Mitten in Grünwald:Die anderen Flüchtlinge

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Über den Krieg in der Ukraine sind die Schutzsuchenden aus Syrien fast in Vergessenheit geraten. Eine Lesung rückt sie wieder ins Blickfeld.

Kolumne von Claudia Wessel, Grünwald

Kürzlich auf einer Geburtstagsfeier. Während alle sich an dem großzügigen Büfett bedienen, das auf dem Esstisch aufgebaut ist, mit Salaten, Kuchen, Schlagsahne, während sich die Männer aus der Regentonne im Garten eiskaltes Bier holen, ordert eine Frau mit bunten Zöpfen von ihrem Partner: "Ein heißes Wasser, bitte." Solche Askese gerade an diesem Datum? Wie eine eingefleischte Veganerin oder sonst wie ernährungstechnische Ideologin wirkt sie in ihrem schicken Kleid nicht gerade. Die Neugier ist geweckt und man sitzt schließlich ganz in ihrer Nähe.

Es kommt heraus: Erst am Vortag ist sie von einer Fastenkur zurückgekehrt. Die Geburtstagsfeier ist der Tag, dem sie das Fasten brechen darf. Am Morgen gab es schon einen Apfel, der so gut schmeckte wie noch nie, berichtet die gebürtige Afrikanerin. Und für später hat sie sich eine Schale Reis mitgebracht. Alkohol ist natürlich total verboten, daher das in der Kur angewöhnte heiße Wasser. Die Fastenkur hat sie aber nicht gemacht, um ihre Figur zu verbessern, sondern gegen puren Stress, wie sie unter vier Augen bekennt. Denn ihr Beruf bringt sie gerade an ihre Grenzen.

Die Frau ist in einem bayerischen Ort so etwas wie Flüchtlingsbeauftragte und im Moment jammern ihr viele ihrer Klienten die Ohren voll, nämlich all die, die schon da waren, bevor der Krieg in der Ukraine ausbrach. Diese fragen sie, wieso alle Ukrainer sofort eine Arbeitserlaubnis erhalten, kostenlos mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren und andere Vorteile genießen, während etwa eine Syrerin 70 Euro für ihre Busfahrkarte zahlen muss. Nein, Neid ist nicht schön, aber die Bredouille der Ansprechpartnerin für alle Migranten im Ort ebenso wenig. Vor lauter E-Mails, Anrufen und von oben nicht gegebenen Antworten musste sie dringend abschalten und in Fastenurlaub gehen.

Eine gute Gelegenheit, sich auch einmal wieder mit den Geflüchteten aus anderen Ländern zu befassen, bietet sich am Donnerstag, 2. Juni, um 19.30 Uhr im Café Treffpunkt der Nachbarschaftshilfe Grünwald. Dort liest der Syrer Hamed Abboud aus seinem Buch "In meinem Bart versteckte Geschichten". In einem ersten Band hatte er bereits von den Schrecken des syrischen Krieges erzählt, im neuen Buch geht es ums Ankommen in der neuen Heimat - erzählt mit Humor und Augenzwinkern.

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