Advent für Anfänger:Alles andere als eine heile Familie

Lesezeit: 2 min

Pfarrer Bernd Reichart in der Michaelskirche in Gräfelfing mit den Krippenfiguren Maria und Josef. (Foto: Catherina Hess)

Maria und Josef gehören zwar zur Krippe wie das Christuskind, als Paar spielen sie aber keine Rolle, sagt Pfarrer Bernd Reichert aus Lochham.

Von Annette Jäger, Gräfelfing

Erst in den letzten Tagen vor Weihnachten wird vielerorts die Krippe mit ihren Figuren aus der Kiste im Keller geholt und abgestaubt, noch etwas frisches Moos gesammelt. Es sind die finalen Vorbereitungen für den alljährlichen großen Auftritt der Protagonisten der Weihnachtsgeschichte, darunter ein ganz besonderes Paar: Maria und Josef. Die Mutter Gottes wird im Stall gebührlich auf Heu und Stroh platziert, ihr Mann steht am Rande und hält die Laterne über das Geschehen. Als Eltern des Jesuskindes sind sie weltberühmt geworden, doch als Paar bleiben sie eher konturlos. Wer waren die beiden?

Bernd Reichert, Pfarrer in der evangelischen Michaelskirche im Gräfelfinger Ortsteil Lochham, hat sich in Predigten schon mit beiden Figuren beschäftigt, entweder mit Maria oder mit Josef, nie mit den beiden als Paar. Denn eigentlich seien die beiden kein richtiges Paar, meint er. Sie agierten eher nebeneinander als miteinander. Es sei auch nicht bekannt, dass sie sich etwa Händchen haltend auf ihr Kind gefreut hätten. "Es fehlt die Gemeinsamkeit."

Newsletter abonnieren
:SZ Gerne draußen!

Land und Leute rund um München erkunden: Jeden Donnerstag mit den besten Freizeittipps fürs Wochenende. Kostenlos anmelden.

In der künstlerischen Darstellung wird Josef immer als bärtiger, alter Mann gezeigt. Reichert sieht das als Ausdruck der jungfräulichen Geburt - es betont, dass Josef als alter Mann außerhalb des Geschehens stand. Wahrscheinlich war er aber eher jung, gerade mal 20 Jahre, schätzt Reichert, Maria vielleicht 16 Jahre alt. Beide waren verlobt. Als Josef von Marias Schwangerschaft erfährt, will er sie heimlich verlassen.

Doch im Traum erscheint ihm der Engel, der ihm eröffnet, dass das Kind vom Heiligen Geist ist und Josef Maria zur Frau nehmen soll. Aus dem Schlaf erwacht, erfüllt Josef seinen Auftrag. "Er tut, was er tun muss", sagt Reichert - er bleibt an der Seite von Maria. Für den Pfarrer ist das ein "schönes Männlichkeitsbild": seiner inneren Erfahrung zu vertrauen und sich nicht von gesellschaftlichen Erwartungen leiten zu lassen.

Aus heutiger Sicht haben die beiden eine Patchwork-Familie begründet, mit Josef als Stiefvater. Doch so genau ging es damals nicht zu, meint Reichert. Biologische Zusammenhänge waren nicht bedeutend, es zählte eher das soziale Konstrukt einer Familie. Auch an der jungfräulichen Geburt müsse man sich "nicht abarbeiten", sie sei ein Zeichen für die Unabhängigkeit Marias: Sie braucht den Mann nicht, sie ist selbst in Verbindung zu Gott. Nach der Weihnachtsgeschichte treten die beiden nie mehr als Paar auf, sagt Reichert. Sie haben zwar noch mehrere Kinder bekommen, als Eltern von Jesus werden sie jedoch nur einmal noch kurz in der Bibel erwähnt.

Maria und Josef verbindet keine innige Liebesgeschichte, sie verkörpern auch keine heile Familie. Sie haben sich vielleicht eher zusammengerauft, meint Reichert. Es gibt aber doch Gemeinsamkeiten: Beide haben ihre Aufgabe angenommen, auf Eitelkeiten verzichtet und sind respektvoll miteinander umgegangen. Daraus sei etwas "Weltbewegendes" gewachsen, so der Pfarrer. Vielleicht ist das die Botschaft, die bis in die Gegenwart strahlt.

In dieser Kolumne erklären bis zum Heiligabend täglich Profis Bräuche und Traditionen der Advents- und Weihnachtszeit.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusWeihnachtsumfrage
:"Man braucht weniger, um glücklich zu sein"

Philipp Rauschnabel befragt die Deutschen alle Jahre wieder zu Weihnachten. Corona habe das Fest nachhaltig geprägt, sagt der Wirtschaftswissenschaftler. Wie sich Traditionen und Erwartungen verändert haben - und welche Rolle Chat GPT spielt.

Interview von Daniela Bode

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: