Halbzeit im Rathaus Kirchheim:Die PR-Maschine

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Am liebsten würde er von allen gemocht werden, doch Kritiker halten Kirchheims jungen Bürgermeister Maximilian Böltl für einen Karrieristen, dem jedes Mittel recht ist, um sich öffentlich zu positionieren. Freunde loben ihn dagegen für seinen unermüdlichen Eifer, möglichst viele Themen gleichzeitig anzupacken

Von Christina Hertel, Kirchheim

Fast jeden Tag postet Maximilian Böltl etwas auf seiner Facebook-Seite. Ein Foto vom Kirchheimer Maibaum - 269 Likes. Böltl auf dem Fahrrad - 158 Likes. In Tracht mit den Kirchheimer Burschen - 132 mal geht in Facebook der Daumen nach oben. Wenn man andere Gemeinderäte nach einer Meinung zu ihrem Bürgermeister fragt, hört man fast immer Folgendes: Wie geschickt doch bloß sein Umgang mit den Medien ist, wie raffiniert er sich selbst inszeniert. Wahlkampf nonstop, Böltl der PR-Bürgermeister, der Marketing-Mann. Es klingt anerkennend und gleichzeitig abfällig, vielleicht ein bisschen neidisch.

Maximilian Böltl von der CSU ist nun seit drei Jahren Bürgermeister von Kirchheim. Und man sieht, was er verändert hat - im wahrsten Sinne des Wortes. Es gibt jetzt ein Logo, eine Corporate-Identity sozusagen - damit niemand mehr auf die Idee käme, Kirchheim bei München mit einem der anderen elf Kirchheims in Deutschland zu verwechseln. Böltls Kirchheim ist moosgrün, das "i" steht auf dem Kopf und hat einen roten Punkt. In diesem Look gibt es einheitliche Pressemappen, Kugelschreiber, Flyer, eine neue Homepage, einen Facebook-Kanal. Schon bevor er 2014 Bürgermeister wurde, hat er Dinge schöner aussehen lassen, ihnen ein besseres Image verpasst - er arbeitete in einer PR-Agentur.

In einer Vorabendserie wäre Böltl wohl der perfekte Schwiegersohn. Vor jeder Sitzung gibt er den Anwesenden die Hand. Trägt immer schicke Hemden, Lederschuhe, setzt meistens seine Hornbrille ab, bevor ein Foto von ihm geschossen wird. Er ist der jüngste aller Bürgermeister im Landkreis, gerade einmal 33 Jahre alt. Und er scheint, einer der fleißigsten zu sein - zumindest, wenn der Maßstab ein voller Terminkalender ist. Fast keine Woche vergeht ohne Pressetermin: zu Breitbandausbau, Wirtschaftsförderung, neuen Angeboten für Demenzerkrankte, Klettern für Menschen mit Handicap. "Sein Arbeitspensum ist hoch", sagt selbst Thomas Etterer von der SPD und es klingt nach einem Lob. Viel zu tun gäbe es wohl auch ohne die ganzen zusätzlichen Ideen. Kirchheim will ein neues Gymnasium bauen, die Mittelschule sanieren. Zwischen 2014 und 2018 werden fünf Kinderbetreuungseinrichtungen eröffnet. Ein neues Rathaus soll errichtet werden, vielleicht ein neuer Bürgersaal. Bis 2019 muss die Gemeinde Kredite von fast 25 Millionen Euro aufnehmen. Und dann würde Böltl gerne auch noch eine Klinik ansiedeln.

Im Wahlkampf erhielt er anonyme Briefe

"Er erledigte seine Aufgaben pflichtbewusst, muss sich aber noch mehr bemühen, Flüchtigkeitsfehler zu vermeiden und zu einem etwas bedächtigeren Arbeitstempo zu kommen." Das steht in Böltls Drittklasszeugnis, er postete es auf Facebook (76 Likes). 25 Jahre ist dieses Urteil seiner damaligen Lehrerin her und zumindest einige Gemeinderäte würden es wohl noch immer unterschreiben. "Gerade am Anfang war wohl etwas Ungeduld dabei", sagt Gerd Kleiber von der FDP, den man bei allem, was er sonst über den Bürgermeister sagt, für seinen größten Fan halten könnte. Auch Böltl meint: "Das erste Jahr war das schwierigste von allen." Aus seiner Sicht liegt das daran, dass der Wahlkampf zu hitzig geführt worden sei. Danach hätten noch Wunden heilen müssen.

Böltl erhielt damals anonyme Briefe, in denen er aufgrund seiner Homosexualität beleidigt wurde. Es standen Dinge darin wie "Christlich Schwule Union", auch seine Familie sei beleidigt worden. Böltl ist sich sicher: "Man hat versucht, das gegen mich auszuspielen." Danach sei das Ganze nie wieder ein Thema gewesen. Vielleicht, meint Böltl, weil er und sein Freund aus ihrer Partnerschaft keine große "Show" machen, sondern offen und entspannt damit umgehen.

Trotzdem gab es am Anfang der Amtszeit vor allem eines: viel Streit, viel Diskussion. Wo soll das Rathaus hin? Wo die Asylbewerberunterkunft? Es wurde debattiert und beraten - nur, um in beiden Fällen zu den ursprünglichen Ideen zurückzukehren. Stunden seien verbrannt worden, meint Wolfgang Heinz-Fischer von den örtlichen Freien Wählen. Thomas Etterer glaubt, das sei Absicht gewesen - so lange hinaus zu zögern, bis das Ganze scheitert. Schließlich sei Flüchtlingspolitik auch kein CSU-Thema.

Doch Brigitte Hartmann vom Asylhelferkreis kann sich daran gar nicht mehr so richtig erinnern. Es ist ihr auch nicht mehr wichtig. Sie glaubt, dass dem Bürgermeister die Integration von Flüchtlingen ein "persönliches Anliegen" ist, wie sie sagt. Er habe mit angepackt, als im Herbst 2015 so viele Flüchtlinge kamen, hat in der Turnhalle Betten mit aufgestellt. Er sei einfach da gewesen. In der Gemeinde gibt es eine Integrationsbeauftragte und eine Deutschlehrerin. Im Bauhof wurden Flüchtlinge angestellt. Brigitte Hartmann hat das Gefühl, dass sich Böltl immer kümmert, immer ein offenes Ohr hat.

Doch der Graben im Gemeinderat bleibt - zumindest zum Teil. Thomas Etterer von der SPD sagt, seine Fraktion sei zurzeit zu vielen Kompromissen bereit, weil es ein gemeinsames Ziel gebe: die Ortsentwicklung, das große Projekt "Kirchheim 2030", über das die Bürger im Herbst abstimmen sollen. Tatsächlich hat sich da auch die CSU bewegt. Es soll mehr Wohnungen und ein Modell zur sozialgerechten Bodennutzung geben. Doch Gemeinderäte wie Wolfgang Heinz-Fischer von den Freien Wählern befürchten, dass diese Versprechung am Ende nicht eingehalten werden. Er hält Böltl auch nicht für den netten jungen Mann von nebenan, sondern für einen Karrieristen, einen Machtmensch, der noch dazu unbedacht mit Geld umgeht. Hier 120 000 Euro für das Vereinsheim der Burschen. Dort 150 000 Euro für eine Agentur, die die Ortsentwicklung bewirbt. Böltl habe den Kauf des Bürgerhauses und des Grundstücks an der Erdinger Straße forciert, bei letzterem geht Heinz-Fischer, aber auch Rüdiger Zwarg von den Grünen, davon aus, dass die Gemeinde zu viel bezahlt hat, weil ihnen Böltl ein falsches Gutachten vorgelegt habe. Das wäre Betrug. Zwarg zeigte ihn deshalb sogar bei der Staatsanwaltschaft an. Einen Grund zu ermitteln sah diese jedoch nicht.

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Er würde gerne von allen gemocht werden

"Ich würde gerne von allen gemocht werden. Es ist schwer zu lernen, dass das nicht klappt", sagt Böltl in seinem Rathausbüro. Man merkt: Kritik trifft ihn tatsächlich. Sogar der Vorwurf, dass er sich auf jedes Foto schleichen würde - aus Eitelkeit oder aus Machtinstinkt. Böltl nimmt die neue Ausgabe der Kirchheimer Mitteilungen vom Schreibtisch. "Da bin ich, glaub' ich, gar nicht drin." Er blättert durch das Heft, legt es wieder weg. "Ich muss nicht auf jedem Foto drauf sein, aber ich bin halt immer da." Bei Veranstaltungen, Festen, Einweihungen. Ob er in drei Jahren noch einmal kandidieren werde, sagt er plötzlich, wisse er noch nicht. Das würde er von zwei Faktoren abhängig machen. Ob die Leute ihn noch wollen. Und ob sein Freund damit einverstanden ist. Denn wer immer überall herumschwirrt, ist vor allem an einem Ort selten: zuhause.

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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