Halbzeit im Rathaus Haar:Ruhe im Toberaum

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Haars Bürgermeisterin Gabriele Müller übernahm ihr Amt, als der Hochhausstreit die Gemeinde spaltete. Damals goss sie mitunter selbst Öl ins Feuer. Inzwischen hat sie gelernt zu moderieren.

Von Bernhard Lohr, Haar

Letztens ging es wieder hoch her. Der Gemeinderat hatte zu entscheiden, ob der Toberaum im neuen Kinderhaus der Nachbarschaftshilfe unterm Dach oder im Keller angesiedelt werden soll. Eigentlich keine Riesensache. Doch plötzlich überzogen sich die Gemeinderäte mit Vorwürfen. Die CSU bezichtigte die SPD, das Kindeswohl zu missachten. Und die SPD keilte zurück und warf der CSU vor, die Ortsmitte mit einer Feuertreppe mutwillig zu verschandeln. Schnell bewegten sich die Gemeinderäte auf dem schmalen Grat zur Ehrabschneidung. Da nahm Bürgermeisterin Gabriele Müller (SPD) den Dampf aus dem Kessel. Sie kündigte weitere Beratungen an - die Situation war gerettet.

Es war eine von diesen kleinen Herausforderungen, vor denen Müller immer wieder steht. SPD-Fraktionschef Alexander Zill wehrt sich regelmäßig gegen "Unterstellungen" und giftet zurück, was dann CSU-Frontmann Dietrich Keymer gerne kühl als unter dem Niveau des Gemeinderats abtut. Der Sitzungssaal wird zur Kampfzone, in der sich vor allem die Bürgermeisterin bewähren muss. Kann sie moderieren und einen Konflikt entschärfen oder wächst sich der Streit aus zu einem Dauerkonflikt, der das Klima im Gemeinderat vergiftet und irgendwann die Verwaltung erfasst?

Bürgermeisterin Müller hat von Beginn ihrer Amtszeit im Mai 2014 an schwierige Zeiten erlebt. Der mit bis dahin nicht gekannter Härte ausgetragene Konflikt um den Bau von Hochhäusern, der in zwei Bürgerentscheiden gipfelte, spaltete die Gemeinde und setzte Maßstäbe auf der nach unten offenen Skala der politischen Schmutzeleien. Müller ist ein emotionaler Mensch mit klaren sozialdemokratischen Prinzipien. Deshalb goss sie anfangs nicht selten mit unbedachten Äußerungen Öl ins Feuer. Sie wurde zum Angriffsziel. Die ambitionierte CSU, die im roten Haar nach der Ära von Bürgermeister Helmut Dworzak Morgenluft witterte, nahm sie unter Beschuss. Diesem kann sich Müller mittlerweile mehr und mehr entziehen.

Die Bürgermeisterin hat langsam reingefunden ins Amt

Auch kritische Beobachter in Haar erleben eine Bürgermeisterin, die langsam reingefunden hat ins Amt. Eine Frau mit Nehmerqualitäten, die sich freigeschwommen hat, sich im Zweifel auf die Lippen beißt und auch in schwierigen Debatten am Ende den Ausgleich sucht. So wie letztens, als sie CSU-Gemeinderat Andreas Rieder, der die SPD wieder mal aufgebracht hatte, für seinen Einsatz lobte. Klippen wie bei der Entscheidung über das Kinderhaus der Nachbarschaftshilfe umschifft Müller mittlerweile mit gewisser Routine.

Dabei hilft ihr offensichtlich, dass der Gemeinderat nur ein Aktionsfeld ist, auf dem sie sich bewegt, und vielleicht noch nicht einmal das wichtigste. Müller hat von ihrem Vorgänger Dworzak nicht nur wegen der Hochhaus-Debatte kein leichtes Erbe übernommen. Sie beackert viele Baustellen und setzt dabei auf eine effektiv arbeitende Verwaltung sowie ein direktes Bündnis mit den Bürgern. Dass sie den erfahrenen Bauamtsleiter Josef Schartel holen konnte, der in Oberschleißheim gearbeitet hat, kann als Coup gelten. Mit Susanne Hehnen steht ihr bei allen Belangen im Sozialen eine selbstbewusste Mitstreiterin an der Seite; dazu als Allzweckwaffe die erfahrene Ute Dechent, die zur persönlichen Referentin der Bürgermeisterin aufstieg.

Als kürzlich die Frage zu klären war, welchen Schulweg die Schüler nehmen sollten, weil wegen der Baustelle am Nordzugang zum Bahnhof wochenlang die zentrale fußläufige Verbindung von Eglfing und Haar nicht passierbar ist, kündigte Müller an, das mit den "Experten" zu besprechen. Sie werde sich mit den Schulweghelfern zusammensetzen, sagte sie. So wirkt Müller in die Haarer Bürgerschaft hinein. Schnell beruft sie Bürgerversammlungen ein, etwa als für ein Forschungs- und Entwicklungszentrum von BMW die große Finckwiese zur Verfügung gestellt werden sollte.

Die Gemeinde Haar ist sozialdemokratisch geprägt. Langjährig Aktive wie etwa der Leiter des Jugendzentrums Dino am Wieselweg, Tobi Glaser, streichen den unkomplizierten, lockeren Umgang mit den Mitarbeitern im Rathaus heraus. Wenn man mit Vereinsvertretern spricht, kann man selbst von der SPD politisch fernstehenden Menschen nahezu euphorische Kommentare hören. "Die Zusammenarbeit mit den Vereinen läuft hervorragend", lobt das Vorstandsmitglied eines großen Vereins.

Der Vorsitzende eines anderen Vereins sagt, in Haar sei vieles noch normal, womit er sich von der baulichen und gewerblichen Entwicklung in Nachbargemeinden wie Aschheim und Feldkirchen abgrenzen will. Auch wenn Haar städtisch wirkt - Orte wie Gronsdorf, Ottendichl und Salmdorf haben trotz des Booms in der Region dörflichen Charakter bewahrt. Die SPD, die manchmal so sehr auf städtebauliche Aspekte pocht, dass ihr die CSU vorwirft, sie stelle die Interessen von Kindern hintan, sieht sich als Garant dafür. Und viele schätzen die Partei offenbar dafür ebenso wie für das soziale Profil der Kommune.

FWG-Gemeinderat Antonius van Lier, der sich als sozialliberalen Freigeist sieht, findet, dass Müller eine eigene Linie gefunden hat. Sie versuche frühzeitig, die Fraktionen zu informieren, und gehe auf die Bürger zu. Beim Konflikt um den Toberaum für die Kindertagesstätte übernahm Müller seiner Meinung nach "Verantwortung" und führte die Sache, an der er selbst als Vorstandsmitglied der Nachbarschaftshilfe direkt Anteil nahm, in Gesprächen zu einem guten Ende. Es wurde umgeplant und es gab Toberäume neben den Gruppenräumen, was am Ende alle gut fanden.

CSU-Fraktionschef Dietrich Keymer attestiert Müller, "zweifellos engagiert" ihre Arbeit anzugehen. Aber er vermisst bei ihr nach wie vor "Souveränität im Umgang mit anderen Meinungen". Keymer meint, dass Müller eben nicht davor zurückschrecke, andere auch zu verletzen. Er habe sich dagegen intern schon verwahrt. Er würde sich "offenere Diskussionen" wünschen, ohne persönlich zu werden. "Wir lassen uns doch überzeugen", sagt Keymer.

Jedenfalls ging es zuletzt trotz der Querelen unter den Gemeinderäten bei Großprojekten sichtbar voran. Der Beschluss zum Bebauungsplan für den Jugendstilpark mit 1000 Wohnungen fiel einstimmig. Der Bahnhofsumbau läuft auf vollen Touren. Van Lier misst das Werk eines Rathauses in der Boomregion daran, wie es "Wachstum managt". Müller macht das aus seiner Sicht ganz gut. Aber weitere große Debatten stehen ins Haus. Demnächst soll es wieder um Hochhäuser gehen.

© SZ vom 04.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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