Garching:Musikalische Bande

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Beim Orchester Prima Transit spielen die jungen Trommler die Hauptrolle. (Foto: Catherina Hess)

Das Projekt Prima Transit hilft Kindern und Jugendlichen, in Deutschland anzukommen.

Von Gudrun Passarge, Garching

Die Töne schwirren nur so durch den Raum. Manche leise, manche mit Wucht. Manche richtig, manche überraschend schön, manche knapp daneben. Aber das stört den Gesamteindruck nicht, die Musik geht ins Blut.

In einem Kellerraum der Garchinger Mittelschule proben die Kinder der Übergangsklassen mit den Profis der Münchner Bahnhofskapelle. Selbst der 13-jährige unbegleitete Flüchtling ist noch dabei und haut auf die Trommel. Er wollte gleich am ersten Tag die Gruppe wieder verlassen, weil ihn die Klänge zu sehr an ein Gewehrfeuer erinnerten. Jetzt trägt er Ohrenstöpsel und freut sich auf den großen Auftritt, an diesem Donnerstag beim Sommerfest.

Jazzgeiger Hannes Beckmann rief "Prima Transit" 2015 ins Leben

Prima Transit heißt das Projekt, das der 2016 verstorbene Jazzgeiger und Komponist Hannes Beckmann mit seiner Bahnhofskapelle ins Leben gerufen hat. Sein Ziel war es, mit den Kindern und Jugendlichen, die neu in Deutschland ankommen, zu musizieren, um ihnen so die Ankunft in der neuen Kultur zu erleichtern. Dafür hat er auch eigens Lieder geschrieben mit Texten, die sich um Heimat, Wanderung und Ankommen drehen.

Wie das Lied "Öffne mir deine Tür", das der Chor gerade intoniert, unterstützt von den orientalisch anmutenden Klängen der Kontrabässe, Trommeln und von der Geige, die unbestreitbar den Ton angibt und versucht, alle wieder einzufangen, wenn es ausfranst. Sie gehört Niki Kampa, dem musikalischen Leiter des Projekts, das er im Namen Beckmanns fortführt. Prima Transit wird getragen vom Orchester "Münchner Bahnhofskapelle" in Zusammenarbeit mit dem Verein "Initiativgruppe interkulturelle Begegnungen und Bildung", die finanzielle Unterstützung kommt von der Regierung in Oberbayern. Der Auftritt in Garching, erzählt Kampa, ist der zweite seiner Art und stand unter problematischen Vorzeichen: "Wir haben nur eine Woche Zeit. Normalerweise bereiten wir es in zwei Monaten vor, hier haben wir es in vier Tagen geschafft", sagt Kampa.

Orchesterleiter Niki Kampa (Mitte) unterstützt die Percussionisten bei ihrer Probe an der Geige. (Foto: Catherina Hess)

Trotz dieser erschwerten Bedingungen hat er den Eindruck, dass es gut funktioniert. "Es entstehen richtige Freundschaften zwischen den Dozenten aus unterschiedlichsten Ländern und den Schülern." Das bestätigt auch Brigitte Beckmann, die Witwe des Initiators, die ebenfalls das Projekt unterstützt. Es sei sehr berührend, wenn sie morgens schon von einigen Mädchen mit Umarmung begrüßt werde, erzählt sie. Sie selbst ist keine Profimusikerin, aber sie ist musikalisch, sie hat als Kind Klavier gelernt. In Garching hilft sie beim Chor. Die Profis haben drei Gruppen gebildet, der Chor, die Kontrabässe und die Trommler proben jeweils extra, jeden Tag von kurz nach acht bis elf Uhr.

Die Musik verbindet und zeigt: Man muss sich auf den anderen einlassen

Der Einsatz ist überwältigend. Gut 40 der insgesamt 64 Schüler der drei Übergangsklassen sind dabei. Die Differenz erklärt sich daraus, dass die Lehrer einige Schüler bewusst herausgenommen haben aus dem Projekt, "weil es für sie zu schwierig wäre", sagt Rektorin Tatjana Pringsheim und bezieht sich dabei keineswegs auf die musikalische Seite. Natürlich gebe es bei manchen noch Sprachprobleme, aber entscheidend sei eher die mangelnde Sozialisation. Dem ein oder anderen Schüler fehle einfach die soziale Kompetenz, auch wenn sie schon länger in Deutschland seien. "Da sind wir bei manchen Kindern noch sehr am Anfang", berichtet sie. Auch die Zusammenarbeit mit den Familien sei teils schwierig, deswegen hofft sie, so ein Projekt könne Verbesserungen bringen: "Die Eltern kommen und sehen, was hier passiert und warum wir so viel Wert auf manche Dinge legen."

Überhaupt geht es um soziales Lernen und ums Ankommen. Susanne Reubel, Klassenleiterin einer der Ü-Klassen, sagt: "Es ist die Musik, die tatsächlich verbindet. Und man muss sich auf den anderen einlassen, man kann nicht einfach unkoordiniert allein für sich arbeiten." Pringsheim hat beobachtet, dass die Schüler mit großer Begeisterung dabei sind. "Manche blühen geradezu auf." Gerade, wenn sie zum Beispiel schon gewisse Fertigkeiten, etwa beim Trommeln, mitbringen, "da können sie zeigen, dass sie etwas Besonderes können." Allein schon das außergewöhnliche Rhythmusgefühl und die Art, wie sich manche bewegen, beeindrucken die Rektorin.

Beim gemeinsamen Musizieren können die Jugendlichen ihre Talente zeigen

So ein Projekt stärke das Selbstbewusstsein der Schüler. Sie würden sonst immer mit Defiziten konfrontiert, können die Sprache nicht richtig, kennen die Regeln nicht, "wir sind ständig beschäftigt ihnen zu zeigen, wie wir hier leben", bei Prima Transit dagegen bekommen sie die Gelegenheit mal zu zeigen, welche Talente sie mitbringen. Und dann würden auch die Eltern sehen, "was für bewundernswerte Dinge" an der Schule passierten. Alles eingeordnet in die Projektwoche "Meine Welt, deine Welt". Denn die Schüler, die nicht musizieren, arbeiten in anderen Workshops, produzieren einen Zeichentrickfilm, bauen und bepflanzen Hochbeete, knüpfen Freundschaftsarmbänder, fotografieren oder dokumentieren und besuchen beispielsweise die Flüchtlingsunterkunft in Garching, um zu sehen, wie die Menschen dort leben.

Die Ergebnisse werden beim Sommerfest zu sehen sein - und zu hören: Dann kommt die komplette Bahnhofskapelle mit zwölf Musikern und spielt zusammen mit den Kindern. Die Tür ist da längst geöffnet.

© SZ vom 13.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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