Die Zeitspanne beträgt nur 66 Stunden. Innerhalb dieses Zeitraums muss das Material von Garching aus etwa in eine Klinik ins spanische Andalusien gebracht werden, ehe es verfällt. Das radioaktive Material, das europaweit Mangelware ist, heißt Molybdän-99 und kann ein Lebensretter sein, denn es kommt bei der Diagnostik etwa von Krebserkrankungen zum Einsatz. Und in ein paar Jahren kann ungefähr die Hälfte des in ganz Europa benötigten Bedarfs an Molybdän-99 (Mo-99) in der Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz (FRM II) der Technischen Universität München in Garching gedeckt werden.
Hierfür hat das bayerische Umweltministerium nun die Genehmigung erteilt. Genauer gesagt für den Betrieb einer Bestrahlungsanlage für sogenannte Urantargets, mit der Molybdän-99 hergestellt werden kann - und aus dem innerhalb von 66 Stunden zerfallendem Molybdän-99 entsteht schließlich das Isotop Techneticum-99m, kurz: Tc-99m, das am häufigsten in der Nuklearmedizin zum Einsatz kommt. Etwa auch, um die Funktion der Schilddrüse zu untersuchen oder Schädigungen von Lunge, Herz, Galle oder dem Skelettapparat zu erkennen. Nach Angaben des FRM II erfolgen mit der radioaktiven Substanz Techneticum-99m jährlich etwa 30 Millionen medizinische Untersuchungen weltweit, etwa drei Millionen davon alleine in Deutschland.
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Nur in vier Reaktoren in Europa kann Mo-99 hergestellt werden
Allerdings, so erläutert FRM II-Sprecherin Anke Görg, könne Tc-99m in Europa nur in vier Forschungsreaktoren hergestellt werden; falle einer dieser Reaktoren aus, komme es europaweit zu Engpässen und es müssten möglicherweise lebenswichtige Untersuchungen abgesagt werden. Hinzu komme, dass der Grundstoff Molybdän-99 aufgrund seiner kurzen Halbwertzeit von nur 66 Stunden nicht auf Vorrat produziert werden könne, sondern nur direkt vor einer angesetzten Untersuchung.
Den Engpass bei der Produktion soll nun ausgerechnet der Forschungsreaktor in Garching beseitigen, der immer wieder in der Kritik steht. Zwar steht der Reaktor derzeit still, allerdings ist ein baldiges Hochfahren angedacht - und zwar weiterhin mit hochangereichertem Uran. Eigentlich hatte die Bundesregierung den Betreiber verpflichtet, den FRM II bereits bis zum Jahr 2010 auf niedriger angereichertes Uran umzustellen, was technisch auch möglich ist. Allerdings wurde diese Frist von Bund und Freistaat in einer späteren Vereinbarung zunächst auf 2018 und später noch einmal auf 2023 verlängert - dann sollen neue Forschungsergebnisse vorliegen, auf deren Grundlage eine politische Entscheidung getroffen werden soll. Ziel ist es, dass die TU voraussichtlich im Jahr 2025 eine Umrüstung beantragen kann.
Nun aber soll in "den nächsten Jahren", wie es seitens des FRM II heißt, die Fertigstellung und Inbetriebnahme der Produktionsanlage für den radioaktiven Stoff Molybdän-99 in den Reaktor eingebaut werden. Und spätestens bei dem Begriff "radioaktiv" dürften bei allen Kritikern des Forschungsreaktors die Alarmglocken schrillen. FRM II-Sprecherin Görg aber beschwichtigt: Die bei der Produktion benötigten Uranplatten seien niedrig angereichert. "Unter 20 Prozent. Das ist nicht diskussionswürdig", so Görg. Und selbst einer der größten Kritiker des Reaktors, der Grünen-Landtagsabgeordnete Markus Büchler aus Oberschleißheim, betont, dass es sich bei der geplanten Produktion von Mo-99 "um kein Politikum" handle. "Das ist tatsächlich kein Problem für uns, da das Uran tatsächlich niedrig angereichert ist und es sich nur um geringe Mengen handelt", so Büchler.
Büchler stellt aber auch klar, dass die offenkundig benötigte Produktion des Stoffs für medizinische Untersuchungen unter diesen Voraussetzungen nichts an der grundsätzlichen Haltung der Grünen zum FRM II ändert. "Wir wollen weiter keine Nutzung mit hochangereichertem Uran und wir wollen auch keine Transporte der Brennstäbe nach Ahaus", betont Büchler. Und der Abtransport der Brennstäbe in das Zwischenlager in der nordrhein-westfälischen Stadt stellt tatsächlich eine Politikum dar, befürchten die Grünen doch, dass ein Leeren des Abklingbeckens im FRM II den Weg für einen Weiterbetrieb in der bisherigen Form mit hochangereicherten Brennstäben frei machen könnte.
Zusätzlicher Brennstoffmüll wird durch die Produktion von Mo-99 in Garching indes nicht anfallen, gibt FRM II-Sprecherin Görg Entwarnung. Es gebe in Europa zwei Hersteller der benötigten Uran-Platten, die diese anliefern und anschließend auch entsorgen würden. "Und die Entsorgung ist auch einfacher geworden. In diesem Fall haben wir aber nichts damit zu tun", sagt die Sprecherin.