Haar:Hakenkreuz in der Rathausvitrine

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Besucher einer Spiele-Ausstellung regen sich über Nazi-Symbole auf. Dabei sollte dort eigentlich Kriegspropaganda entlarvt werden.

Von Bernhard Lohr, Haar

Man könnte es als Satire auffassen. Man könnte sich erst schütteln, ob des Humors an der Grenze des Geschmacks. Und dann könnte man befreit lachen - wenn es nur nicht todernst gemeint gewesen wäre. Was für ein Titel: "Fortuna - Auf in die Minenfelder." So hieß tatsächlich ein Spiel, mit dem sich Familien im Ersten Weltkrieg in den Abendstunden am Küchentisch die Zeit vertreiben sollten. Kein Gedanke an das Leid der Soldaten, die das Pech hatten, im Grabenkrieg vor Verdun im Schlamm um ihr Leben kämpfen zu müssen. Es ist dieselbe perfide Logik des Krieges, nach der im Zweiten Weltkrieg Vater, Mutter, Kind beim Brettspiel namens "Wir fahren gegen Engeland" saßen.

Das Bayerische Spielearchiv in Haar hat diese beiden Spiele mit anderen in einer Ausstellung im Rathaus präsentiert. Der Pappkarton des aus dem Jahr 1940 stammenden Spiels, das auf eine mögliche Invasion der britischen Inseln durch die Deutsche Wehrmacht anspielt, ist martialisch illustriert. Ein U-Boot in voller Fahrt ist zu sehen, mit wehender Hakenkreuzfahne am Kommandoturm. Darunter ist zu lesen: "Ein neues Kriegsspiel von U-Booten und Fliegern."

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Was Kinder und in der NS-Ideologie vom deutschen Weltmachtstreben schwelgende Erwachsene 1940 faszinieren sollte, haben nun einige Besucher der Haarer Ausstellung in den falschen Hals gekriegt. Sie regten sich dem Vernehmen nach heftig über das Gezeigte auf, und fragten vor allem wegen der offen sichtbaren Nazisymbole ernsthaft nach, ob in dem seit Jahren von der SPD geführten Haarer Rathaus mittlerweile eine "rechtslastige" Gesinnung herrsche. Tom Werneck, Leiter des Bayerischen Spielearchivs, sah sich genötigt, Teile der Vitrine, in der die Kriegsspiele gezeigt wurden, abzudecken. Dass jemand ein 70 Jahre altes Zeitdokument als Verherrlichung der Nazizeit umdeutet, kann er kaum fassen. Und das, "bloß weil ein Hakenkreuz zu sehen ist", sagt er.

Werneck hat sich der Welt der Gesellschaftsspiele verschrieben. 14 000 Spiele aus vielen Epochen hat er gesammelt und jede Menge Literatur dazu angehäuft. Kürzlich saß er wieder mit Gleichgesinnten bei der jährlichen Internationalen Spieleerfindermesse in Haar beisammen. Sie tauschten Ideen aus, probierten Spiele aus und erfreuten sich am Spiel einiger Klassiker. Die Messetermine für 2017 und 2018 hat Werneck schon festgelegt. Er ist ein rühriger Organisator, der sich die Gelegenheit nicht entgehen ließ, seine Arbeit am bundesweiten "Tag der Archive" der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Kommenden Samstag führt er durch sein Spielearchiv in der Casinostraße 70. Im Vorfeld zeigt er im Foyer des Rathauses eine Reihe seiner Spiele aus seinem Fundus, die zum Motto des Archivtags "Mobilität im Wandel" passen. Spiele sind in den Vitrinen zu sehen, bei denen es um Pferde- und Autorennen und um Flugzeuge geht. Eine Vitrine hat Werneck, wie er sagt, dem Thema "Bewegung im Krieg" gewidmet. Er verherrliche nichts, sagt Werneck. Im Gegenteil: Vielmehr wolle er zeigen, wie schleichend die Krieg führenden Politiker ihre Doktrin den Menschen und vor allem Kindern unterzujubeln versucht hätten. Ein Text auf einem Plakat in DIN A 3-Format, 1,40 Meter neben der Vitrine, habe das so eingeordnet.

Dennoch kam das bei einigen komplett anders an. Nicht als Satire, nicht als aufklärerischer Akt, sondern als Verherrlichung: Tom Werneck verteidigt sich und sagt, es sei Aufgabe des Archivs, das Spiel in all seinen Erscheinungsformen zu dokumentieren. Die Augen vor der Vergangenheit zu verschließen, mache blind, auch gerade jetzt würden im politischen Alltag wieder Meinungen mit Hassparolen manipuliert. "Dagegen müssen wir uns wehren." Statt sich über ein gezeigtes Zeitdokument zu echauffieren, sollten die Menschen lieber kritisieren, was Fremdenfeinde jetzt "draußen" auf den Straßen wieder für Parolen verbreiteten.

© SZ vom 04.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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