Bevor der "kommunalpolitische Gedankenaustausch" beginnen kann, ist im Tagungssaal des Grasbrunner Rathauses großes Stühlerücken angesagt. Immerhin sollen an diesem Dienstagvormittag zusätzlich zu den 19 Gemeinderäten und einigen Mitgliedern der Gemeindeverwaltung noch mehr als ein Dutzend Lokalpolitiker, zwei Dolmetscherinnen sowie Bürgermeisterin Chantal Pétard-Voisin aus der bretonischen Kommune Le Rheu Platz finden. "Das ist heute eine Premiere, dass so viele Gemeinderäte aus beiden Gemeinden an einem Tisch sitzen", grüßt Grasbrunns Bürgermeister Klaus Korneder (SPD) in die große Runde.
Rund 50 französische Gäste, darunter eine politische Delegation, ist anlässlich der 50-jährigen Gemeindepartnerschaft zwischen Grasbrunn und Le Rheu für fünf Tage zu Besuch gekommen. Am Sonntag wurden sie bei Sekt und einer thematisch passenden Fotoausstellungen im Bürgerhaus Neukeferloh empfangen; als Ehrengast gratulierte die CSU-Europa-Abgeordnete Angelika Niebler aus Vaterstetten auf Deutsch und auf Französisch zu der langjährigen Jumelage. "In unserer Europäischen Union mit fast 450 Millionen Bürgerinnen und Bürgern geht es auch darum, dass Menschen zusammenkommen. Genau das wird bei Ihnen in dieser Partnerschaft gelebt", sagte Niebler.
Neben gemeinsamen Festen und Ausflügen nach Mittenwald und München, welche das Grasbrunner Partnerschaftskomittee mit Fördergeldern des deutsch-französischen Bürgerfonds organisiert hatte, diente der Besuch der Lokalpolitiker aus Le Rheu laut Grasbrunns Bürgermeister Korneder insbesondere zum "Diskutieren und Voneinander-lernen". Für den binationalen Gedankenaustausch am Dienstagmorgen hatte Korneder deshalb ein Thema ausgewählt, welches beide Gemeinden gleichermaßen umtreibt: die Bildung.
Bei ihrem Gedankenaustausch sprechen die Gemeinderäte über die unterschiedlichen Bildungssysteme
Grasbrunns Hauptamtsleiterin Nicole Jung, Le Rheus Bürgermeisterin Pétard-Voisin und ihr Stellvertreter Didier Gilbert referierten jeweils über das Schulsystem sowie die Kinderbetreuung ihres Landes und stellten dabei einige Unterschiede heraus. Während etwa die Lehrpläne im deutschen Bildungssystem durch die einzelnen Bundesländer definiert werden, regelt Frankreich seine Standards auf nationaler Ebene - mit der Folge, dass das französische Schulsystem stärker standardisiert ist. Auch sind Kinder dort bereits mit drei, nicht wie in Deutschland mit sechs Jahren schulpflichtig. Fasziniert zeigten sich die Grasbrunner Gemeinderäte besonders davon, dass der Mittwoch in weiten Teilen Frankreichs - auch in Le Rheu - ein schulfreier Tag ist, dafür aber an vier Wochentagen Ganztagsunterricht stattfindet.
Im Juni 1974 fuhr Wolf-Udo Wagner als Gesandter des Grasbrunner Bürgermeisters in die Bretagne, um die Möglichkeiten für eine Jumelage mit Le Rheu auszuloten. Obwohl es dabei einige kulturelle Missverständnisse gab, begründete er eine Freundschaft, die seit 50 Jahren währt.
Nach einer Rundfahrt durch die Gemeinde stand am späten Nachmittag die Taufe des Kreisverkehrs an der Waldbrunner Straße in Neukeferloh auf den Namen "Le-Rheu-Kreisel" an. Im kommenden Jahr soll bei einem Gegenbesuch in Frankreich mit einer Delegation aus Grasbrunn weitergefeiert werden. Die Grasbrunner seien in Le Rheu herzlich willkommen, sagte Rathauschefin Chantal Pétard-Voisin. "Ich freue mich sehr, dass wir uns über Themen austauschen können, die uns am Herzen liegen - unsere Funktionsweisen sind verschieden, aber wir können dennoch viel voneinander lernen."
