Interview:"Wir müssen wieder Brücken aufbauen"

Lesezeit: 4 min

Paul Gantzer reist viel und findet, dass man von den Menschen in Iran und in Südamerika viel lernen kann. (Foto: Claus Schunk)

Der Glückspsychologe Paul Gantzer kommt aus einer Politikerfamilie. Der konfrontativen Suche nach dem richtigen Weg setzt er Freiheit und Verbundenheit entgegen.

Interview von Conie Morarescu, Haar

Paul Gantzer ist Glückspsychologe, Weltenerkunder, Aussteiger und Vortragsreferent. Jahrelang hat er die Kontinente bereist, um herauszufinden, ob "die Welt wirklich so böse ist, wie man sagt". Seine Erkenntnis: Keinesfalls. Er hat viele Menschen und Projekte kennengelernt, die ihm Mut machen. In Vorträgen, die er an Volkshochschulen hält, möchte er diese Erfahrungen teilen. Die SZ hat mit dem Sohn des langjährigen SPD-Landtagsabgeordneten Peter Paul Gantzer über Glück gesprochen und darüber, wie er als politischer Mensch die Gesellschaft positiv verändern will.

SZ: Was ist es denn, das glücklich macht? Haben Sie das neben dem Studium auch auf Ihren Reisen herausfinden können?

Paul Gantzer: Es gibt zwei wesentliche Aspekte, die für das Glück eines Menschen ausschlaggebend sind und die haben mich bei meinen Reisen ständig begleitet: die Freiheit und Selbstbestimmung auf der einen Seite und die Verbundenheit zu anderen Menschen auf der anderen. Beides braucht der Mensch, um glücklich zu sein.

Das steht manchmal im Widerspruch zueinander oder?

Peter Paul Gantzer
:Absprung

Nach 40 Jahren als Abgeordneter der SPD im Landtag endet für den Haarer seine politische Karriere. Weggefährten würdigen den Einsatz des 79-Jährigen für die Polizei und auch seine Partei

Von Martin Mühlfenzl

Ja, das kann ich aus Erfahrung sagen. Auf einer meiner Weltreisen bin ich immer Richtung Osten gezogen und die Menschen, die ich auf meinem Weg getroffen habe, konnte ich nicht wiedersehen. Da habe ich stark gespürt, wie einsam sich Freiheit anfühlen kann.

In welchen Ländern haben Sie starke Verbundenheit erlebt?

Ich war besonders beeindruckt von dem Iran. Dort standen die Menschen zusammen und unterhielten sich stundenlang, obwohl sie sich vorher nie gesehen haben. In den südamerikanischen Ländern habe ich mich auch sehr wohlgefühlt. Die Mentalität ist dort ganz anders als bei uns. Wir sind hier leider oft sehr isoliert und das macht krank, das tötet sogar nachweislich. Isolierte Menschen sterben früher.

Sie sind mit Politik aufgewachsen. Sie haben aber einen ganz anderen Weg gewählt als Ihr Vater, um sich für die Gesellschaft einzusetzen. Warum?

Ich bin ein sehr politischer Mensch. Es ist mir wichtig, was auf der Welt passiert, das habe ich stark von meinem Vater mitbekommen. Aber mein Ansatz ist ein anderer. Politik bedeutet immer Seite gegen Seite. Meine Philosophie ist es, eine Einheit zu kreieren und nicht, eine Front aufzubauen. Ich bin mehr der Psychologe, der ganzheitlich arbeiten will.

Sie haben Ihren Master mit dem Schwerpunkt Positive Psychologie in den Niederlanden gemacht. Was kann man sich darunter vorstellen?

Die Positive Psychologie unterscheidet sich von den konventionellen Psychologie-Richtungen in dem Punkt, dass sie nicht defizitär ausgerichtet ist. Statt zu schauen, was Krankheit ist und was krank macht, richtet sie den Fokus darauf, was eigentlich Glück ist und wie man glücklich werden kann.

Was bedeutet das für die Therapiepraxis?

Die Therapie setzt nicht dann an, wenn man gerade in einer Krise steckt, sondern in der Phase, in der man sich gut fühlt. Man erarbeitet Methoden, die mehr Resilienz ermöglichen. Man lernt auch, wie man die Chancen, die in kommenden Krisen stecken, für sich nutzen kann. Es ist eine präventive Methode.

Wie werden wir glücklicher?

Das ist eine große kollektive Aufgabe. Es ist auch keine rein nationale Frage, sondern es wird um globale Veränderungen gehen. Wir müssen wieder Brücken aufbauen, keine Fronten. Wir müssen uns von den Machtstrukturen und vom Konkurrenzdenken verabschieden. Nicht nur, um unsere psychologischen Grundbedürfnisse zu erfüllen. Der Wettbewerb zwischen den Ländern macht es auch unmöglich, Lösungen für das ökologische Desaster zu finden, das unsere Lebensgrundlage bedroht.

Wie kann die Veränderung konkret im Lokalen aussehen? Gerade beim Thema Ökologie tut sich ja auch bei uns einiges. Genossenschaftliche Konzepte in der Landwirtschaft zum Beispiel, wo die Bauern und Verbraucher sich zusammentun.

Genau da muss es hingehen. Es ist ein großes Problem, dass alles sehr monopolistisch aufgebaut ist und die Menschen auf der Strecke bleiben. Ich hoffe, dass die Leute ihre Belange wieder selbst in die Hand nehmen, sich lokal organisieren. In kleinen Kommunen, in kleinen Organisationen. Wo man sich kennt, wo man sich spürt. Und dass man dort Probleme lokal löst.

Ist das dann die Synergie der beiden Aspekte Selbstbestimmung und Verbundenheit? Diese Konzepte ermöglichen ja den Menschen gerade durch das Miteinander so zu leben, wie sie es sich wünschen.

Ganz genau. Davon spricht auch der Neurobiologie Gerald Hüther. Er nennt das "individualisierte Gesellschaft". Gemeinschaften, wo die beiden Grundbedürfnisse erfüllt werden. Wo der Einzelne die Verbundenheit findet und sich selbstbestimmt in die Gesellschaft einbringen kann. Und es sind auch schon viele Ansätze da. Ich hoffe, dass sie florieren können und nicht blockiert werden.

Sie selbst bezeichnen sich als Aussteiger. Wie sieht Ihr Leben im Moment aus?

Ich fühle mich so, als ob ich nie aufgehört hätte zu reisen. Ich bin nur drei Monate in München, die meiste Zeit lebe ich in meinem Bus oder in einem Kollektiv in Ungarn, wir haben unsere eigene kleine Insel dort. Eine bunte Gemeinschaft aus vielen tollen Menschen von überallher. Junge, Alte, Familien mit Kindern. Viel Frauenpower, was mir gut gefällt. Mittlerweile kennt man dort sogar meine Eltern schon gut, die ein paarmal im Jahr zu Besuch kommen.

Gefühlt immer auf Reisen sein, das klingt toll. Was war eine besonders prägende Erfahrung, die Sie auf Ihren Reisen gemacht haben?

In Varanasi in Indien habe ich die Totenrituale miterlebt. Wie die Menschen sich von ihren verstorbenen Angehörigen verabschieden. Sie verbrennen die Toten am Flussufer. Der Umgang dort mit dem Thema Tod als etwas Unumgängliches hat mich sehr berührt. Man kann nach dem Tod nichts Materielles mitnehmen. Am Ende sind es die Erinnerungen an wertvolle Erlebnisse und Begegnungen, die wirklich zählen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusChristian Drosten
:"Warum hat er mich nicht einfach mal angerufen?"

Ein Hamburger Physiker behauptet, Experten verschleierten bewusst den Ursprung von Sars-CoV-2, darunter auch Christian Drosten. Was der Charité-Virologe zu diesen Vorwürfen sagt.

Interview von Hanno Charisius

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: