SZ-Adventskalender:Die Sprache ist so fremd wie der Schnee

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Die Töchter der Familie Saleh tun sich schwer mit dem Deutschlernen. (Foto: Catherina Hess)

Die Familie Saleh ist aus dem Jemen geflüchtet. Während der Vater immerhin gut Englisch kann, verstehen die Töchter in der Schule gar nichts. Ein Kurs ist bereits organisiert - aber ohne Hilfe viel zu teuer.

Von Annette Jäger, Gräfelfing

Ein neues Leben anfangen - es ist der größte Wunsch von Mr. Saleh. So möchte er in der Zeitung genannt werden, ohne Vornamen. Doch wann fängt ein neues Leben eigentlich an? Und wann hört das Überleben auf? Saleh und seine Familie kommen aus dem Jemen. Sechs Jahre lang waren sie auf der Flucht, haben um ihr Leben gefürchtet. Jetzt wohnen er und seine Frau mit den sechs Kindern in der Flüchtlingsunterkunft in Gräfelfing, die Familie hat Asyl erhalten. Zwei Zimmer stehen ihnen dort zur Verfügung, sie schlafen jeweils zu viert in einem, in der Wohnküche gibt es einen Tisch. Es ist eng, die Kinder streiten auch, sagt der Vater. Um draußen zu spielen ist es viel zu kalt, die Kinder kennen niemanden, sie sprechen die Sprache nicht. Aber sie sind zusammen und in Sicherheit.

Die Mädchen mit ihren violetten und blauen Kopftüchern reihen sich auf wie die Orgelpfeifen: zwölf, 13, 14 und 15 Jahre sind sie alt. Die Brüder sind 17 und 18 Jahre alt. Mit großen neugierigen Augen blicken die Mädchen in die eiskalte Schneelandschaft, die sie sehr "interessant" finden, wie der Vater übersetzt. Schnee haben sie noch nie im Leben gesehen. Es stehen auch viele Fragezeichen in ihren Augen geschrieben und große Verwunderung. Über eine Welt, in der sie sich völlig fremd fühlen und von der sie nichts verstehen.

Saleh war im Jemen Dozent für Geschichte an der Universität, er spricht gut englisch. Im Jemen wurde seine Familie aufgrund des Bürgerkriegs verfolgt, sie mussten ihr Haus zurücklassen, flüchteten sich in ländliche Regionen ihres Heimatlandes, lebten immer wieder an wechselnden Orten, erzählt Saleh. Der älteste Sohn sei kurzzeitig in Gefangenschaft geraten, es habe ihm gedroht, zum Kindersoldaten ausgebildet zu werden. Doch er habe fliehen und zur Familie zurückkehren können. Er spreche bis heute nicht über die Ereignisse und sei sehr zurückgezogen, sagt der Vater.

Saleh gelang zuerst die Flucht nach Deutschland, über Umwege. Im Spätsommer 2021 kam er nach Ottobrunn. Vor fünf Monaten konnten die Frau und die Kinder über den Familiennachzug hinterherkommen. Seitdem leben sie in Gräfelfing. Die 15 Jahre alte Tochter und die Brüder besuchen die Schlauschule, eine staatliche anerkannte Ergänzungsschule in Sendling, die Flüchtlingskinder unterrichtet, die im normalen Bildungssystem keinen Platz finden. Sie erhalten einen Sprachkurs, werden gezielt gefördert.

Während der Flucht war ein Schulbesuch nur selten möglich

Anders sieht es bei den drei jüngeren Mädchen aus. Sie besuchen seit September die sechste und achte Klasse der Mittelschule in Lochham. Sie sitzen zwar im Unterricht, aber sie verstehen nichts, wie der Vater erzählt. Zwei-, manchmal auch dreimal pro Woche erhalten sie gemeinsam mit anderen Kindern Deutschunterricht in der Schule. Aber das sei zu wenig, es bleibe nicht viel hängen, auch, weil zu viele Schüler mit unterschiedlichstem Deutschniveau in der Klasse säßen, sagt Saleh. Dabei wäre es so wichtig, dass die Mädchen endlich im Unterricht mitkommen, meint er. Während der Jahre auf der Flucht innerhalb des Jemen hätten sie nur sehr sporadisch die Schule besuchen können.

Der Helferkreis Asyl im Würmtal versucht gerade in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule vom neuen Jahr an einen Deutschkurs zu organisieren, den auch andere Kinder besuchen könnten. Es ist ein großer Wunsch Salehs, dass seine Töchter am Kurs teilnehmen können. Nur bezahlen kann er ihn nicht, dafür hat die Familie, die von Sozialhilfe lebt, kein Geld. Hier möchte der SZ-Adventskalender einspringen.

Sprache sei der Schlüssel, um die Kultur kennen zu lernen, sagt Saleh. Er ist ein gebildeter Mann, er weiß um die Macht der Sprache. Deshalb lernt er selbst Deutsch und besucht jeden Tag einen Kurs, seine Frau beginnt im Februar damit. Saleh strebt das höchste Deutschzertifikat an, damit er wieder arbeiten kann, wie er sagt. Vielleicht auch wieder als Lehrer, überlegt er. Ob er Menschen kennen lernen kann in Deutschland, wenn er die Sprache richtig gut spricht? Im Park, auf der Straße - kann er sie einfach ansprechen, geht das in Deutschland, fragt er. Die Antwort muss vage bleiben. Vielleicht. Oder: Es kommt darauf an.

Im Jemen habe die Familie ein schönes Haus gehabt, sagt Saleh. Das hätte er auch gerne wieder hier in Deutschland, um das neue Leben anzufangen. In Gräfelfing vielleicht? Die Frau vom Helferkreis, die die Familie betreut, schüttelt den Kopf: Nein, hier nicht, viel zu teuer. Saleh ist erschrocken über die genannten Preise. Also muss er noch einmal woanders hingehen? Besser wäre es, antwortet die Helferin. Das neue Leben - es muss sich noch einmal hinten anstellen.

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