Noch ist Berlin weit weg. Ziemlich genau 477 Kilometer Luftlinie. Züge fahren schon längst nicht mehr und über dem Münchner Flughafen tobt das Sturmtief Sabine. Bela Bach hat keine Ahnung, ob ihr Flieger an diesem Sonntagabend noch abheben wird. Und überhaupt, welcher Flieger? Nur noch zwei Starts in Richtung Bundeshauptstadt dürfen angesichts orkanartiger Böen dort draußen stattfinden.
Der Weg in die Hauptstadt kann ein steiniger sein. Das weiß die 29-jährige Planeggerin Bach nur zu gut. Zwei Mal - 2013 und 2017 - ist sie im Wahlkreis München-Land als Direktkandidatin der SPD bei der Bundestagswahl angetreten. Vor drei Jahren hatte sie dank eines aussichtsreichen Listenplatzes das Ticket fürs Parlament schon gebucht, doch die SPD stürzte bundesweit auf nur noch 20,5 Prozent ab. Bachs Traum war ausgeträumt - Anfang 2019 legte sie den Vorsitz des Unterbezirks München-Land nieder und beendete ihre politischen Ambitionen.
An ihrem vierten Tag in Berlin, ein Donnerstag Mitte Februar, empfängt Bela Bach im schlichten blauen Blazer in ihrer neuen Arbeitsstätte: Unter den Linden 50, beste Lage in Berlin Mitte, ein weißer Bürokasten direkt gegenüber der Botschaft der Russischen Föderation, diesem epochalen Nachkriegsbau im sozialistischen Schick. Ihr Flieger wenige Tage zuvor hat also tatsächlich noch abgehoben und sie sicher durch die Sturmböen gebracht. Mit dem Aufzug geht es in den dritten Stock, zwei Zimmer stehen hier der neuen Abgeordneten und ihren zwei wissenschaftlichen Mitarbeitern sowie einer studentischen Hilfskraft zur Verfügung. Es ist ein wenig beengt, die drei jungen Mitarbeiter teilen sich ein Büro, die Abgeordnete sitzt direkt nebenan an ihrem Schreibtisch.
Wie im deutschen Urwald
Abgeordnet? War da was? Ende November vergangenen Jahres ändert sich für Bela Bach erneut alles. Der Nürnberger SPD-Bundestagsabgeordnete Martin Burkert wird zum stellvertretenden Vorsitzenden der Eisenbahnergewerkschaft (EVG) gewählt und kündigt an, sein Mandat niederzulegen. Bach ist die erste Nachrückerin auf der bayerischen Landesliste - und plötzlich drin im Parlament.
Um Punkt 14 Uhr am Montag nach der "dramatischen Reise nach Berlin", wie Bach sagt, hat sie ihr Büro erstmals aufgesperrt. In den ersten Stunden fühlt sie sich "wie in einem Dschungel", einem sehr deutschen Urwald allerdings. "Man muss hier für alles einen Antrag stellen", sagt die Abgeordnete und lacht. "Ich habe erst mal mit meinem Handy bei der IT angerufen. Da hieß es dann, wenn sie einen PC brauchen, müssen sie ins Intranet des Bundestags und einen Antrag ausdrucken. Schwierig ohne Computer, ich brauch nämlich einen Computer." Die Mitarbeiter haben ihr dann den Antrag ausgedruckt und vorbeigebracht, ganz analog. Der Berliner Dschungel kann sehr bürokratisch sein.
Für Bach gilt es jetzt, sich schnellstmöglich durchzuschlagen. Mitten in einer Legislaturperiode ins Parlament zu kommen, ist nicht einfach, der Betrieb läuft ja auf Hochtouren, auch wenn er innerhalb der großen Koalition manchmal etwas stottert. "Aber es ging ja von Null auf Hundert los", sagt Bach. "Meine Tage, das habe ich schon am Anfang gemerkt, sind voll durchgetaktet." Früh morgens noch vor acht Uhr schon der erste Termin oder Telefonate, dann Sitzung im Petitionsausschuss, dem sie angehört, dann eine Arbeitsgemeinschaft, später Plenumsdienst - also Anwesenheitspflicht im Parlament - und dann tagt noch der Verkehrsausschuss. Für den habe sie sich bewusst entschieden, sagt Bach, auch um für den Landkreis etwas bewegen zu können.
Für die Wohnungssuche aber war noch keine Zeit, Bach hat sich in Neukölln in einer Ferienwohnung eingemietet. "Cooler Kiez, international", sagt sie. Und auch wenn die Berge, in die es sie so zieht, hier weit weg sind, kann sie hier ihrem Hobby nachgehen: "Zum Glück ist gleich ums Eck eine Boulder-Halle."
Den Bezug zur Heimat nicht verlieren
Vielen Abgeordneten fällt es ja schwer, der Berliner Blase zu entkommen, dieser für den Bürger etwas schwer verständlichen Welt im Regierungsviertel. Bela Bach sagt auf dem Weg ins Jakob-Kaiser-Haus, dem größten Parlamentsgebäude der Republik, sie wolle den Bezug zur Heimat nicht verlieren. "Ich will am Ort verhaftet bleiben. Meine Gemeinde und der Landkreis sollen ja von meiner Arbeit profitieren und Wahlkreisarbeit ist so wichtig." Auch deshalb werde sie in Planegg ein Wahlkreisbüro eröffnen und dort arbeiten, wenn in Berlin sitzungsfreie Wochen anstehen.
In der Cafeteria des Jakob-Kaiser-Hauses herrscht reges Treiben. Bela Bach will mit ihrer Zugangskarte zwei Kaffee organisieren, doch die Maschine reagiert nicht. Dafür brauche es eine andere Karte, sagt eine Mitarbeiterin - ein paar Feinheiten muss Bach also noch lernen. An einem der hinteren Tische sitzt der SPD-Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby, vertieft in ein Gespräch mit einer Journalistin. Dem dunkelhäutigen Abgeordneten aus Sachsen-Anhalt wird viel Aufmerksamkeit zuteil, nicht erst seitdem sein Wahlkreisbüro in Halle an der Saale beschossen und er regelmäßig rassistisch beleidigt und bedroht wird. Kurz nickt er Bela Bach zu, der neuen Kollegin.
Auf dem Weg in den Bundestag, der nur wenige Minuten dauert, denkt Bach auch kurz über ihre berufliche Zukunft nach. Seit wenigen Tagen erst ist sie Abgeordnete, und doch wird in nicht mehr ganz zwei Jahren schon wieder ein Bundestag gewählt. "Ich weiß, das ist ein Job auf Zeit. Aber ich nehme das sehr ernst und will mich so schnell wie möglich einarbeiten", sagt sie, bevor sie die Treppen zum Ostportal hinaufschreitet. Am Eingang begrüßt sie der Portier: "Guten Tag, Frau Bach." Ihr Name ist bei den Bundestagsangestellten schon fest eingespeichert. Nach einem Rundgang durch die von Sir Norman Foster gestaltete Kuppel verabschiedet sie sich, sie hat Plenumsdienst. Es ist kein wirklicher Abschied, denn Bela Bach ist nach Berlin gekommen, um zu bleiben.