 1. Die Resonanz sei bislang positiv. Aileen Köppl vom Jugendzentrum Profil in Garching beobachtet, dass ihre Stammgäste vor allem das Gespräch suchen, ihre Sorgen teilen möchten. Sie ist deshalb seit dem Lockdown verstärkt auf Facebook, Instagram und Whatsapp mit den Jugendlichen in Kontakt und bietet Einzeltreffen an. Schwierig ist es, Jüngere zwischen sechs und zwölf Jahren digital zu erreichen. Auch für sie macht das Juz Kirchheim Angebote auf seiner Homepage, zusätzlich hat Ute Ehret-Hegels allen Kindern, die sich für das Programm in den ausgefallenen Faschingsferien angemeldet hatten, einen großen Umschlag zukommen lassen mit Spiel- und Bastelanleitungen. Viele Jugendzentren bieten außerdem Unterstützung fürs Homeschooling an: Wer daheim keinen Drucker oder keine Ruhe hat, findet dort einen Raum zum Lernen und kann Unterlagen ausdrucken.

Bei allen Bemühungen hoffen die Jugendarbeiter, dass sie bald wieder ihre Türen öffnen können. Pandemie und Homeschooling belasten viele Familien, es fehlen Rückzugsmöglichkeiten, ältere Jugendliche plagen Ausbildungs- oder Jobängste. Auch Vereinsamung ist ein Thema. "Gerade Kinder, die eher zurückhaltend sind, fallen jetzt vielleicht schneller hinten runter, als wenn sie in der Schule oder im Juz sind, wo man sie im Blick hat", fürchtet Tielker. Außerdem fehlen den Jugendlichen die alltäglichen Begegnungen, der Austausch nebenher, das spüren die Sozialpädagogen. "Es gibt großen Gesprächsbedarf", sagt Garcia. "Vieles staut sich gerade an. Und es ist wichtig, dass Jugendliche auch erwachsene Ansprechpartner neben der Familie und den Lehrern haben." Um dem zu begegnen, bieten die Jugendzentren Beratungsgespräche an, einzeln vor Ort, am Telefon oder per Chat. Uslu-Kürün betreut die "Auskotz-Hotline" des Juz. "Es tut vielen gerade gut, einfach mal Dampf ablassen zu können."

© SZ vom 06.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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