Integration durch Sprache:Buchstaben im Sand

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Innenminister Joachim Herrmann überreicht den Helferkreis-Vertreterinnen Dagmar Hoffmann und Andrea Moosavi (von rechts) die Urkunde des Integrationspreises. Links Unterföhrings Bürgermeister Andreas Kemmelmeyer. (Foto: Regierung von Oberbayern)

Der Unterföhringer Helferkreis versucht, Geflüchteten durch abwechslungsreichen Unterricht das Alphabet und die komplizierte Grammatik der deutschen Sprache beizubringen. Dafür ist er mit dem Integrationspreis der Regierung von Oberbayern ausgezeichnet worden.

Von Anna-Maria Salmen, Unterföhring

In einem neuen Land anzukommen, stellt Geflüchtete vor viele Herausforderungen. Eine davon ist für ihren weiteren Weg besonders wichtig: "Ohne Sprache ist keine Integration möglich", davon ist Dagmar Hoffmann, Vorsitzende des Unterföhringer Helferkreises, überzeugt. Eine gewisse Zeit könne man sich zwar mithilfe von Gesten verständigen. Doch längerfristig sei es schwierig, sich in einem Land zurechtzufinden, dessen Sprache man nicht beherrsche. Für Hoffmann ist es daher besonders wichtig, Geflüchtete von Anfang an beim Lernen zu unterstützen. Mit ihrem Helferkreis hat sie bereits vor Jahren das Projekt "Integration durch Sprache" ins Leben gerufen, das kürzlich mit dem Integrationspreis der Regierung von Oberbayern ausgezeichnet worden ist.

Erste lockere Treffen von Engagierten habe es in Unterföhring bereits im Herbst 2015 gegeben, erinnert sich Hoffmann. Nach der offiziellen Gründung des Helferkreises im Januar 2016 habe man zunächst dazu beigetragen, Sprachkurse zu vermitteln. "Es hat sich aber schnell abgezeichnet, dass viele mehr lernen wollen." Hoffmann und ihr Team organisierten daher einen wöchentlichen Sprachtreff. Auch die Alphabetisierung war Teil ihres Engagements, denn Geflüchtete aus arabischen Ländern haben schließlich eine völlig andere Schrift. Die für sie fremden Buchstaben kennenzulernen, ist daher Grundvoraussetzung für den weiteren sprachlichen Fortschritt.

Kurse für verschiedene Zielgruppen

Über die Jahre hat sich das Angebot des Helferkreises entwickelt, mittlerweile gibt es Kurse für die verschiedensten Zielgruppen, etwa für Mütter, die nicht an regulären Sprachkursen teilnehmen können, weil sie sich um ihre Kleinkinder selbst kümmern müssen. Besonders wichtig ist die Betreuung von Auszubildenden geworden, erzählt Hoffmann. Sie bekommen von den Ehrenamtlichen des Helferkreises individuelle Nachhilfe. "Ein Gastronom braucht ein anderes Vokabular als ein Handwerker", sagt Hoffmann.

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Dank dieser Einzelförderung hat sie schon einige Erfolgsgeschichten erlebt: "Wir konnten dazu beitragen, dass viele Leute einen Ausbildungsplatz bekommen haben." Auf einen jungen Mann ist die Helferin eigenen Worten zufolge besonders stolz. In seiner Heimat habe er nie eine Schule besucht und erst bei seiner Ankunft vor sechs Jahren begonnen, das Alphabet zu lernen. "Jetzt hat er eine Elektrikerausbildung abgeschlossen und wird von seiner Firma übernommen."

Nicht weniger wichtig ist die Förderung geflüchteter Kinder, denn auch für einen erfolgreichen Schulbesuch ist die Sprache zentral. Laut Hoffmann ist dabei die große Herausforderung, oft als trocken empfundene Inhalte wie Grammatik oder Vokabeln so zu vermitteln, dass sich die Kinder nicht langweilen. Sie legt daher großen Wert auf spielerisches Lernen. "Memory-Spielen ist meine Geheimwaffe", erzählt sie. "Das macht den Kindern Riesen-Spaß." Ab und zu dürften diese auch eine Folge der Sendung Löwenzahn anschauen. "Da wird die deutsche Sprache sehr langsam und deutlich gesprochen."

Aber auch für Erwachsene ist das Deutschlernen nicht einfach. Abwechslung ist hier laut Hoffmann ebenfalls wichtig: "Je mehr Sinne beteiligt sind, desto besser bleibt etwas haften." Buchstaben könne man zum Beispiel aus Knete formen oder in Sand malen, anstatt sie einfach nur an der Tafel zu wiederholen. Hoffmann hat die Erfahrung gemacht, dass insbesondere die deutschen Artikel vielen Probleme bereiten. "Im Arabischen gibt es nur einen Artikel, im Deutschen sind sie ohne jede Logik verteilt." Hinzu kämen die wechselnden Fälle: Wieso sich "die Lehrerin" zu "der Lehrerin das Buch geben" verwandele, sei schwer zu erklären.

Die Arbeit lohnt sich für Hoffmann dennoch, wie sie sagt. Bereits vor 30 Jahren hat sie sich in einer Flüchtlingsunterkunft engagiert, ihre Motivation war damals nach eigener Aussage dieselbe wie heute. "Mir sind Geflüchtete wichtig, weil sie keine andere Lobby haben." Ihre eigene Mutter sei im Jahr 1945 aus Breslau geflohen. "Die Menschen stehen immer vor der Situation, neu anfangen zu müssen, egal ob sie vor dem Krieg oder vor der Armut fliehen."

Umso mehr schmerzt es Hoffmann, wenn Geflüchteten der Start im neuen Land trotz großen Engagements durch bürokratische Hindernisse erschwert wird oder wenn sie sich gar Anfeindungen ausgesetzt sehen. Deswegen setzt sie sich dafür ein, dass alle sich möglichst schnell in ihrer neuen Heimat einfügen, sagt sie. Die wenigen vom Helferkreis betreuten Geflüchteten, die noch keine Arbeit hätten, seien nicht untätig, sie würden ihre Zeit für Sprachkurse nutzen. "Keiner sitzt bei uns nur herum und dreht Däumchen."

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