Gesellschaft:West-östlicher Diwan

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Seyran Ateş (rechts) in der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin. (Foto: John Macdougall/AFP)

Der Grünwalder Verein "Freundeskreis Evangelische Akademie Tutzing" organisiert Diskussionsveranstaltungen mit hochkarätigen Referenten - darunter Seyran Ateş, Rechtsanwältin und Gründerin einer liberalen Moscheegemeinde, und Anton Hofreiter.

Von Udo Watter, Grünwald

"Liebe ist halal und verdient Respekt" - der Titel, den Seyran Ateş ihrem Vortrag gegeben hat, formuliert eigentlich etwas Selbstverständliches. Aber im Kosmos der Religion hat es die Liebe geschweige denn die erotische Liebe noch nie einfach gehabt. Halal - arabisch für "erlaubt", "zulässig" - ist da aus Sicht der (muslimischen) Konservativen und Hardliner vieles nicht.

Seytan Ateş, 1963 in Istanbul geboren, in Berlin lebend, fordert auch eine sexuelle Revolution im Islam, denn eine freie Gesellschaft brauche eine freie Lebensgestaltung. Die deutsche Rechtsanwältin und Frauenrechtlerin türkischer und kurdischer Abstammung wird am Dienstag, 21. Juni, als Referentin die Akademie-Wochen eröffnen, die der "Freundeskreis Evangelische Akademie Tutzing" in Grünwald organisiert. Insgesamt vier hochkarätige Referenten - neben Seyran Ateş noch den Theologen Johann Hinrich Claußen, den Münchner Kommunalpolitiker Marian Offmann und den Grünen-Bundestagsabgeordneten Anton Hofreiter - hat der Grünwalder Verein im Juni und Juli für seine Veranstaltungen engagiert, die heuer dem Generalthema "Respekt und Leidenschaft - Perspektiven der Achtsamkeit" gewidmet sind. "Es wird wieder jede Menge Diskussionsstoff geben und wir hoffen auf einen guten Austausch mit dem Publikum", sagt Karin Jacobs-Zander vom Leitungsteam des Freundeskreises.

Generell ist es dessen Ziel, mit diesen Veranstaltungen Impulse aus Gesellschaft, Politik, Kultur und Kirche zu geben, um die Besucher zum Diskutieren, Reflektieren und vielleicht sogar zum Handeln anzuregen. Wie der Name schon demonstriert, fühlt sich der Freundeskreis, der 1990 gegründet wurde und heuer sein 30-Jähriges nachfeiert, dem Geist der evangelischen Akademie in Tutzing verbunden. "Es ist eine Kombination aus dem Auftrag der evangelischen Kirche für Erwachsenenbildung und dem Gedanken der Aufklärung, für die ja auch Luther steht", erklärt Jacobs-Zander. Zum Leitungsteam gehört Pfarrer Christian Stalter, die evangelischen Thomasgemeinde in Grünwald ist entsprechend Mitorganisatorin der Akademie-Wochen, als Veranstaltungsort fungiert in diesem Jahr die Thomaskirche am Ludwig-Thoma-Platz.

Seyran Ateʂ bekommt immer wieder Morddrohungen

"Ich bin sehr gespannt", sagt Karin Jacobs-Zander vor allem mit Blick auf den Auftritt von Seyran Ateş. Die gebürtige Türkin ist seit vielen Jahrzehnten eine gefragte (und auch heftig attackierte) Figur, wenn es im öffentlichen Diskurs um Migration, Frauenrechte und religiöse Freiheit geht. Die maßgeblich auf ihre Initiative hin erfolgte Gründung der liberalen "Ibn-Rushd-Goethe-Moschee" 2017 in Berlin-Moabit, in der Frauen und Männer gemeinsam beten und Frauen auch Predigten halten dürfen, brachte ihr viel Zustimmung, aber - wenig überraschend - auch zahlreiche Anfeindungen ein. Ibn-Rushd (latinisiert: Averroes) ist der wohl bekannteste muslimische Philosoph (1126 bis 1198), der vor allem als Aristoteles-Kommentator Ruhm erwarb - und der kulturell neugierige Goethe war nicht zuletzt ein Freund persischer Dichtkunst ("West-östlicher Diwan"). Ateş hat nach der Gründung der Moscheegemeinde eine Vielzahl von Morddrohungen erhalten und steht unter polizeilichem Personenschutz. Auch wenn die 59-Jährige, die 1984 bei einem tödlichen Attentat auf eine Mandantin lebensgefährlich verletzt wurde, vieles gewohnt ist, war das eine neue Dimension der Bedrohung.

Dem Hass, der Verrohung und Diskursunfähigkeit, ob im Netz oder im realen Leben, etwas entgegensetzen - auch darum geht es bei den Akademie-Wochen. "Man hat das Gefühl, dass viel auseinander fliegt in der Gesellschaft", sagt Jacobs-Zander. Dazu kommt seit gut zwei Jahren noch der lange Schatten der Pandemie, der inzwischen von den dunklen Wolken des Ukraine-Krieges überlagert wird. Aber auch darüber hinaus scheint der Ton der Auseinandersetzungen härter und unversöhnlicher geworden zu seien. "Das Aufeinander-Hören ist uns verloren gegangen", sagt Jacobs-Zander.

Es geht auch um interreligiösen Dialog

Ein andere Geist soll natürlich bei den Akademie-Wochen walten und dafür steht auch Johann Hinrich Claußen mit seinem Vortrag "Atlas der Einsamkeiten" am Mittwoch, 29. Juni. Er ist Beauftragter vom Rat der EKD für Kultur und Leiter des Kulturbüros der EKD in Berlin. "Ein toller Mensch", urteilt Jacobs-Zander. Marian Offmann, der am Donnerstag, 7. Juli, in Grünwald gastiert, kennt als ehemaliger Vizepräsident der Israelitischen Kultusgemeinde für München und Oberbayern sowie Münchner Stadtrat (CSU, später SPD) ebenfalls gut, wie es ist, angefeindet zu werden. Er referiert über "Chancen und Stolpersteine - die Herausforderungen des Interreligiösen Dialogs". Seit 2021 ist er "Interreligiöser Beauftragter" der Stadt München und bekannt dafür, als Jude gute Kontakte auch zur muslimischen Gemeinde zu pflegen.

Anton Hofreiter, hier beim Wahlkampf in Unterhaching, referiert in Grünwald über Umwelt und Zukunft. (Foto: Claus Schunk)

Anton Hofreiter wird am Mittwoch, 13. Juli, referieren. "Wir haben keinen Planeten B. Wie können wir unsere Lebensgrundlagen erhalten?" lautet der Titel seines Vortrages. Inzwischen ist der in Sauerlach aufgewachsene Politiker der deutschen Öffentlichkeit zwar eher als Befürworter der Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine präsent, aber seine wichtigsten politischen Ziele dürften gleichwohl noch immer Umwelt- und Klimaschutz sein sowie Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Zurzeit ist er Vorsitzender des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union.

Jacobs-Zander hofft jedenfalls auf gute Resonanz und vor allem lebendige Diskussionen: mit Widersprüchen und Auseinandersetzungen, aber vor allem mit Respekt vor dem Andersdenkenden. Wie sagte Ibn al-'Arabî, der große Mystiker des Islam: "Mein Glaube ist die Liebe - wo die Karawane auch hinziehen mag, ist Liebe meine Religion."

Die Vorträge beginnen um 19.30 Uhr und werden auch auf dem Youtube-Channel "Thomasgemeinde Grünwald" gestreamt. Der Eintritt beträgt für Gäste zwölf Euro, für alle Veranstaltungen 40 Euro; für Freundeskreis-Mitglieder zehn Euro für eine, 30 Euro für alle Veranstaltungen. Weitere Infos unter www.tutzinger-akademiefreunde-gruenwald.de .

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