Garching:Wenn die Toilette zur Falle wird

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Bei einem Spaziergang stellen Garchinger Stadträte fest, wie schwer Behinderten der Alltag immer noch gemacht wird. Das Klohäuschen mit klemmender Tür und toter Notruftaste ist ein besonders krasses Beispiel.

Von Gudrun Passarge, Garching

Der Mann im Rollstuhl müht sich vergeblich, die Tür zur Behindertentoilette aufzubekommen. Erst sanfter Druck von Helmut Fischer, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Garchinger Behindertenbeirats, macht den Weg frei. Dann steht eine Gruppe von Stadträten in der Behindertentoilette am Maibaumplatz und kommt nicht mehr raus. "Die Tür klemmt a wengerl", bemerkt Dritter Bürgermeister Walter Kratzl (Grüne). Diesmal ist Jürgen Ascherl, Fraktionschef der CSU, der Retter und gibt der Tür den nötigen Schwung. Der Behindertenbeirat hat den Spaziergang durch Garching organisiert, um den Stadträten zu zeigen, mit welchen Problemen Behinderte täglich konfrontiert sind. Und die Lokalpolitiker nehmen von diesem Rundgang die Erkenntnis mit, dass noch einiges getan werden muss.

Die öffentliche Behindertentoilette am Maibaumplatz ist ein exzellentes Beispiel dafür. Gerd Rumpf, Vorsitzender des Garchinger Behindertenbeirats, ist selbst Rollstuhlfahrer. Diese Toilette jedoch meidet er. "Aber wer sich nicht auskennt in Garching, hängt womöglich da drin fest und drückt die Notruftaste und niemand meldet sich." Denn die Notruftaste sei - wie die in den anderen Behindertentoiletten der Stadt auch - gar nicht angeschlossen.

Die Toilette ist die letzte Station des kleinen Rundgangs. Die Fraktionsvorsitzenden der Parteien und einige interessierte Stadträte sind gekommen, um sich selbst mal in den Rollstuhl zu setzen oder mit einer Dunkelbrille auf der Nase und mit Behindertenstock ihre Umgebung zu erkunden. Zum Beispiel beim Postkasten am Bürgerhaus. Er ist eher für gute Sportler gedacht, die das kleine Podest elegant mit den Rädern ihres Rollstuhls entern können. Jürgen Ascherl schafft es erst nach mehreren Versuchen, was zeigt, dass schon einige Geschicklichkeit dazu gehört, einen Brief in den Schlitz zu werfen.

Die Hinweise für Blinde auf dem Pflaster sind nur schwer zu entziffern

Doch es geht nicht nur um Hindernisse für Rollstuhlfahrer, auch Blinde haben es im Alltag nicht leicht, sich zurechtzufinden. Spezielle Pflastersteine mit Längs- und Querstreifen oder mit Noppen sollen hier helfen, den Weg an Straßenecken oder Bushaltestellen zu finden. Doch Melanie Egerer vom Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund ist verwirrt. Etwa an der Ecke Telschow- und Schleißheimer Straße, wo die Steine etwas anderes erzählen, als sie erwarten würde.

Das gleiche Bild an der Bushaltestelle an der Münchner Straße, die behindertengerecht umgebaut wurde. Egerer steht an den Noppensteinen und wartet auf den Bus, der eigentlich mit der Fahrertür an dieser Stelle halten sollte, jedoch ein Stück weiter vorfährt. Wüssten das denn auch die Busfahrer, will einer wissen. "Nein", sagt Gerd Rumpf, "aber wir haben beantragt, dass die Busfahrer geschult werden." Egerers Urteil fällt trotzdem nicht schlecht aus. Garching habe schon einiges getan, um Behinderten das Leben im Alltag leichter zu machen, aber wegen einzelner Übergangssituationen werde sie noch an die Stadt schreiben, sagt sie hinterher.

Bei einer abschließenden Besprechung im Rathaus, an der auch Bürgermeister Dietmar Gruchmann (SPD) teilnimmt, wird deutlich, wo es hakt. "Es geht darum, wie wir künftig miteinander umgehen", sagt der Vorsitzende des Behindertenbeirats, dem es um mehr Kontakt zu den Entscheidungsträgern und zur Verwaltung geht. Wichtig ist ihm auch sein Anliegen, in den geplanten Neubaugebieten auf Grundstücken der Stadt 15 Prozent barrierefreie Wohnungen zu schaffen.

Rumpf lobt die Stadt, weil sie sich einen Behindertenbeirat leiste und "vorn dran" sei in ihren Bemühungen, doch er übt auch Kritik: "Was uns ärgert ist halt, dass wir immer hinterherspringen müssen." Er wünscht sich, dass der Behindertenbeirat bei allen öffentlichen Bauprojekten von vornherein als Sachverständigengremium gehört und eingebunden wird. "Das muss selbstverständlich sein", stimmt ihm Gruchmann zu. Tatsächlich zeigt sich jedoch in der Diskussion, dass es in der Praxis nicht so ist und dass der Bürgermeister und der Behindertenbeirat teils unterschiedliche Informationen haben.

Der Notruf ist keine freiwillige Einrichtung

So macht Rumpf etwa klar, dass der Notruf keine freiwillige Einrichtung sei, wie die Verwaltung berichtet habe, sondern Teil der deutschlandweit üblichen DIN-Norm. Und er erzählt, dass auch im Bürgerhaus in der Behindertentoilette der Notruf nie angeschlossen gewesen sei: "Da brennt dann ein rotes Lämple und es macht tüt, tüt, tüt." Die Leute würden sich dann immer zur Kreissparkassen-Filiale auf dem Platz umschauen, weil sie dächten, die würde überfallen. Darauf, dass jemand Probleme in der Behindertentoilette habe, komme eher niemand. Rumpf macht den Vorschlag, die Notrufe künftig bei der Feuerwehr aufzuschalten, die könne sie dann weiterleiten.

Dem Bürgermeister ist einiges neu von dem, was er hört. Seine Schlussfolgerung: Man müsse wohl noch daran arbeiten, das Bewusstsein der Verwaltung für derlei Probleme zu schärfen. Jürgen Ascherl macht den Vorschlag, die Verwaltungsmitarbeiter auch mal auf so einen Spaziergang mitzunehmen. Josef Euringer (Bürger für Garching) regt an, der Behindertenbeirat könne seine Sitzungsprotokolle doch an die Fraktionsvorsitzenden schicken, damit sie auf dem Laufenden sind. Und Bürgermeister Gruchmann selbst sagt zu, die Toilette am Maibaum zur Chefsache zu machen: "Um die kümmere ich mich jetzt persönlich."

© SZ vom 19.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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