Bei der Frau Motzelt am Kiosk gab es für ein Fünferl Bärendreck. "Der war scheußlich", sagt die Frau mit den Krücken, die seit 1950 in der Gemeinde wohnt. "Das waren so Kringel." Lakritze? "Ja." Sie hat als Kind öfters etwas bei der Frau gekauft. "Das war ein kleiner grüner Kiosk", erinnert sich jetzt auch ein Mann.
"Die Frau Motzelt war ganz a Dicke, aber immer sehr nett." Der bei Kindern begehrte Verkaufsstand befand sich am Derbolfinger Platz, etwa da, wo jetzt der Zebrastreifen ist. Und als die ortsgeschichtliche Führung am Dienstag dort Halt macht, fällt den alten Grünwaldern so einiges ein.
Aber auch Führerin Uschi Kneidl, die quasi eine Generation später ihre Kindheit hatte, war gerne an dieser Ecke. Allerdings gab es da die Frau Motzelt schon nicht mehr, sondern den Herrn Handschuh. Und der hatte auf der anderen Straßenseite einen noch viel größeren Kiosk. "Da haben wir uns immer getroffen, auch als Jugendliche", erzählt Kneidl. "Das Beste war das von Herrn Handschuh selbstgemachte Eis." Die Vornamen der Kioskbesitzer waren den Kindern und Jugendlichen damals nicht bekannt und sind auch nicht mehr wichtig. Die schönen Erinnerungen an die Erlebnisse dort sind das, was Freude macht.
Erklärtes Ziel: Erinnerungen wecken
Ein Rundgang durch den Ortskern mit dem erklärten Ziel, Erinnerungen zu wecken - das war der Spaziergang am Dienstagnachmittag. Aus Anlass der bayerischen Demenzwoche hatten die Gemeindebibliothek, die Nachbarschaftshilfe, der VdK und die Stiftung Katholisches Familien- und Altenpflegewerk diesen angeboten. "Wir haben dieselbe Zielgruppe", erklärt Tobias Sicheneder, Geschäftsführer der Nachbarschaftshilfe, "und wir arbeiten auch sonst zusammen." Während der Demenzwoche waren solche Einrichtungen aufgefordert, Aktionen anzubieten. "Wir wollten keinen langweiligen Vortrag machen, sondern in Bewegung sein", so Sicheneder. Da ja Bewegung bekanntlich auch ein Mittel gegen Alzheimer ist.
Doch sehr wichtig sei auch das Erinnern, versichert Christiane Wabnitz, Vorstand der Stiftung. "Immer Erinnerungen wecken" nennt sie als wichtigstes Methode im Umgang mit Dementen. "Wir haben ja alle schon leichte Verkalkungen im Kopf. Alzheimer ist Jahrzehnte vor dem Ausbruch schon angelegt, wir merken es nur noch nicht." Wie gut das Erinnern tut, findet Wabnitz auch bei der Führung bestätigt. "Schauen Sie sich die Gesichter an", sagt sie. "Die sind alle sehr zufrieden."
Zwölf Personen sind dabei, elf davon leben in Grünwald. Für eine aber ist das alles ganz neu. Dagmar Rudolph ist vor einem Jahr aus Leipzig nach Oberhaching zu ihrer Tochter gezogen und sie ist jetzt sehr aktiv am Einleben. So etwa pflegt sie in Oberhaching bereits eine Demente. Auch ihre Mutter hat sie bis zu deren Tod mit 96 Jahren gepflegt. "Man darf das nicht so dramatisieren", findet sie. Klar sei Demenz schlimm, aber der Umgang mit Dementen sei im Grunde einfach. Vielleicht auch deshalb, weil Rudolph bereits eine Fortbildung im Haus der Begegnung zu dem Thema gemacht hat.
Wo das Bürgerhaus steht, war eine Gaststätte
Die anderen Teilnehmer leben schon sehr lange in Grünwald: seit 1950, 1954, 1971, 1987, 1989, ein Ehepaar "erst" seit 15 Jahren. Sie wissen natürlich vieles von dem, was ihnen bei dem Rundgang erzählt wird, aber offensichtlich genießen sie es tatsächlich, all das noch mal zu rekapitulieren. Etwa, dass da, wo die Führung beginnt, nämlich vor dem Rathaus, einst eine Pferdekoppel war. Dass an der Stelle des Bürgerhauses bis Mitte der 1980er-Jahre eine beliebte Gaststätte stand, in der man gerne auch Hochzeiten feierte.
Und dass hinter dem heutigen Rathaus einst das alte Rathaus stand, das Kneidl wie die meisten anderen Orte auf alten Fotos zeigt. Eine Frau weiß etwas Interessantes über das alte Rathaus. "Wissen Sie, wo die Tür davon heute ist?" Da muss Kneidl passen. "Ein Grünwalder Maler hat sie in seinem Haus, das Original", verrät die Frau. Nach diesen und vielen weiteren wohltuenden Erinnerungen gibt es in der Bibliothek Kaffee und Kuchen.