Adventskalender für gute Werke der SZ:Der Lockdown war wie eine Quarantäne

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Am liebsten zusammen: Bewohner des Lebenshilfe-Wohnheims in Putzbrunn mit Einrichtungsleiterin Renate Bauer und Vorstand Peter Puhlmann (hinten). (Foto: Claus Schunk)

Im Wohnheim der Lebenshilfe München in Putzbrunn musste in der Pandemie sogar ein Liebespaar vorübergehend getrennt werden.

Von Patrik Stäbler, Putzbrunn

Sie nennt ihn Teddybär, er nennt sie Maus: Eng aneinander gekuschelt sitzen Birgit und Hans an diesem Vormittag auf dem Sofa im Foyer des Wohnheims I der Lebenshilfe München in Putzbrunn. Insgesamt leben hier 33 Menschen mit geistiger Behinderung in vier Wohngruppen. Nebenan gibt es ein zweites Wohnheim, darin drei Gruppen für 18 Menschen mit schwerer Mehrfachbehinderung. Birgit und Hans jedenfalls scheinen ihr Leben und ihr Zuhause in Putzbrunn zu lieben - fast so sehr wie sich gegenseitig. "Ich habe hier alles, was ich brauche", sagt Hans zufrieden, schaut zu Birgit und streichelt ihr über die Wange. Daraufhin lächelt sie - und nickt.

Bei einem Wort aber verdüstern sich die eben noch strahlenden Mienen der beiden. Es lautet: Corona. "Das war nicht gut", sagt Hans und schüttelt energisch den Kopf, ehe er wieder zu Birgit blickt. "Da konnten wir uns nicht sehen." Schließlich leben die beiden zwar im selben Haus, jedoch in unterschiedlichen Wohngruppen. Und diese wiederum mussten zu Lockdown-Zeiten voneinander getrennt werden, um der gerade in Pflegeeinrichtungen grassierenden Pandemie Herr zu werden. Für die Menschen, die hier leben und vielfach auch in den Werkstätten auf dem Putzbrunner Lebenshilfe-Campus arbeiten, war dies nicht die einzige Beschränkung in jenen schwierigen Monaten, erinnert sich Peter Puhlmann, der Geschäftsführer des Vereins Lebenshilfe München. "Das Hauptproblem war, dass die engsten Bezugspersonen der Bewohner, zum Beispiel ihre Eltern, nicht mehr in die Wohngruppen durften." Gerade im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 "war das für sie wie eine Quarantäne", sagt Puhlmann.

Die soziale Isolation in jener Zeit habe etlichen Bewohnerinnen und Bewohnern zugesetzt, bestätigt Renate Bauer, die Leiterin der zwei Wohnheime in Putzbrunn. "Am Anfang war das ein echtes Schreckensszenario und viele hatten Angst." Zugleich seien Bewohner und Mitarbeiterinnen aber auch enger zusammengerückt, nicht zuletzt da man infolge geschlossener Werkstätten mehr Zeit miteinander verbrachte als zuvor. "Man hat sich untereinander ganz anders kennengelernt", sagt Renate Bauer. Und doch seien die Zeiten des Lockdowns insgesamt sehr schwierig und herausfordernd gewesen - nachgerade, als vor einem Jahr auch Coronafälle in den Häusern auftraten, glücklicherweise ohne schwerwiegende Folgen. Just an Heiligabend sei die Quarantäne damals aufgehoben worden, erinnert sich Renate Bauer. In der Folge konnten viele Bewohnerinnen und Bewohner über die Festtage zu ihren Angehörigen heimfahren. Einige blieben jedoch auch im Wohnheim und feierten dort zusammen Weihnachten - unterm Christbaum, mit Geschenken, Liedern und gutem Essen.

Wobei die Gemeinschaft nicht nur an Feiertagen einen hohen Stellenwert im Wohnheim hat. "Ich vergleiche das Zusammenleben dort immer mit einer Studenten-WG", sagt Peter Puhlmann. "Da wird jeder mit eingebunden, und alle helfen sich gegenseitig." So gibt es etwa einen rollierenden Putz- und Mülldienst. Darüber hinaus wird in der Küche gemeinsam gekocht, zu Abend gegessen und hernach beisammengesessen. Das Gros der 33 Bewohnerinnen und Bewohner lebt bereits seit vielen Jahren hier, einige gar seit der Eröffnung des Wohnheims 1994. Sie haben ein neues Zuhause gefunden, in dem sie selbstständig für sich sorgen - so weit es ihnen möglich ist. Zugleich sind rund um die Uhr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Lebenshilfe zugegen, die überdies ein Programm mit Aktivitäten anbieten: von der Gymnastik bis zum Filmabend, von der Bastelstunde bis zum Ausflug auf den Reiterhof.

Dieses Programm beschränkte sich jahrelang auf die Wochenenden und Feiertage, schließlich waren die Bewohnerinnen und Bewohner tagsüber arbeiten, meist in den Werkstätten auf dem Gelände - etwa in der Wäscherei, im Metallbau oder in der hauseigenen Kaffeerösterei. Nachdem mittlerweile aber mehr als die Hälfte der Menschen im Wohnheim I in Rente ist, habe man das Programm kürzlich ausgeweitet, sagt Einrichtungsleiterin Renate Bauer. "Wir bieten den Bewohnern eine Tagesstruktur - auch damit sie aus ihren Zimmern rauskommen." Mittelfristig will die Lebenshilfe gar ein eigenes Wohnheim nur für ältere Menschen mit Behinderung errichten. "Das wäre das erste seiner Art im Großraum München", sagt Peter Puhlmann. Gebaut werden soll das Haus nördlich der bestehenden Wohnheime auf dem Campus in Putzbrunn, und zwar ab Frühjahr 2022. Zwei Jahre später könnten die ersten Bewohnerinnen und Bewohner einziehen.

Zu ihnen zählen dann womöglich auch Birgit und Hans, die beide inzwischen im Ruhestand sind. Das Paar sitzt noch immer auf dem Sofa im Foyer - so eng umschlungen wie verliebte Teenager. "Wir helfen uns gegenseitig", sagt Hans und streichelt Birgit liebevoll den Arm. "Sie sagt zu mir Teddybär. Und ich sage zu ihr Maus." Wie zur Bestätigung lehnt Birgit ihren Kopf an seine Schulter. Und dann sagt Hans noch: "Wir haben's schön hier."

Weihnachtswünsche für die Bewohner sind eine Tovertafel pro Senioren-Wohnstätte. Außer in Putzbrunn betreibt die Lebenshilfe noch je eine in Unterschleißheim und Obergiesing. Mit diesem Tool projiziert man Spiele zum Beispiel auf Tisch, Boden oder Rollstuhltisch. Damit könnten sich auch die Rentner sehr gut beschäftigen. Außerdem müssen drei Pflegebäder in dem Putzbrunner Heim erneuert werden. Eine Spende des Adventskalenders würde für diese Projekte verwendet.

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