Abschied vom Amt:Mit Anstand auf Abstand

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Bis zuletzt ist Bürgermeisterin Gabriele Müller voll im Einsatz, hier in der Corona-Test-Station. Sie wird sich nach dem Ausscheiden aus dem Amt erst einmal eine Auszeit nehmen, um dann wieder als Lehrerin zu arbeiten. (Foto: Claus Schunk)

Ihre Abwahl hat Gabriele Müller kalt überrascht. Dennoch lässt die SPD-Bürgermeisterin von Haar bis zu ihrem letzten Arbeitstag nicht locker. Für die Zeit danach aber verordnet sie sich eine Auszeit von der Politik.

Von Bernhard Lohr, Haar

Der Ausgang der Stichwahl ist für Bürgermeisterin Gabriele Müller (SPD) eine bittere Erfahrung gewesen. Und aus der unerwarteten Niederlage am 29. März hat die 60-Jährige einiges mitgenommen, aber sicher keinen Motivationsschub, die letzten Tage bis zum Abschied vom Rathaus engagiert anzugehen. Dennoch lässt Müller nicht locker. Sie hat Besprechungen angesetzt und noch zwei umfangreiche Sitzungen mit wichtigen Themen vorbereitet. Die Bekämpfung der Corona-Krise nicht zu vergessen. "Wir haben doch noch etwas zu tun", sagt die Bürgermeisterin, die nach sechs intensiven Jahren von CSU-Herausforderer Andreas Bukowski aus dem Rathaus gekegelt wurde.

Als Gabriele Müller vor einigen Tagen die letzte Sitzung des Bauausschusses leitet, wirkt sie nicht wie eine Amtsinhaberin auf Abruf. Sie zeigt auch jetzt, dass sie im Job gereift ist und gelernt hat, schwierige Diskussionen zu moderieren und mit wenigen, ruhigen Worten die Kuh vom Eis zu bekommen, wenn sich zwei Gemeinderäte auf einem Nebenschauplatz zu verkämpfen drohen. Nur manchmal blitzt an dem Abend durch, dass Müller ihren Chefsessel räumt und auch dem Gemeinderat den Rücken kehrt, dem sie 18 Jahre angehörte. Als sie über den neuen kleinen Sitzungssaal spricht, der im früheren Maria-Stadler-Haus eingerichtet wird, sagt sie, "dort werden Sie schön tagen können" - als gehöre sie schon nicht mehr dazu. Ihr Nachfolger sitzt in dem Moment in ihrem Blickfeld und verfolgt, was auf ihn zukommt.

Schon im Wahlkampf 2013 und 2014 war die studierte Sonderschullehrerin wie jemand aufgetreten, für den das Amt als Haarer Bürgermeisterin die Erfüllung eines Lebenswunsches ist. "Ja, ich will", sagte sie 2019 bei ihrer zweiten Nominierung zur Bürgermeisterkandidatin, gerade so, als stünde sie vor dem Traualtar. Das wirkte oft schwungvoll, mitunter auch leicht, wenn sie oft mit einem Lachen im Gesicht redete. Doch auf die leichte Schulter nahm sie das Amt nicht. Sie packte heiße Eisen an und thematisierte die Patientenmorde in der Haarer Heil- und Pflegeanstalt während der NS-Zeit. Wenn sie etwa ortsplanerisch etwas für richtig hielt, zog sie das durch, auch wenn sich mancher durch Bebauungspläne und Rahmenpläne vor den Kopf gestoßen gefühlt haben dürfte. "Ich habe viel angestoßen und auf den Weg gebracht", sagt Müller. Und fügt nachdenklich hinzu, ob es nicht manchmal zu viel war, was sie wollte.

Als Lehrerin ist Müller hochbegehrt

Sie hat es aber als Bürgermeisterin von Anfang an auch nicht leicht gehabt. Noch ihr Vorgänger Helmut Dworzak hatte sozusagen als letzte Amtshandlung die Unterschriftenliste für das erste Bürgerbegehren in Haars Geschichte in Empfang genommen. Müller sendete Signale aus, den Widerstand gegen einen Wohnturm an der Münchner Straße als Chance für mehr, direkte Bürgerbeteiligung aufzugreifen. Doch der Konflikt eskalierte von Woche zu Woche, begleitet von einer CSU, die mal mehr, mal weniger offen opponierte. Dass CSU-Nachfolger Bukowski jetzt als Versöhner auftritt, der nach der Wahl bekundet, das Miteinander fördern zu wollen, empfindet Müller als ungerecht.

Doch Müller macht "den Weg frei", wie sie auf der Homepage der Gemeinde verkündet. "Ich bin Lehrerin, und als solche hochbegehrt", sagt sie. Der Weg in den alten Job ist also geebnet, wobei Müller erst einmal die Gelegenheit nutzen möchte, eine "Übergangszeit", also Auszeit zu nehmen nach den turbulenten Jahren und den aufreibenden vergangenen Wochen. Auch den Gemeinderat verlässt sie. Parteifreunde hatten ihr das empfohlen, weil es schwierig sei, als früherer Chef die Arbeit des Nachfolgers im Gremium zu verfolgen. Doch: "Letztlich ist es meine Entscheidung gewesen", sagt Müller. Sie habe sich einen anderen Wahlausgang gewünscht. Vieles wird jetzt der Nachfolger zu Ende bringen.

Die Tragik der Niederlage nach sechs Jahren Amtszeit bildet einen Kontrast zu dem Optimismus, den Müller in dem oft aufreibenden Job trotz allem verbreitete. Und sie droht zu überdecken, was alles erreicht wurde. Müller kämpft um ihr Erbe, wenn sie im Bauausschuss den Gemeinderäten ans Herz legt, an der gestalterischen Qualität des neuen Geschäftszentrums festzuhalten, das in Eglfing an der Ecke Leibstraße und Vockestraße entsteht. Nicht nur dort mussten Planer ihre ersten Ideen in den Papierkorb werfen. Müller war bei aller Verbindlichkeit für Investoren ein harter Verhandler, ob es um Gestaltung ging, um das Abtreten von Wohnrecht für sozial Schwache oder darum, dass ein Bauherr auch ein Kunstwerk im öffentlichen Raum finanziert. Es waren ereignisreiche Jahre mit großen, manchmal hoch anspruchsvollen Bauprojekten, die dank einer funktionierenden Verwaltung, die Müller personell mit guten Leuten gestärkt hat, die mit ihr loyal arbeiteten, auch zu Ende geführt wurden.

Müllers Mann Peter Schießl wurde in den Gemeinderat gewählt

So etwa der Umbau am Bahnhof, der Jugendstilpark, die Grundschule, Kindertagesstätten und Kommunalwohnungen. Beim Zamma-Kulturfestival war jeder einzelne Haarer aufgerufen mitzumachen, die Müller so gerne als "Haarer Familie" ansprach. Manchem war das womöglich zu eng, zu pathetisch. Authentisch aber war es auch.

Wenn Müller in Kürze raus ist aus der Rathauspolitik, geht es für sie indirekt wenigstens weiter. Ihr Mann Peter Schießl, der die Arbeit seiner Frau in den sechs Jahren oft im Sitzungssaal live verfolgt hat, wurde in den Gemeinderat gewählt. Er sei bestens für seine Arbeit vorbereitet, sagt Müller. Ihre Hilfe brauche er nicht. Sie braucht, das wird klar, erst mal Abstand.

© SZ vom 28.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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